Arnulf Rating – ein Kabarettist des alten Schlags – war Gast in der Semihalle. Foto: M. Bernklau Foto: Schwarzwälder Bote

Kabarett: Arnulf Rating als "Tornado" in der Nagolder Alten Seminarturnhalle

Von den drei Tornados ist einer übrig geblieben. Mit seinem Solo "Tornado" kam Arnulf Rating, der alte anarchistische Sponti des Kabaretts, am Samstag nach Nagold in die Alte Seminarturnhalle.

 

Nagold. Die roten Lackschuhe, die Weste zum krass marineblauen Anzug, auch die langen Haare hinter der Glatze: Arnulf Rating gibt den Narren, den klassischen Clown – und ist eine Marke. Die metallenen Koffer gehören dazu, in denen er seine Zeitungsstapel befördert und mit denen er auf die Bühne hechelt. Verspätung. Die Bahn. Pofalla.

Er ist ein Kabarettist des alten und spontanen Schlages. Deshalb ist Nagold auch voll präsent zwischen seinem ausgefeilten Wortwitz, seinen bösen Bonmots und seinen tagesaktuellen Lästereien. Als Beute-Berliner aus der rebellisch-verruchten und verklärten Mauerzeit ist er aber auch ein bisschen der Mann von gestern, der ganz viel Erfahrung und manchmal auch einen leicht lehrhaften Unterton in seine freie Rede einfließen lässt.

In der Zugabe nimmt er sich da selbst auf den langen Arm: als Ratings bezopfte Pflegerin, die in ihrer weißen Schwesterntracht aber auch fürsorglich fürs Tagtägliche einer anderen Kundin zuständig ist, nämlich der Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Zu Arnulf Ratings Standards gehören in diesem Programm eigentlich noch zwei unverkennbare Stilmittel. Zwischendurch zieht er sein Sakko über die Weste, setzt eine brüllend affige Designerbrille auf und gibt den PR-Schwätzer, Typ aalglatter Pressesprecher oder zynischer Werbefuzzi.

Aber dann ist er auch mehrfach der höhnende Bruddler, der die Titelblätter und Schlagzeilen – eine nach der anderen und vorzugsweise natürlich der Bild-Zeitung – herunterblättert und ob ihrer Dummheit und Niedertracht niedermacht. Das hat etwas Archivarisches, auch weil die gesammelten Blätter schon ein paar vergilbte Jährchen unter der Druckerschwärze haben. Die Blütenlese ist auch Nostalgie bei ihm. Demonstrativ mampft er auf offener Bühne ein halbes Hähnchen, wohl echt, und schmäht es als Mischung aus Hormonen, Antibiotika, Glyphosat und Gummi. Der Berliner Rating spottet aber auch über die "vegetarische Fleischerei" im Kiez und über Mustafas weltberühmten Gemüse-Kebap vom feinstaub-verseuchten Mehringdamm, für den die eingefleischten Fans nicht nur stundenlang anstehen, sondern sogar über den Atlantik jetten sollen.

Rating hat die Calwer und Nagolder Wahlergebnisse auf dem Schirm, aber auch die aus dem Osten. Da könne man ja "die Mauer wieder hochziehen". Trump wolle sich seine Mauer von Mexiko bezahlen lassen. Die in Berlin damals, feixt er, "haben wir bezahlt". Und es schwant ihm dann so allerlei skeptische Demokratie-Kritik vom alten Aristoteles an bis zum schottischen Philosophen David Hume. Mengenweise "Nazis in Parlamenten" konstatiert Rating trocken. Auch Hitler sei ja demokratisch gewählt worden.

Er teilt aus. Die katholische Kirche nennt er eine "sexualterroristische Vereinigung". Das Kürzel AKK steht ihm für "Angelas Kanzler-Klon", das Saarland mit seinem überproportionalen Politikeraufkommen von Altmaier bis Maas für das "Nordkorea des Westens". Die Ostländer, allen voran "Mecklenburg-Vorpolen" hält er für "unterfremdet". Ahnungsvoll verkündet Rating, Andrea Nahles lohne keine Kritik mehr. Vielleicht hätte er sich "die Stradivari unter den Arschgeigen" anderntags gespart.

Aber das Netzwerk der "Atlantikbrücke" aus Journalisten, Politikern, Wissenschaftlern und Wirtschaftskapitänen deckt anklagend er auf wie weiland die Kabarett-Kollegen von der "Anstalt". Nachrichtler von Claus Kleber, Wahlerklärer Jörg Schönenborn bis Ingo Zamperoni und Tina Hassel, Politiker von Joschka Fischer über Cem Özdemir bis Friedrich Merz und Merkel – alles Atlantiker, sagt er.

Das bundesdeutsche Parteienspektrum hält Rating – trotz dem einen Meter langen Europawahlzettel – fast komplett für lauter CDU-Varianten.

Die Medien, die sterbende klassiche Presse, die wachsende Werbung haben es ihm besonders angetan. Und da kramt er mit ein bisschen viel Bildungsbeflissenheit den amerikanischen PR-Pionier, Propaganda-Praktiker Edward Barneys heraus und arbeitet sich im zweiten Teil langsam an ihm und an der Manipulierbarkeit der Massen ab. Seine grotesken Beispiele (wie die Raucher-Werbung von Ärzten oder Hitlers Kdf-Volkswagen) sind zwar teils etwas alt und etwas archivarisch. Aber die "Vermessung der menschlichen Seele zu Kommerz-Zwecken", wie er die Algorithmen der neuen Medien nennt, hat doch aktuelle Brisanz.

Das Publikum an den gut besetzten Bistrotischen folgte ihm aufmerksam – auch ohne mit regelmäßigen Lacher-Pointen gefüttert zu werden – einen langen Abend lang und am Ende mit ausdauerndem Beifall.