OB Jürgen Großmann (links) besucht die Fachstelle Sucht in Nagold. Annika Schüle und Peter Heinrich sind vor Ort Ansprechpartner in Suchtfragen. Foto: Müller Foto: Schwarzwälder Bote

Hilfe: Fachstelle Sucht ist in Nagold die Anlaufstelle für Suchtprobleme / Kein substituierender Arzt im Kreis

Wer denkt, harte Drogen seien ein Problem von Großstädten täuscht sich. "Das Thema Drogen und Alkoholmissbrauch ist omnipräsent. Nur bekommt man das oft nicht mit", bestätigt Peter Heinrich, Suchtberater in Nagold, die Situation im ländlichen Raum.

Nagold. Gerade für die Menschen, die mit einer Sucht kämpfen, – sei es Alkohol, Drogen wie Cannabis oder gar Heroin, Medien- oder Spielsucht – ist eine Anlaufstelle vor Ort, wie die Fachstelle Sucht in der Inselstraße, immens wichtig. "Wir legen viel Wert darauf, einen verlässlichen Partner mitten in der Stadt zu haben", betont Oberbürgermeister Jürgen Großmann beim Besuch der Nagolder Außenstelle der Fachstelle Sucht im Kreis Calw. Vor Ort möchte sich Großmann ein Bild von der Situation machen – sowohl vom Bedarf in Nagold als auch von der Arbeit der Suchtberater. Auch in Nagold sei durchaus eine Drogenszene vorhanden – das wüssten Polizei, Stadt und die Fachstelle Sucht. Doch das größte Problem steckt in der Flasche: Mehr als die Hälfte aller Hilfesuchenden kämpfen mit ihrer Alkoholsucht.

Fünf Suchtberater helfen in der Fachstelle Sucht Betroffenen ihre Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Peter Heinrich ist der dienstälteste unter ihnen. Seit 1990 bringt er seine Erfahrung in der Beratung, Begleitung und Behandlung von Menschen in Nagold und Umgebung ein, die alleine ihre Sucht nicht mehr meistern können. Annika Schüle ergänzt als stellvertretende Leiterin die Nagolder Außenstelle seit 2016.

Im vergangenen Jahr erreichte die Fachstelle Sucht in Calw mit den Außenstellen in Nagold und Bad Wildbad-Calmbach insgesamt 569 Menschen mit einem Suchtproblem. 385 Personen wurden längerfristig von der Einrichtung betreut, 251 Personen suchten nur einmal den Kontakt in einem Beratungsgespräch.

"Alkohol ist das, was uns am meisten beschäftigt", weiß Schüle. 19 Prozent aller, die sich 2017 im Kreis an die Fachstelle gewandt haben, hatten Probleme mit Opiaten (Heroin etc.), 15 Prozent konsumierten missbräuchlich Cannabis. Acht Prozent waren pathologische Glückspieler. Die restlichen drei Prozent teilen sich auf andere Suchtmittel auf wie Nikotin, Medikamente und andere illegale Drogen. Die Altersspanne reicht von elf Jahren bis ins Seniorenalter. Dabei kämpften Menschen quer durch alle Gesellschaftsschichten mit Suchtproblemen. Auch solche, bei denen man es auf den ersten Blick nicht vermuten würde, weiß Heinrich.

Schüle und Heinrich betonen, dass der erste Kontakt, am besten über die offene Sprechstunde mittwochs von 13 bis 15 Uhr, möglichst niedrigschwellig sein soll. Denn sie wissen, dass der erste Schritt zur Hilfe häufig mit Scham oder Ängsten besetzt sei. "Die Beratung ist vollkommen kostenlos. Der Rest lässt sich regeln", ermutigt Heinrich Zweifler.

Auch Angehörige, die wegen der Suchtproblematik eines Familienmitgliedes Hilfe suchen, finden diese in der Fachstelle Sucht.

Besteht nach dem ersten Kontakt der Bedarf und der Wille für eine Therapie, hilft die Fachstelle Sucht auf dem weiteren Weg: Sie vermittelt an das geeignete Therapieangebot, ist bei der Beantragung hilfreich, erstellt einen Sozialbericht und hilft falls nötig bei Verhandlungen mit Kostenträgern. In Nagold und Calw besteht zudem die Möglichkeit, eine ambulante Rehamaßnahme zu besuchen. Dazu gehört die regelmäßige und verbindliche Teilnahme an Gruppen- und Einzelgesprächen. Wöchentlich trifft sich in Nagold eine Entwöhnungsgruppe, in der sich Menschen unabhängig der Art ihrer Sucht treffen. Für Menschen, die mit Ersatzmitteln substituiert werden, findet zweimal pro Monat ein Treffen statt, um deren psychosoziale Begleitung sicherzustellen.

Als ein großes Problem sieht Heinrich, dass im Juni der letzte substituierende Arzt im Kreis Calw seine Tätigkeit eingestellt hat. Heinrich zitiert in diesem Zusammenhang einen Klienten der meint, dass es im Nagolder Raum leichter sei an Heroin zu kommen als auf legale Weise an ein Substitutionsmittel. 79 Opiatabhängige wurden 2017 von der Fachstelle Sucht im Rahmen einer Substitution psychosozial begleitet. Viele von ihnen leben in einem normalen Arbeitsverhältnis, erzählt Heinrich, im Alltag könne man Menschen, die eine Droge substituieren, nicht erkennen. Diese müssen sich nun an Ärzte in den Nachbarkreisen wenden, um mit Ersatzmitteln versorgt zu werden, was Heinrich mit großer Sorge erfüllt. "Das ist für uns eine prekäre Situation, wenn wir den Menschen so nicht optimal helfen können."

Nagolds Oberbürgermeister lobte die Arbeit der Fachstelle Sucht. Nicht nur, dass die Suchtberater Menschen in einer Notlage helfen, einen Weg aus der Sucht zu finden, sondern auch wertvolle Präventionsarbeit leisten. Präsenz an Schulen, Betrieben und sozialen Einrichtungen zu zeigen diene neben der informativen und präventiven Komponente auch dazu, die Hemmschwelle für Betroffene zu senken, in die Beratungsstunde zu kommen, so Schüle.

Die Arbeit bei der Fachstelle Sucht sehen sowohl Schüle als auch Heinrich als Bereicherung. "Es ist schön, Erfolge zu sehen und wenn man zum Heilungsprozess beitragen kann", erklärt Schüle. Heinrich ergänzt, dass es für ihn eine sinnvolle Aufgabe sei, die Menschen wieder auf die richtige Bahn zu bringen.