Ein spektakulärer Fall wurde am Nagolder Amtsgericht verhandelt. Foto: Köncke

Anruf bei Eltern löst Großeinsatz aus. Junge Frau fühlte sich ständig kontrolliert.

Nagold - Wenn die Tochter ihren Eltern sagt, sie fühle sich in letzter Zeit auf dem Weg zur Arbeit von einem Unbekanntem beobachtet, wenn sie im Juni 2019 nicht am vereinbarten Abholort erscheint, ein fremder Mann bei der Mutter anruft, seinen Namen nicht nennt, nur den Satz sagt, der Tochter gehe es gut und danach das Handy ausschaltet, dann steht für Richter Martin Link fest, dass etwas passiert sein müsse. Die Folge war eine großangelegte Suchaktion.

Familienmitglied holte Angeklagte immer ab

Wegen Vortäuschung einer Straftat musste sich eine junge Frau aus Nagold vor dem Amtsgericht verantworten. Sie wurde zu einer Geldstrafe von 1500 Euro verurteilt und ihr Schulfreund zu 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Außerdem wurden beide verwarnt.

Sie sei "immer" von einem Familienmitglied nach Dienstschluss abgeholt und nach Hause gebracht worden und fühle sich auch sonst ständig kontrolliert, sagte die Angeklagte in der Verhandlung aus. Außerdem habe sie mit einem im Ausland lebenden Mann eine Verlobung eingehen müssen, "den ich nicht liebe". Irgendwann habe sie es nicht mehr ausgehalten.

An besagtem Abend verließ sie die Spätschicht fünf Minuten früher als sonst, ging zu Fuß in den Nagolder Stadtpark Kleb und rief von dort ihren Schulfreund in Calw an, sie komme bei ihm vorbei. Er solle ihre Eltern anrufen, nur die Sätze sagen "Ihrer Tochter geht es gut, machen Sie sich keine Sorgen", das Handy ausschalten, die Sim-Karte herausnehmen, zerschneiden und wegwerfen. Der Freund tat, wie ihm gesagt wurde. Lange hielt sich die junge Frau laut seiner Aussage nicht bei ihm auf. Mit dem Zug sei sie nach Pforzheim gefahren.

Bei den Eltern in Nagold schrillten die Alarmglocken. Für sie stand fest: Die Tochter ist entführt worden. Die Polizei wurde verständigt. Eine großangelegte Suchaktion begann. Im Einsatz waren Hubschrauber, eine Hundestaffel, Taucher in der Nagold, insgesamt 20 Beamte. Und die Staatsanwaltschaft in Tübingen wurde informiert.

Einen Tag später war die Tochter wieder zu Hause. Sie habe mit ihrem Verschwinden erreichen wollen, nicht ständig bevormundet zu werden. Was ihre "Flucht" auslöse, sei ihr in diesem Moment nicht klar gewesen. Das hätte sie wissen können, schrieb ihr der Richter ins Stammbuch, man werde ihr aber "nicht den Kopf abreißen".

Mitangeklagter riet zum Anruf bei den Eltern

Der mitangeklagte Freund sagte vor Gericht aus, er habe ihr geraten, selber bei den Eltern anzurufen, damit sie nicht in Panik gerieten.

Franziska Schwemmle von der Jugendgerichtshilfe Calw beleuchtete die Lebensumstände der Angeklagten. Sie sei von den Eltern, die nach zwölf Umzügen seit 2009 in Nagold wohnen, "streng und vorbestimmt" erzogen worden. Nach dem Besuch der Werkrealschule habe die junge Frau eine Ausbildung als Pflegefachkraft begonnen, die ihr sehr viel Spaß machen würde. Beklagt habe sie sich bei ihr über die ständige Bevormundung von Familienangehörigen. Trotzdem liebe sie ihre Eltern und wünsche sich nur mehr Entscheidungsfreiheit.

Die Situation des Freundes der jungen Frau schilderte Holger Frietisch von der Jugendgerichtshilfe Calw. Er habe eine Ausbildung begonnen und mache auf ihn "einen guten Eindruck".

Staatsanwalt Schwarz warf der Angeklagten vor, sie habe billigend in Kauf genommen, das wegen der vorgetäuschten Entführung eine riesige Suchaktion gestartet worden sei. Sie habe sich durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen strafbar gemacht. In seinem Plädoyer forderte er eine Geldstrafe von 2000 Euro und für den Freund 40 Stunden gemeinnützige Arbeit.

"Ich werde nicht mit dem Hammer auf Sie einschlagen", wandte sich der Richter an beide Angeklagten. Die junge Frau sei verzweifelt gewesen und ihr Schulfreund habe ihr helfen wollen. Bis auf die Höhe der Geldstrafe – 1500 Euro statt 2000 Euro – folgte Link in seinem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft.