Ralf Albrecht verlässt Nagold mit einem guten Gefühl.Foto: Fritsch Foto: Schwarzwälder Bote

Interview: Bevor Ralf Albrecht als Dekan verabschiedet wird, zieht er eine überwiegend positive Bilanz

Seit 13 Jahren ist er Dekan in Nagold. Am Sonntag verabschiedet sich Ralf Albrecht in Richtung Heilbronn. Im Interview blickt er zurück.

Herr Albrecht, am Sonntag steht Ihre Verabschiedung an. Sind Sie gewappnet?

Ziemlich lange – seit 15. Januar – konnte ich mich auf diesen Tag vorbereiten. Und doch ging es gefühlt jetzt alles so schnell. Abschiede sind etwas Besonderes. Große Emotionen, viel Dankbarkeit. Und auch Tränen.

Wegen der Corona-Pandemie kann ja Ihre Verabschiedung nur in kleineren Etappen stattfinden. Fehlt Ihnen der ganz große Bahnhof zum Abschied?

Diesen Stationenabschied empfinde ich als eine ganz, ganz wunderbare Sache. Gerade in Coronazeiten mit anständigem Abstand die Möglichkeit zu bekommen, noch einmal so viele Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter zu sehen und sich zu verabschieden, das berührt mich. So viele legen sich ins Zeug, damit das sein kann. Dabei gibt es in diesen Zeiten so viel zu beachten. Ganz großes Kino.

Und jetzt geht’s nach Heilbronn. Wann steht denn der Umzug an? Wie verlaufen bei Ihnen die nächsten Wochen? Packt der Dekan eigentlich selber bei den Möbeln mit an?

Der Umzugstermin steht noch nicht genau fest. Wohl Ende August, Anfang September. Und ja, ich packe selber an, aber nicht bei den Möbeln. Sondern schon seit Monaten beim Überlegen ›Brauch ich das noch oder kann das weg …?‹. Und dann beim Befüllen vieler Umzugskartons.

13 Jahre waren Sie Dekan in Nagold, eine lange Zeit. Inwiefern hat Sie die Nagolder Zeit geprägt?

Es war die beruflich und familiär bisher entscheidendste Zeit meines Lebens. Hier wurden unsere Kinder groß und sind hier zuhause. Hier konnte meine Frau ihre großartigen pfarramtlichen Gaben in der Klinik und in der Kirchengemeinde Ober- und Unterschwandorf entfalten. Und ich wurde von einem jungen zu einem alterfahrenen Dekan. Bei meiner Investitur 2007 fragte mich jemand: ›Sind Sie der neue Vikar?‹. Und neulich bei einem Gespräch wiederum wies die Mutter ihr Kind an: ›Sag auch dem Opa danke für das, was Du von ihm bekommen hast …‹ (lacht)

Was waren in Ihrer Erinnerung die Highlights in diesen 13 Jahren?

Das füllt Seiten. Nur ganz wenig: Churchnight, Landesgartenschau, HolyDay, Pilgerprojekt ›WandernPLUS‹, Diakoniestationsentwicklung mit neuer Tagespflege, digitale Verkündigungsformate jetzt in der Coronazeit, Evangelischer Tageselternverein, neue Trägerstrukturen für Evangelische Kindertagesstätten, Fusion der Kirchengemeinde, Fusion der Kirchenbezirke.

Aber auch das andere, Gewöhnliche. Es macht so viel aus: Jedes Bibelwort, jeder Glaubensschritt, jedes Gebet, jedes Lied, jede helfende Hand, jeder Besuch. Taufen, Trauungen – und ja: auch Bestattungen und der Trost in schweren Zeiten. Und ebenso auch: vieles, was nicht gelang, liegenblieb, nicht erkannt wurde, nicht angepackt wurde – immer auch Zeichen der Bedürftigkeit nach Gott: Nicht von unserer Leistung, von seiner Güte leben wir.

...Wie schaut’s näher mit den Flops aus? Was misslang, wo sehen Sie noch Handlungsbedarf? Welche Baustellen konnten Sie noch nicht beenden?

Auch diese Liste wäre lang – ich denke an so viele Momente, wo Menschen eben nicht auf einem Weg mitgenommen werden konnten, wo sie nicht sensibel genug wahrgenommen wurden, wo es sich verhakt hat. Da kann ich nur um Entschuldigung bitten – und weiß doch, dass wir alle miteinander nicht perfekt sind. Das Christentum ist ein Glaube, der von Vergebung lebt. Und dann sind da noch die ganz konkreten Baustellen, die bleiben: die Remigiuskirche muss renoviert werden. Die Außenanlagen der Stadtkirche gehören gerichtet. Und der Neubau der Kita am Lemberg steht an.

Stichwort Ökumene. Mein Eindruck ist, dass sich da viel in Nagold tut. Gibt es sozusagen Best-Practice-Beispiele, die sie mit nach Heilbronn nehmen? Wie wäre es mit einer Wachsenden Kirche am Neckarufer?

Menschen schätzen es, wenn Gläubige und Kirchen enger zusammenarbeiten. Die Wachsende Kirche in Nagold wurde dafür ein Symbol, und das wird hier eben auch gelebt, jetzt im neunten Jahr. In diesem Kirchenrund gibt es keine spezielle Ecke für eine der Kirchen. Und ich bin mir ganz sicher, dass diese Wege auch in Heilbronn so gegangen werden.

Wie wichtig ist Ihnen persönlich die Ökumene, und wie wichtig ist es Ihnen, als Protestant klare Kante zu zeigen?

Das eine schließt das andere ja nicht aus. Ich spreche nicht ›klarer Kante‹. Sondern von Profil mit Weite. Uns als Evangelische zeichnet die starke Betonung des Glaubens, der Bibel, der gnädigen Barmherzigkeit Gottes aus. Und wir können eine ganz eigene, profilierte Prägung durch Jugendarbeit, durch die Gemeinschaften, die CVJMs und die freien Werke aufweisen. Dies dann in eine intensive gelebte Ökumene einzubringen – und den Reichtum der anderen immer neu zu entdecken, das lässt uns alle miteinander wachsen.

Verlassen Sie Nagold mit einem guten Gefühl?

Unbedingt. Was ich bin, das wurde ich durch Nagold, so habe ich das in einem anderen Interview mit dem Schwabo überspitzt formuliert. Hier ist ein Ort, gesellschaftlich und kirchlich, in dem eine kleine Mittelstadt bereit ist, immer ein gutes Stück über sich selbst hinaus zu wachsen. Und zugleich menschlich miteinander zusammen zu halten. Gerade dieses menschliche Miteinander, diese unzähligen Begegnungen und Kontakte, die habe ich sehr geschätzt.

War es für Sie eigentlich von Anfang an klar, dass Sie die Offerte, in Heilbronn Regionalbischof zu werden, annehmen werden? Oder haben Sie wenigstens kurz gezögert?

Vor den Herausforderungen dieses Amtes habe ich selbstverständlich einen riesen Respekt: Kirche herausgehoben zu repräsentieren und mit zu leiten in Zeiten größter Veränderung. Aber auf der anderen Seite ist diese Berufung für mich ein riesen Geschenk. Es waren sehr gute Jahre hier – und jetzt ist etwas Neues dran: Prälat. Wunderbar. Und dann in einer Region, in der ich viele Wurzeln habe und auf die ich mich sehr freue.

Was werden Sie als Erstes tun, wenn Sie in Heilbronn angekommen sind? Und was wird die letzte Tat in Nagold sein?

Aus dem Auto aussteigen … (lacht) – nein im Ernst: Ich weiß es nicht. Für mich ist jetzt wieder so vieles neu. Ich freue mich auf unbekanntes berufliches Terrain. Denn die Zukunft ist voller Aufgaben und Hoffnungen für uns alle. Meine finale Tat hier? Ich denke, ein Spaziergang durch den Kleb hier in Nagold zusammen mit meiner Frau. Innerlich abschließen.

Was werden Sie in Heilbronn aus Ihrer Nagolder Zeit besonders vermissen?

Diese mediterrane Art von Schwarzwald – Tannen-Toskana. Und damit verbunden die Art der Leute, auch kirchlich: bissle zurückhaltend zunächst, treu, gradraus. verbindlich, durchaus feierlaunig. Aber der Menschenschlag im Unterland ist – anders – ebenfalls sehr, sehr liebenswert.

...und gibt es auch etwas, das Sie so gar nicht vermissen werden?

Aber klar: dieser so herausfordernde Dreisprung von Gemeindepfarramt, Kirchenbezirksleitung und intensivstem Ehrenamt in der Landessynode. Ich freue mich drauf, nicht mehr zwischen verschiedensten Rollen aufgeteilt zu werden – so intensiv die eine neue Rolle als Regionalbischof sein wird. Ach, und geschenkten Honig, den werde ich auch nicht vermissen. Ich bin ja kein Süßer, das wissen manche. Meine Familie allerdings isst gern süß – die haben sich immer drüber gefreut. Also alles gut.

  Die Fragen stellte Heiko Hofmann