Interview: Thomas Eisseler von der Urschelstiftung über die ehrenamtliche Arbeit in Krisenzeiten
Nagold. Das Coronavirus hat den Alltag aller auf den Kopf gestellt. Thomas Eisseler, Sprecher des Vorstandes der Urschelstiftung, erklärt im Gespräch mit unserer Zeitung, wie die Pandemie unsere Gesellschaft, Nagolder Vereine und die Urschelstiftung selbst beeinflusst.
Was macht das Coronavirus mit unserer Gesellschaft?
Diese Pandemie führt uns schonungslos vor Augen, wie anfällig unsere Gesellschaft und unsere Art zu leben tatsächlich ist. Unserem permanenten Streben nach "Größer, Weiter, Mehr" wurden Grenzen aufgezeigt mit nicht abschätzbaren Folgen in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht. Mein Eindruck ist, dass diese Krise bei vielen Menschen ein Umdenken bewirkt hat. Der Umgang mit unserer Umwelt, die negativen Folgen eines maßlosen Massentourismus, die Auswirkungen unserer Abhängigkeit durch die zunehmende Globalisierung und vieles mehr wird zumindest kritisch hinterfragt.
Wie geht es den Nagolder Vereinen? Gab es bereits "Hilferufe"?
Mir persönlich ist derzeit nicht bekannt, dass sich Nagolder Vereine in existenziellen Notlagen befinden. Ich bin allerdings überzeugt, dass sich diese Situation mit Fortdauer der Krise durchaus ändern kann. Neben den normalen Mitgliedsbeiträgen sind die meisten Vereine auf Spenden und auf Einnahmen aus unterschiedlichsten Veranstaltungen angewiesen. Da auch die Spendenaufkommen in Krisenzeiten erfahrungsgemäß nachlassen, sind die vielen in diesem Jahr ausgefallenen Veranstaltungen für die Vereine eine echte Katastrophe.
Welche Form von Unterstützung könnten die Vereine in naher Zukunft benötigen?
Wichtig ist aus meiner Sicht vor allem, dass die Mitglieder und Förderer der Vereine auch in dieser Krise die Vereine weiterhin tatkräftig und auch finanziell im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten unterstützen. Es würde sicherlich schon sehr helfen, wenn Mitgliedschaften nicht gekündigt werden oder bereits bezahlte Beiträge oder Gebühren für Kurse, die nicht stattfinden konnten, nicht zurückgefordert werden. Wünschenswert wären sicherlich auch unbürokratische staatliche Hilfen, da die ehrenamtliche Tätigkeit unserer Vereine und anderer Organisationen ein unschätzbarer Pfeiler unserer Gesellschaft ist.
Was tut sich im Ehrenamt? Wie erfreulich ist es, dass es in Krisenzeiten viele rührige Menschen gibt?
Wir haben in Nagold unglaublich viele Bürgerinnen und Bürger, die ehrenamtlich aktiv sind und sich gerade in Krisenzeiten wie diesen sehr engagieren. Die Menschen stehen zusammen und unterstützen sich gegenseitig. So wurde beispielsweise die Aktion "Nagold hilft Nagold" von der Stadtverwaltung ins Leben gerufen. Die Urschelstiftung und andere haben kleine Konzerte am Seniorenheim Martha Maria oder am stationären Hospiz in Nagold gegeben und auch die großartige Arbeit der Bediensteten in den Alten- und Pflegeheimen und im Krankenhaus wurde zum Beispiel durch Obstlieferungen unterstützt.
Was macht die Urschelstiftung zurzeit?
Für den Vorstand der Urschelstiftung ist es gerade in diesen Krisenzeiten ein großes Anliegen, im Rahmen der Möglichkeiten besonders betroffenen Bürgerinnen und Bürgern zu helfen. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit bildet momentan die Erarbeitung eines Konzepts für einen Corona-Sozialfonds Nagold. Wir sind uns sehr bewusst, dass sich die negativen finanziellen Folgen dieser Krise für viele Menschen beziehungsweise Familien erst in den kommenden Wochen und Monaten wirklich zeigen werden. Das Ziel dieses Fonds ist es, den bedürftigen Menschen dort zu helfen, wo unsere sozialen Sicherungssysteme nicht oder nicht ausreichend greifen. Um die Mittel möglichst zielgerichtet, schnell und effizient einsetzen zu können, arbeiten wir sehr eng mit anderen gemeinnützigen und karitativen Organisationen zusammen.
Mit welchen Schwierigkeiten hatte man in dieser ungewöhnlichen Zeit zu kämpfen?
Für uns bildet das Bürgerzentrum den Mittelpunkt unserer Aktivitäten. Hier besprechen und organisieren wir unsere Arbeit, tauschen uns mit anderen Organisationen aus und führen Veranstaltungen durch. Die Schließung des Bürgerzentrums hat uns daher vor neue Herausforderungen gerade in Sachen Kommunikation gestellt. Zwar gehören wir bei der Urschelstiftung nicht gerade zu den sogenannten "Digital Natives", aber wir haben wie viele andere auch sehr schnell gelernt, uns mittels Tele- und Videokonferenzen zu arrangieren.
Zu welchen Spenden oder Aktionen kam es in den vergangenen Wochen durch die Urschelstiftung?
Aufgrund der Corona-Krise kam es in den vergangenen Wochen praktisch zu keinen Leistungen oder Spenden an Einrichtungen und Organisationen, die wir normalerweise unterstützen. Dafür haben wir unterschiedlichste Aktionen finanziert und umgesetzt wie beispielsweise die musikalische Unterhaltung der Heimbewohner und Bediensteten des Seniorenheims Martha Maria, die Lieferung von Obst zu Ostern oder die Versorgung des Personals des Corona-Testzentrums auf dem Eisberg mit allerlei Lebensmitteln und Getränken. Der Förderverein der Kliniken Nagold erhielt eine Spende für Obstlieferungen an die Bediensteten der Klinik in Nagold. Außerdem haben wir unser sehr beliebtes "Hirnjogging" in digitaler Form angeboten.
Welche Projekte und Veranstaltungen standen auf dem Jahresprogramm, die nun nicht mehr stattfinden können?
Uns ist es genauso ergangen wie den meisten anderen Vereinen und Organisationen. Sämtliche von uns in diesem Jahr geplanten Veranstaltungen wie die Sommermusik im Bürgerzentrum, das Urschelfest auf der Burg und der zu Gunsten der Urschelstiftung jährlich organisierte Urschel-Spendenlauf sind der Pandemie zum Opfer gefallen. Ich gehe davon aus, dass auch der Urschelherbst in Nagold ausfallen wird, an dem wir immer sehr gerne präsent sind. Persönlich bedauere ich sehr, dass wir auch unser Umweltprojekt "Urschelstiftung goes green" in das nächste Jahr verschieben mussten. Dieses Projekt wurde gemeinsam mit dem Jugendgemeinderat entwickelt und sollte im Oktober dieses Jahres unter Einbindung nahezu aller Schulen in Nagold stattfinden. Mit diesem Projekt soll auf das Problem der Verunreinigung im Stadtgebiet durch achtloses Wegwerfen von Verpackungs- und Fastfood-Müll aufmerksam gemacht werden. Gleichzeitig sollen umweltfreundliche Alternativen aufgezeigt werden. Das Engagement der beteiligten Jugendlichen ist wirklich beeindruckend und wir werden dieses Projekt im Frühjahr 2021 sicher wieder anstoßen.
Besteht bei einzelnen Veranstaltungen noch Hoffnung, dass diese noch in diesem Jahr nachgeholt werden können?
Ich bin zwar ein sehr optimistischer Mensch, aber ich denke nicht, dass wir aufgrund der nach wie vor existierenden Infektionsgefahr noch größere Veranstaltungen nachholen können.
Wie sieht es mit dem Bürgerzentrum aus? Ist es mittlerweile offiziell geöffnet?
Erfreulicherweise ist das Bürgerzentrum seit gut zwei Wochen offiziell wieder geöffnet und die Nutzer des Bürgerzentrums bieten nach und nach ihre Dienste wieder an. Allerdings ist die Nutzung an strenge Hygieneauflagen geknüpft und auch die Anzahl der Personen in den Räumlichkeiten ist begrenzt. Wir haben ein Hygienekonzept erarbeitet und stimmen die Vorgehensweise sehr eng mit dem Nagolder Ordnungsamt ab.
Welchen Stellenwert hat das Bürgerzentrum für die Nagolder?
Dass etwa 30 ehrenamtliche Organisationen und städtische Institutionen sowie die VHS Oberes Nagoldtal das Bürgerzentrum für ihre Aktivitäten nutzen, zeigt die herausragende Bedeutung des Bürgerzentrums für das bürgerschaftliche Miteinander in unserer Stadt. Im Übrigen wurde die Urschelstiftung im Jahr 2019 von der "Stiftung Aktive Bürgerschaft" für dieses einmalige Modell mit einem Preis ausgezeichnet.
Wenn sich die Lage beruhigen sollte und wieder die "Normalität" einkehrt: Worauf freuen Sie und Ihre Kollegen sich bereits am meisten? Ich bin überzeugt, dass sich alle am meisten wieder auf die persönlichen Begegnungen freuen und dass ein Händedruck oder eine Umarmung wieder zwanglos möglich sein werden. Wir haben vieles vor und wollen unseren Beitrag für ein gutes bürgerschaftliches Miteinander in unserer schönen Stadt leisten. Da hat uns das Virus zwar etwas ausgebremst, aber mit Sicherheit lassen wir uns davon nicht stoppen. Die Fragen stellte Giuseppe Schillaci