Ein Blick aufs Etikett sorgt für eine Erstversorgung an Informationen über den probierten Wein. Fotos: Kunert Foto: Schwarzwälder Bote

Geschmackssache: VHS-Seminar über Fairtrade-Weine mit überraschendem Resümee

Schon eine ungewöhnliche Kulisse für eine Weinprobe: Raum EG3 im Erdgeschoss der Volkshochschule (VHS) Nagold in der Bahnhofstraße. Nüchterne Klassenraum-Atmosphäre: Tafel, Kreide, funktionale Tische und Stühle. Aber es ist Freitagabend. Und die Runde hier ist ziemlich gut aufgelegt.

Nagold. Chef des Abends: Dieter Laquai. Nein, vorgestellt werden muss der Leiter des Arbeitskreises Umwelt und Verkehr im Bürgerforum niemandem mehr. Ihm zur Seite sitzt heute Karsten Lamprecht: Einerseits stellvertretender Leiter des VHS Oberes Nagoldtal, andererseits ist Lamprecht im Arbeitskreis "Fairtrade-Stadt Nagold" engagiert. Und für die gibt es an diesem Abend quasi eine kleine Werbeveranstaltung, denn verkostet werden sollen in den nächsten zwei, drei Stunden ausschließlich Weine aus "Fair-Trade"-Produktion.

Weshalb VHS-Mann Lamprecht tatsächlich erst mal mit einem Werbeblock für die fair gehandelten Produkte (in Nagold) beginnt. Aber dann auch die Frage aufwirft, ob die Weine, die man selbst bei deutschen Winzern direkt einkauft – oder bei einem örtlichen Weinhandel, der ebenfalls selbst direkt beim Winzer einkauft – nicht auch irgendwie "fair" gehandelt seien. Denn auch dabei bleibt der Großteil der Erlöse beim Erzeuger, damit dieser gut von seiner Hände Arbeit leben kann – das Wesen von "Fair Trade".

Womit man mitten drin ist im "didaktischen Anspruch" dieses Wein-Seminars. Denn wenn eine VHS schon mal solch edle Tropfen für so interessierte Genießer kredenzt, geht es (natürlich) um weit mehr als schnöden Genuss. Den "Bildungshorizont" gilt es zu erweitern, weshalb – ganz die modernen Unterrichtsmethoden – es in der Folge keinen langweiligen Frontalunterricht von "Lehrer" Dieter Laquai geben wird. Sondern engagiertes Mitmach-Lernen, "multimedial" begleitet durch Karsten Lamprecht an Laptop und Beamer. Denn so manch aufgeworfene Frage im Laufe des Abends will unmittelbar übers "Worldwideweb" geklärt werden.

Okay, als es denn endlich genug der Bildungstheorie war, war die Ungeduld auf den ersten "Fair Trade"-Wein bei den knapp ein Dutzend Interessierten im Raum auch mit Händen zu greifen: Ein 2018er (Bio) Solombra Torrontès aus Argentinien galt nun die ganze Aufmerksamkeit. "Die Farbe ist leicht grünlich – dann hat er Säure", sagt Tischnachbarin Gudrun. Eine der Expertinnen im Raum, die offenbar immer dabei ist, wenn Wein-Impressario Laquai – sonst allerdings eher im Nagolder Naturfreundehaus – zum gemeinsamen Weinerlebnis ruft. Gudruns Urteil nach den ersten ordentlich "durchgeschnalzten" Schlücken vom edlen Tropfen: "Ich find die deutschen Weine besser!" Laquai selbst findet "den Weißen" mit dem Grünstich "sehr frisch im Geschmack", einer anderen Dame ist er indes "zu fruchtig". Was meint: "Zu viel Zitrus", also wohl zu sauer. Aber die Torrontès-Traube, aus der dieser Wein gekeltert wird, ist spannend – stammt aus Galicien im Nordwesten Spanien, ist in Argentinien zur Haupt-Rebsorte avanciert.

Womit man bei Lamprecht und seinem Laptop ist: Wie alt wohl der Weinbau in Südamerika ist? Oder Südafrika, wo gleich drei der Weine heute Abend her kommen. Eben die Spanier brachten den Wein nach Argentinien – und zwar schon im 16. und 17. Jahrhundert. Später wird ein chilenischer Wein (2017er Lautaro) aus der Carmenère-Traube verkostet – eine Traubenart, die in Europa nach der Reblaus-Katastrophe im 19. Jahrhundert komplett verschwunden ist. Genau auf diesen Wein wartet Gudrun, wie sie sagt – "’ne echte Besonderheit". Tief rot die Farbe dieses Weins. Aber als 2017er für Gudrun dann doch eher eine Enttäuschung: "Zu jung, zu flach." Während man selbst aber eigentlich ganz glücklich ist mit dieser ursprünglichen, offiziellen "Grand Cru"-Traube aus dem französischen Medoc.

"Bis Sonnenuntergang trink ich Weißwein, ab Sonnenuntergang Rotwein"

Und genau das wird übrigens zu einem Faszinosum dieses Abends: So vielfältig die zwei Weiß-, der eine Rosé und die drei Rotweine in ihren Aromen auch sind, die mit steigendem Genuss (und auch Stimmung) hier verköstigt werden, so vielfältig sind auch ganz offensichtlich die Geschmäcker und Präferenzen der Seminar-Teilnehmer. Jeder wählt an diesem Abend irgendwie einen anderen, ganz persönlichen Lieblings-Kandidaten. Zum Beispiel Udo: "Bis Sonnenuntergang trink ich Weißwein, ab Sonnenuntergang Rotwein." Weshalb er für den irgendwie "dazwischen liegenden" Rosé heute Abend (2019er Goue Vallei; Südafrika) so gar keine Verwendung hat. Und sich lieber an den ältesten Wein bei dieser Verkostung hält: ein 2013er "Koopmanskloof Reserve" aus Südafrika, ein "Cuvée" (also eine Mischung) aus den Trauben Cabernet Sauvignon und Merlot. "Sehr ordentlich", lässt ein sichtlich zufriedener Udo vernehmen.

Das "Fair Trade" schmeckt man bei all diesen Weinen irgendwie nicht so heraus. Aber die global gehandelten edlen Tropfen aus aller Welt sollen ja auch eher vor allem ein gutes Gewissen machen – weil mit den Erlösen zum Beispiel vor Ort in den Erzeugerländern Entwicklungsprojekte finanziert werden. Auch wenn dahinter – das machen die Online-Besuche aus dem Seminar heraus auf den Webseiten der verschiedenen Übersee-Kellereien sehr deutlich – durchaus Produktionen im "Industrie-Maßstab" stecken können. Als Exkursion im Rahmen eines solchen (extrem lehr- und "geist"reichen) Seminars schon sehr interessant.

Aber am Ende sind sich alle Teilnehmer einig: "Die einheimischen Weine sind deutlich besser und vielseitiger." Und ja auch irgendwie, wie eingangs beschrieben, unter Umständen auch ziemlich "fair" gehandelt.