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Kabarettist Mike Jörg (70) blickt auf 70 Jahre Grundgesetz und Bundesrepublik / Auftritt am 25. Mai im Kubus

Seinen eigenen 70. Geburtstag hatte Mike Jörg schon – Ende März. Knapp zwei Monate war er alt, als damals das Deutsche Grundgesetz am 23. Mai 1949 in Kraft gesetzt wurde. Ein Leben in der – und auf Kanzel und Bühne für die – Demokratie. Am Samstag, 25. Mai, erzählt Mike Jörg davon.

Nagold. "70 Jahre Bundesrepublik" ist sein Programm überschrieben, dass er im Kubus in Nagold (ab 19.30 Uhr) präsentieren wird – gemeinsam mit der Volkshochschule Oberes Nagoldtal. Untertitel: "Ein Satiriker blickt zurück." Was allerdings nicht so ganz stimmt, wie Jörg beim Gespräch daheim in seinem Wohnzimmer erzählt. So ein gemeinsamer "satirischer Rückblick" funktioniere eigentlich nur, wenn Publikum und Kabarettist die zu behandelnden Themen und Erlebnisse auch teilen.

Bei Jörgs jährlichem Soloprogramm "Wa(h)r was?", mit dem er seit Mitte der 1990er-Jahre durchs Ländle tourt und jeweils ein zurückliegendes Jahr in Gesellschaft und Politik pointenreich und stets bissig "seziert", habe das immer sehr gut geklappt. Aber gleich sieben Jahrzehnte in zweimal 60 Minuten aufzubereiten, sei "eine ganz andere Nummer". Wer verbindet heute noch etwas mit der Spiegel-Affäre? Oder weiß, was mit Harrisburg und Tschernobyl der Atom-Katastrophe von Fukushima vorausging? Auch wenn Mike Jörg eigentlich damit rechnet, dass sein Publikum "eher so 50plus" sein müsste.

"Mitten hinein in die 68er-Bewegung"

Was die erwartet: Ein sehr persönlicher Blick auf 70 Jahre Bundesrepublik. Mike Jörgs eigene, sehr schwere Kindheit – die sehr gut widerspiegelt, wie sich auch das ganze Land schwer tat, langsam (wieder) groß und erwachsen zu werden. Prügel daheim, Prügel in der Schule. Ein Pfarrer, der Jörgs schon damals kritische Fragen nur mit einer schallenden Ohrfeige beantworten konnte. "Für mich war das Gute in der Welt damals die CDU und die katholische Kirche." Mehr kannte er nicht. Bis er – nach Schreinerlehre und "erkämpftem" Abitur – von der tiefsten Provinz aus zum Studium nach Stuttgart und Tübingen kam. "Mitten hinein in die 68er-Bewegung."

Jörg studierte Theologie – unter anderem bei Walter Jens. Und lernte, "dass es gute Menschen auch außerhalb der CDU gab" – und "gar nicht so gute in der CDU". Er traf Hans Filbinger, damals Landesvater von Baden-Württemberg – mit NSDAP-Vergangenheit. Verzweifelte daran, dass ein Kurt Georg Kiesinger als ebenfalls NSDAP-Mitglied deutscher Bundeskanzler wurde. Und unter ihm die sogenannten Notstandsgesetze ins Grundgesetz eingefügt wurden. Weshalb Jörg "die intellektuelle Linke" faszinierte – er hatte Sokrates und Plato gelesen, sich mit dem Existenzialismus von Sartre und Camus auseinandergesetzt. Aber die Linke sympathisierte bald auch – zumindest in Teilen – mit der RAF. Was für den "bedingungslosen Pazifisten" nun gar nicht ging. "Da wurden unschuldige Menschen erschossen!"

"Ich lag immer quer zu allen"

Mike Jörg spricht hier in seinem Wohnzimmer im Jahr 2019 davon, wie an solchen Themen "meine Gebrochenheit" sichtbar wird. "Ich lag immer quer zu allen." Und allem. Früh habe ihn der Club of Rome mit seinem Bericht über "Die Grenzen des Wachstums" tief beeindruckt, sein ökologisches Bewusstsein tief geformt. Das wiederum "gebrochen wurde" von den Ökos an den Hochschulen, "die Rauchen" und die 400 Meter zum Seminar mit dem (alten) Auto fahren. "Linke und Ökos sind zudem die totalen Machos", so Jörgs Beobachtung. Und mit viel Bitterkeit sagt er etwas später: "Ich kann nicht verstehen, dass der Homo Sapiens diese Welt so ruiniert."

Fast vier Jahrzehnte hat der heutige Wahl-Nagolder Mike Jörg in Weingarten bei Ravensburg als Hochschulseelsorger gearbeitet, war "mit 100 Kriegsdienstverweigerern in der Verhandlung". Ab Anfang der 1980er-Jahre entdeckte er parallel die Kabarett-Bühne – mit der Gruppe "Volksdampf", später dann mit seinen Soloprogrammen. Durch seine Auftritte erlebte er die Anfänge der "Grünen" im Südwesten, begleitete sie bis in die heutige Regierungsverantwortung. "Mit Kretschmann bin ich per Du", erwähnt Jörg – irgendwie ganz nebenbei. Und erzählt eine Anekdote, wie er bei einer Parteiveranstaltung (einer anderen Partei) mit dem eingeladenen Ehrengast aus der Bundespolitik "schnell mal ein paar Bier holt", und der die ganze Zeit über jenen Parteifreund "in aller übelster Weise herzieht", über den er dann nachher eine jubelnde Laudatio halten würde. Ihn selbst, sagt Jörg, habe dieses Erlebnis schwer verstört, in "eine unfassbare Verlegenheit" gestürzt. "Politik ist ein unheimlich schmutziges Geschäft."

Sein Spitzname in der Jugend: Kasper

Mike Jörgs Blick auf sieben Jahrzehnte Grundgesetz und Bundesrepublik – dieser Blick lebt von diesen ungewöhnlichen, unmittelbaren Erlebnissen eben auch mit den Großen der Zeitgeschichte. Von seinem "permanenten Entsetzen" darüber, was Menschen alles wider besseren Wissens so tun. Über die Sinnlosigkeit von so vielem, was geschieht. Und was gemacht werde. Was Jörg selbst zu der Erkenntnis führt: "Den Sinn" in seinem Leben "kann man immer nur selber herstellen". Durch Kabarett zum Beispiel, um "die Absurditäten des Lebens zu bannen". In seiner Kindheit und Jugend, erzählt Mike Jörg noch, habe er den Spitznamen "Kasper" getragen: "Weil ich wirklich viel Scheiße gemacht habe." Woraus sich schon mal der Berufswunsch Clown beim jungen Mike Jörg entwickeln sollte. Sein Vater habe ihn dann aber doch "zu einem ordentlichen Beruf" – eben Schreiner – "geprügelt". Das Theologie-Studium war dann die einzig akzeptierte Möglichkeit, dem Mief der Kindheit zu entfliehen.

Dass heute in der Erziehung nicht mehr geprügelt werden darf, zeige da irgendwie, dass die letzten 70 Jahre dieses Deutschland auch sehr positiv verändert haben – bis zu den aktuellen "Friday for Future"-Demonstrationen der Jugend. Und die genau machen Mike Jörg heute wieder reichlich "Lust auf Zukunft".

Mike Jörg gastiert mit seinem Programm "70 Jahre Bundesrepublik – ein Satiriker blickt zurück" am Samstag, 25. Mai, ab 19.30 Uhr im Kubus in Nagold. Karten gibt es im Vorverkauf (12 Euro, ermäßigt sechs Euro) bei der VHS Oberes Nagoldtal oder an der Abendkasse (14 Euro/sieben Euro).