Der Plan zur Ausstellung: Verena Kraft machte sich intensive Gedanken zur Anordnung der Objekte. Foto: Schwarzwälder-Bote

Ausstellung: Verena Kraft zeigt im Steinhaus von ihr modellierte Tonköpfe von Holocaust-Überlebenden

Sprechen wir es aus: Die Ausstellung "Gegenwart – ich und du" im Museum Steinhaus mit Bildnissen von Zeitzeugen des Holocaust, die die heute in Nagold lebende Künstlerin Verena Kraft geschaffen hat, wird keine leichte Kost. Man muss es wollen, diese Erinnerungen an das Undenkbare lebendig zu halten.

Nagold. Das Undenkbare: "Wie konnte es dazu kommen – dass man Menschen derart drangsaliert?", fragt Verena Kraft. "Dass man ihnen sogar das Recht auf die eigene Unterwäsche abspricht." Und auch: "Warum sagt niemand etwas, warum steht keiner auf, erhebt sich gegen dieses offensichtliche Unrecht?"

Verena Kraft – eigentlich "Verena Krafft von Dellmensingen", so ihr vollständiger Geburtsname – ist heute 75 Jahre alt. Das heißt, zu Zeiten des Holocaust war sie ein (ganz) kleines Kind – das doch viele eindrückliche Erinnerungen von damals bis heute mit sich herumträgt. Die Flucht aus Berlin weg zu den Verwandten in der bayerischen Provinz. Die Güterzüge voller KZ-Insassen, die in dem bayerischen Dorf – wie sie selbst – vor den Angriffen der Amerikaner in Sicherheit gebracht wurden; ja, auch das gab es. Und auch diese zornige, verbitterte alte Frau aus einem dieser Züge, die sich damals vor eines der Dorf-Häuser setzte und der genauso neugierigen wie erschrockenen Dorfjugend sagte, dass sie unbedingt noch zwei Kinder von deutschen Soldaten töten wolle – als Preis wohl für den eigenen Schmerz, der ihr zugefügt worden war.

"Es geht nicht um das Abbilden von Gesichtern"

"Diese Frau war fremd mit ihren dunklen Augen, den dunklen Haaren, aber auch eindrucksvoll", erinnert sich Verena Kraft heute. Faszinierend. Und schrecklich. Das kleine Mädchen, das Verena Kraft damals war – eben selbst eines dieser Kinder eines deutschen Soldaten – hat diese Bilder niemals mehr vergessen. Die Verwirrung, das Ungeklärte, die Mischung aus Schuldbewusstsein, Angst und trotziger Wut mit kindlicher Neugier und echtem Interesse. Vielleicht – trotz allem – Zuneigung. Oder gar (Nächsten)Liebe?

So ziemlich zur selben Zeit setzte irgendwer im Winter die vierjährige Verena ein allererstes Mal auf einen Schlitten, oben an einem Abhang. Alle Kinder, die neben ihr auf anderen Schlitten saßen, warfen ihre Körper vor und zurück, um die Schlitten unter sich in Bewegung zu versetzen. Die Vierjährige tat es ihnen gleich – und raste mit einem mal allein ihrem Unglück entgegen: Ein Holzpfahl stoppte die rasante Talfahrt, spaltete der Kleinen den Schädel. Der Schmerz sollte Verena Kraft ab da zeitlebens niemals mehr verlassen. Die Zerbrechlichkeit von Köpfen – hier lernte das Mädchen von damals, was das bedeutete. Um es Jahrzehnte später zu ihrer ganz persönlichen Metapher für die Auseinandersetzung mit dem Holocaust werden zu lassen.

Verena Kaft sitzt am Esstisch ihrer Nagolder Wohnung. Noch sind die ein Dutzend Tonköpfe, die sie mit den Jahren angefertigt hat, auf Regalen in der Küche aufgestellt. Sind immer präsent – optisch, aber auch emotional. "Es geht nicht um das Abbilden von Gesichtern." Verena Kraft hatte einst als Künstlerin mit Malen angefangen – eigentlich immer schon. Mit ihrem ehemaligen Kunst- und Lebenspartner Kurt Petz war sie später Liebling der deutschen und internationalen Kunst-Performance-Szene.

Eine Buße? Verena Kraft lässt diese Frage unbeantwortet

Eine ihrer Arbeiten aus dieser Zeit hieß "Reinheit": ein Zeitungsfoto zeigt, wie in Wien jüdische Bürger unter Polizeiaufsicht gezwungen wurden, willkürlich ausgeschüttetes Wasser auf öffentlichen Plätzen mit Putzlappen aufzuwischen. In einem Keller stellten Petz und Kraft vor Publikum die Szene symbolisch nach; wobei Kraft kniend selbst mit einem Putzlappen stetig nachfließendes Wasser aufnimmt und über einem goldenen Kübel auswringt.

Eine Buße? Verena Kraft lässt diese Frage unbeantwortet. Später wird sie in Bezug auf ihre bevorstehende Ausstellung einen klugen Satz von Novalis zitieren: "Erklärungen sind verdaute Geheimnisse." Die Leute sollen sich aber viel lieber selbst auf den Weg machen, die Kunst, die Plastik, die Performance zu durchschauen. Das Geheimnis zu ergründen. Und was das alles mit ihnen selbst zu tun hat. Für Kraft war auch die Arbeit mit den Holocaust-Opfern, die ihr Modell saßen, eher solch eine Performance. Aktionskunst, bei dem etwas passierte – zwischen den Dargestellten und dem Medium der Darstellung. Pure Emotion. Manchmal eine Annäherung. Manchmal kalt und bitter.

Und manchmal auch nur einfach auf eine sehr seltsame, vielleicht aber doch auch schwierige Art und Weise sehr komisch: "Ich habe mich niemals getraut, meinen Modellen während der Sitzungen zu sagen, ›das muss noch gebrannt werden‹ oder ›das muss noch in den Ofen‹", womit natürlich der Werkstoff "Ton" gemeint war, aus dem die Köpfe von Verena Kraft modelliert sind – und der seine finale Festigkeit eben erst durch den Brennvorgang erhält. Das wäre sicher ein zu krasser Fauxpas gewesen angesichts der Millionen, die in den Verbrennungsöfen der Nazis starben. Doch einer ihrer männlichen Modelle nahm das Erlebnis bei der Arbeit mit Verena Kraft tatsächlich mit sehr viel Humor, sagte irgendwann von sich aus über "seinen" Tonkopf: "Und ich hab gedacht, ich muss nicht noch mal in den Ofen...!?" – Woraufhin sie beide herzhaft hätten lachen müssen. Vielleicht nicht der schlechteste Weg, mit einer unfassbar schrecklichen Vergangenheit umzugehen.

Die Ausstellung "Gegenwart – ich und du" im Museum Steinhaus in Nagold wird am Dienstag, 24. Oktober, um 17 Uhr mit einer Vernissage eröffnet. Die Begrüßung übernimmt Bürgermeister Hagen Breitling. Im Anschluss wird der Münchener Philosoph Roland Poellinger einen Einführungs-Vortrag halten unter dem Titel "Wenn Tonköpfe uns Seelenblinden erzählen – Über das Momenthafte und das Dauerhafte in Gegenwart". Die Ausstellung wird bis zum 12. November zu besichtigen sein.