Bana Alhashmi fühlt sich in Nagold wohl. Zurück nach Syrien – das kommt für die 24-Jährige nicht mehr in Frage. Foto: Fritsch

Bana Alhashmi führte ein Leben zwischen Angst und Hoffnung. Sie lässt sich nicht unterkriegen und fängt neu an.

Nagold - Neugierig blicken ihre tiefbraunen Augen umher. Sie haben viel Leid gesehen. Bana Alhashmi erzählt ihre Geschichte. Die Geschichte von einem Mädchen, das vor dem Krieg in Syrien floh und den Lebenswillen nicht verloren hat.

"Ich habe einen lauten Schlag gehört. Und dann haben im Haus die Scheiben vibriert." Bana Alhashmi nimmt einen Schluck aus ihrer Tasse Kaffee. Sie ist gut gelaunt und lächelt, als wolle sie dem Krieg damit trotzen.

Die 24-jährige Syrerin kommt aus der Hauptstadt Damaskus. Sie hat ihr ganzes Leben in dem zerrütteten Land verbracht, in dem nach den Aufständen in Tunesien 2011 der Arabische Frühling begonnen hatte. Er endete in einem ethnisch-religiösen Bürgerkrieg, der seit vier Jahren anhält und inzwischen 2,6 Millionen Menschen aus dem eigenen Land getrieben hat.

Bana Alhashmi hat ihre Heimat geliebt. Sie ging zur Uni, reiste mit ihren Eltern und drei Brüdern im Urlaub in die Türkei. Auf Bildung und eine gute Ausbildung legten ihre Eltern viel Wert. Sie besaßen in Damaskus zwei Häuser. Eins im Stadtzentrum, das andere am ruhigen, einst idyllischen Stadtrand. Bana hatte alles, was sie brauchte. Sie war glücklich.

"Das Haus am Stadtrand war sehr schön", erzählt sie und streicht eine Strähne ihrer langen braunen Haare aus dem Gesicht. "Eines Tages stand plötzlich ein Panzer vor unserer Tür. Männer beschossen das Haus. Wir wollten weg." Die Familie floh zu den Großeltern ins Zentrum. "Da war es sicherer."

"Manchmal hörten wir die Bomben jeden Tag"

Die militärischen Auseinandersetzungen hielten an und die Familie beschloss, das Land zu verlassen, um sich wieder sicher zu fühlen. Aus Angst um den ältesten Sohn Mohab, schnappte sich Banas Vater den 18-Jährigen 2012 und reiste mit ihm nach Libyen. "Wir hatten Angst, dass die Armee ihn einzieht", erklärt sie und runzelt die Stirn.

In Libyen organisierte der Vater eine neue Wohnung und wollte seine Frau und Kinder nachholen. Die Regierung Libyens machte der sunnitischen Familie allerdings einen Strich durch die Rechnung. "Wir bekamen kein Visum. Kein Syrer bekam eins. Ich glaube, sie hassen uns." Sie blinzelt in die Sonne und schweigt eine Weile.

"Eineinhalb Jahre haben wir meinen Papa und meinen Bruder nicht gesehen." In dieser Zeit verbrachte Bana mit ihrer Familie viel Zeit zwischen Hoffnung, Angst und Ungewissheit. "Manchmal hörten wir die Bomben jeden Tag. Manchmal tagelang gar nicht", sagt sie. "Man wusste nie, was passiert. Oder wann."

Im Frühjahr 2014 erhielten sie ihr Ausreisevisum nach Libyen. Drei Monate verbrachten sie gemeinsam in der Hauptstadt Tripolis. "Aber da ist auch Krieg", sagt sie. Ihre Stimme wird leiser. "Die Zeit in Tripolis war schrecklich." Die Eltern fassten einen Entschluss: Egal wie, ihre sieben, neun, 21 und 24 Jahre alten Kinder sollten raus aus diesem Terror. Für sie habe es nur einen Ausweg gegeben und der führte mit einem Boot über das Mittelmeer nach Europa.

"Wir haben einem Schlepper 3600 Dollar bezahlt", erzählt Bana. "Mehr hatten wir nicht, deswegen musste mein Vater in Tripolis bleiben." In den frühen Morgenstunden gegen vier Uhr, stieg sie zusammen mit ihrer Mutter, ihren zwei jüngsten Brüdern und einer Tasche mit den wichtigsten Papieren und Kleidern in ein Boot. "Es war sehr klein und es gab keine Sitzbänke", erinnert sie sich. Zusammengepfercht mit 246 anderen Flüchtlingen steuerte ein Tunesier das Boot über das Meer in Richtung Italien.

Das Lächeln der Syrerin verschwindet aus dem zierlichen Gesicht. Sie erinnert sich an jedes Detail. "Der Fahrer hat geflucht und geschimpft. Wir saßen eng zusammen. Die Kinder und Frauen haben geschrien und geweint. Es gab nichts zu essen und zu trinken." Acht Stunden verharrten sie auf dem Boden des Schlepperbootes. Bana hatte nur einen Gedanken: "Ich will es schaffen. Etwas anderes gibt es für mich nicht."

Ihre Geschwister hielt sie fest in den Armen, schützte sie vor der heißen Sonne. Manchmal, so sagt sie, habe das Boot stark gewackelt. "Dann bin ich nervös geworden und hatte Angst. Vor allem um meine Familie." Geschlafen hat sie nicht. Zu groß sei die Anspannung gewesen.

Gegen 14 Uhr überquerten sie die Meeresgrenze. Endlich. Auf italienischer Seite. Bana Alhashmi wählte sofort die Nummer der italienischen Behörden, um Hilfe zu rufen. "Ich habe mir in Libyen vorher alle Informationen rausgesucht", erklärt sie. "Nummern von Behörden, Stadtpläne, Adressen, Namen". In der Ferne steuerte ein Schiff auf ihr Schlepperboot zu.

"Das Meer war voll mit Flüchtlingsbooten"

"Als ich dann zum ersten Mal um mich blickte, habe ich ganz viele Menschen gesehen", erinnert sich die 24-Jährige und reist die Augen weit auf. "Das Meer war voll mit Flüchtlingsbooten; Menschen aus Afrika, Libyen, Syrien." Sie stockt und denkt nach. "Die Bilder sind immer in meinem Kopf."

Das Schiff fuhr eine Route ab und sammelte immer mehr Menschen aus den Schlepperbooten im Mittelmeer ein. "Ich habe nur gesessen und gewartet, bis wir endlich Boden unter den Füßen haben." Zwei Tage später spürte sie ihn: den Boden Neapels.

Das war im September 2014. "In all der Zeit in Syrien, in Libyen und auf dem Boot hatte ich keine Angst", sagt Bana und schüttelt den Kopf. "Aber in Italien ist es mir bewusst geworden, was alles passiert ist." In einer dreitägigen Odyssee führte die Reise der Familie dann von Neapel über Venedig, Mailand, Ventimiglia und Nizza, bis nach Karlsruhe in die Flüchtlingsaufnahmestelle. "An der französischen Grenze hatte ich große Angst vor den Polizisten", sagt Bana. "Aber wir haben es geschafft." Sie lacht. Dann senkt sie den Kopf. "Jetzt fehlt nur noch mein Papa." Der ist noch in Libyen. Seine Familie probiert alles, um ihn zu sich zu holen. "Wir vermissen ihn sehr."

Nach zehn Aufenthaltstagen in Karlsruhe bekamen die Alhashmis einen Platz im Nagolder Flüchtlingswohnheim im Haus Waldeck. Asyl hat Bana bereits vor Monaten beantragt. Bisher kam keine Antwort. "Aber ich sitze nicht rum und warte", sagt sie. "Ich mache das Beste aus der Zeit."

Sie lernt Deutsch. Jeden Tag. Im Sprachkurs und allein. "Ich will mein Studium hier weitermachen." Sie ist entschlossen, strahlt Wärme, Willensstärke und einen hartnäckigen Optimismus aus. "Ich weiß, dass ich es schaffen kann", sagt sie und lächelt. "Was passiert ist, ist passiert. Jetzt kommt es darauf an, was wir daraus machen."