Rolf D. Hirsch referiert am 16. Oktober über "Häusliche Gewalt".Foto: Privat Foto: Schwarzwälder Bote

Alterswissenschaftler: Ambulante Hospizgruppe holt Rolf D. Hirsch nach Nagold

Nagold. Eigentlich wollte die ambulante Hospizgruppe Nagold ihren 30. Geburtstag in diesem Jahr ganz groß feiern. Doch auch hier hat Corona einen großen Strich durch alle Planungen gemacht. Was aber stattfinden kann: Ein öffentlicher Vortrag mit Rolf D. Hirsch am Freitag, 16. Oktober, ab 18 Uhr im Kubus.

Das Thema an diesem Abend wird lauten: "Häusliche Gewalt". Rolf D. Hirsch ist Alterswissenschaftler und Psychiater von der Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter (Motto: "Handeln statt Misshandeln"). Regelmäßig berät er Menschen über eine eigene Notrufnummer, unter der sich Opfer, Angehörige und Täter melden können. "Beruhigungsmittel und Fesselung gehören da noch zu den harmlosen Sachen", so eine Erfahrung von Experte Hirsch. Eine andere: Gewalt gegen alte Patienten trete in stationären Einrichtungen und im häuslichen Umfeld sehr viel häufiger auf, als man glaubt.

Dabei seien die Formen von Gewalt erschreckend vielfältig, reichten von körperlicher oder psychischer Gewalt über gezielte Freiheitseinschränkungen, mutwilliger Vernachlässigung bis zu auch finanzieller Ausbeutung. Hirschs Beobachtung dazu: Altersdiskriminierung sowie schlicht Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit bahnten dabei den Weg zur Gewalt gegen ältere Menschen. Was den Tätern dabei meist nicht wirklich bewusst sei: Jede Gewalthandlung bedeutet auch einen Rechtsbruch, kann bei Entdeckung der Tat mit zum Teil empfindlichen Strafen geahndet werden. Allerdings, so Hirsch, seien solche Gewalthandlungen andererseits meist auch ein Ausdruck von Hilflosigkeit, Scham, Ohnmacht und schlicht Überforderung der Pflegeaufgabe gegenüber, die aufgrund mangelhafter Unterstützung (durch die Gesellschaft) und auch einfach Unkenntnis von existierenden Alternativen entstünden.

Für die in der Regel hochbetagten Opfer der Gewalt haben solche Exzesse allerdings stets massive Auswirkungen – sowohl körperlich, als auch immer seelisch. Da es derzeit immer noch zu wenig Anlaufstellen für Betroffene gebe, seien hier vor allem die Ärzte in einer besonderen Pflicht, Anzeichen von Gewalt zu erkennen, diese nicht zu bagatellisieren und schließlich auch entschlossen zu handeln, um die Missstände abzustellen. Experte Hirsch geht davon aus, dass bis zu zehn Prozent der Pflegebedürftigen daheim regelmäßiger Gewalt ausgesetzt sind. In Heimen seien es bis zu 20 Prozent, bei den Demenzerkrankten sei gar jeder Zweite betroffen.

Mit seinem Vortrag will Rolf D. Hirsch vor allem das Bewusstsein von allen Beteiligten für die besondere Problematik schärfen – gerade auch bei möglichen Tätern, denn die enormen Belastungen aus der Pflege können jeden Betroffenen überfordern und an den Rand der Selbstbeherrschung bringen. Mit der Gewalt als letztem Ventil. Es gelte also, Entlastungsangebote und -möglichkeiten für die Pflegenden – zuhause oder in stationären Einrichtungen – konsequent zu nutzen. Um das Problem aber auch langfristig gesellschaftsweit in den Griff zu kriegen, müsste sich zudem in der Politik etwas ändern. Hirsch plädiert hier für eine bessere finanzielle Ausstattung der Pflegeheime, sodass eine bessere Betreuung schon von Grundsatz her möglich werde. Aber auch die Kontrollen der Heime müssten häufiger und effektiver geschehen.

Die Vortragsveranstaltung der ambulanten Hospizgruppe Nagold mit Rolf D. Hirsch am Freitag, 16. Oktober, ab 18 Uhr im Kubus ist öffentlich und für Besucher kostenfrei. Der Saal wird für 100 bis 120 Personen bestuhlt sein, es gelten die aktuellen Corona- und Abstandsregeln.

Rolf Dieter Hirsch, geboren 1946 in München, ist promovierter Arzt für Nervenheilkunde und psychotherapeutische Medizin, dazu Psychoanalytiker und Gerontologe. Er war lange Jahre Chefarzt der Abteilung für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie und des Gerontopsychiatrischen Zentrums der LVR-Klinik Bonn, unterhält heute dort eine Privatpraxis und parallel eine Professur an der Universität Erlangen-Nürnberg am Institut für Psychogerontologie.