Kurt Brei (Dritter von rechts) mit dem Ausschuss seiner Selbsthilfegruppe. Derzeit ist das Vereinsleben in der ASM zum Erliegen gekommen, aber engen Kontakt halten die Mitglieder untereinander weiterhin. Foto: ASM Foto: Schwarzwälder Bote

Interview: ASM-Vorsitzender Kurt Brei über das Vereinsleben in einer Krisensituation und seine Hoffnungen für die Zeit danach

Nagold. "Ich bete dafür, dass die Menschheit durch diesen Schlag etwas gelernt hat." Kurt Brei (59), CDU-Stadtrat und Vorsitzender der Aktiven Selbsthilfegruppe Miteinander, spricht im Interview über Stillstand in seinem Verein, über Verantwortung und Vertrauen in diesen Tagen.

Wie weit hat Corona beruflich wie privat Ihr Leben verändert?

Ich wurde von der Arbeitsagentur freigestellt, da mein Bereich in Terminerinnerungen liegt. Ich habe daher dienstfrei und hoffe doch, dass ich bald wieder zur Arbeit gehen kann.

Sie sind ein offener und kontaktfreudiger Mensch. Trifft Sie die Kontaktsperre besonders?

Ja, dies macht mir sehr viel aus, da mir direkte Kontakte und Gespräche sehr wichtig sind. Aber ich weiß, wie ich mir helfen kann, da gibt es Mail und Telefon und Handy.

Sie haben die Selbsthilfegruppe ASM für Behinderte und Nichtbehinderte aufgebaut. Was geht in Ihnen vor, wenn in Ihrem Verein das öffentliche Leben so gut wie zum Erliegen kommt? Wenn nichts mehr stattfindet?

Dies tut mir sehr weh. 30 Jahre etwas Traumhaftes, Einmaliges in Deutschland aufgebaut. Das Leben wurde aktiv in der ASM gelebt und dieser Fast-Stillstand geht mir doch sehr an die Seele und mein Innenleben. Ich beschäftige Menschen, die die Regeln einhalten müssen, sei es im Büro oder im Tierbereich, im Einkaufsdienst und Begleitdienst und halte mit Abstand Gespräche mit ihnen oder über das Telefon oder Handy. Aber es tut schon weh. Aber ich achte sehr darauf, dass meine Gedanken, die Gefühle positiv bleiben. Man hat auch eine Verantwortung diesen Menschen gegenüber.

Wie halten Sie Kontakt zu Ihren Mitgliedern?

Der Kontakt ist das Wesentliche: per Telefon, PC, Handy, oder – mit entsprechendem Abstand – in Einzelgesprächen.

Für viele sind Sie ja Vorsitzender und Therapeut in einem. Spüren Sie das in diesen Tagen besonders?

Ja sehr. Das Sorgentelefon bleibt in der Nacht kaum mal still. Ich möchte immer mit gutem Vorbild vorangehen und bin auch sehr froh, dass viele Menschen mich anrufen und das Vertrauen haben. Ich mache mit Überzeugung den Mund auf, wenn Regeln nicht eingehalten werden, sei es in der ASM oder auf der Straße.

Mit welchen Sorgen und Nöten kommen die Leute derzeit zu Ihnen?

Ängste, Unsicherheit. Wie wird wohl die Zukunft aussehen? Wer ist noch für mich da? Wer hört mir zu? Und viele sorgen sich auch um andere einsame Menschen. Und diese Menschen, die sich viele Gedanken machen, die sich total einsetzen, möchten darüber reden.

Wie weit ins Jahr hinein planen Sie überhaupt noch Ihre Vereinsaktivitäten?

Der 9. Tag der Begegnung für Behinderte und Nichtbehinderte steht am Sonntag, 12. Juli, im Terminkalender. Die Entscheidung, ob er stattfindet, wird erst Mitte Mai gefällt. Ansonsten haben wir erstmal die Gruppenangebote, Vorträge und Vorführungen bis Ende April ausgesetzt, dann sehen wir weiter. Wichtig ist, dass nicht alles übers Knie gebrochen wird, denn absagen kann man immer. Aber das Planen, die Ideen sind einfach wichtig. Allein für das eigene Ego – und für die Menschen. Dass man was tut und nicht den Kopf in den Sand steckt.

Viele vor allem ältere und kranke Menschen trauen sich in diesen Tagen nicht ins Freie – aus Angst vor etwas, das sie nicht sehen können. Die Angst vor etwas Unsichtbarem ist für Sie als Blinder wahrscheinlich nichts Neues. Wie lernt man damit umzugehen?

Man ist sehr auf sich konzentriert. Man hört und man macht sich seine Gedanken. Auch wenn es sich vielleicht für den Sehenden etwas seltsam anhört: Manchmal ist die Blindheit in solch einer Situation auch ein Schutz, denn man denkt und man achtet viel mehr auf sich und wird durch vieles nicht abgelenkt. Man kennt die Regeln, man weiß, wie man sich verhalten soll.

Wie schöpfen Sie Kraft in diesen Tagen?

Mein Glaube, meine Frau, meine Kinder, von den Menschen, die mir das Vertrauen schenkten, die Sonne, die Vögel, die für uns singen, unsere Tieroase, die ASM und das Wissen, ich werde gebraucht. Und ganz klar, Lando, mein Blindenführhund, der immer an meiner Seite ist.

Werden Sie nach Corona an Ihrer Lebensplanung irgend etwas ändern?

Mit Sicherheit. Noch mehr den Mund aufmachen, öfter in mich reinschauen, noch mehr für ein Miteinander einsetzen. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens immer positive Gedanken gehabt, sonst hätte ich dies niemals erreicht. Also werde ich versuchen, weiter so zu bleiben, wie ich bin, und weiterhin Ziele, Aufgaben, Ideen anzugehen. Und ja, ich werde mehr beten dafür, dass die Menschheit durch diesen Schlag etwas gelernt hat. Achtsam zu sein aufs Miteinander. Und ich hoffe, dass viele Menschen ihr stures Ego ablegen. Denn nur gemeinsam können wir was zum Positiven verändern. Ja, dafür bete ich mehr und werde mich mehr denn je dafür einsetzen.

 Die Fragen stellte Roland Buckenmaier