Foto: Foto: Schwarzwälder-Bote

Grünen-Landtagskandidat Johannes Schwarz bleibt gegen Parteikollegen eher blass

Von Axel H. Kunert

Das Thema Flüchtlinge bewegt Deutschland. Auch Nagold. Und spaltet die Nation. "Wir schaffen das" gegen "Es geht nicht mehr".

Nagold. Christliche Nächstenliebe und Humanismus gegen überlastete Bürokratie und Angst vor Überfremdung. Ein Konflikt, der auch die baden-württembergische Regierungspartei der Grünen durchzieht. Zwei Vertreter der beiden innerparteilichen Lager trafen sich nun zum Streitgespräch im Nagolder Kubus: Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer und der Landtagskandidat für den Kreis Calw, Johannes Schwarz.

Moderiert wurde das Streitgespräch von Götz Kanzleiter, Diakon und Synodaler der Evangelischen Landeskirche. Und der machte gleich deutlich: Dieser Konflikt ist auch ein ganz individueller Konflikt jedes Einzelnen, denn es sei schwierig, sich in der Komplexität der Situation und Argumente zu einer konsequenten eigenen Haltung – so oder so – durchzuringen. Schließlich seien es schon verdammt viele Flüchtlinge, die sich da weltweit auf dem Weg befänden. 60 Millionen derzeit. Und irgendwann seien eben auch die deutschen Kapazitäten einfach erschöpft. Doch wo liegt die Grenze dessen, was Deutschland aktuell an Flüchtlingen verkraften könne?

Boris Palmer, aktuell gern gesehener Gast in Talkshows und dem politischen Feuilleton mit seinen provokanten Aussagen, Deutschland Kapazitäten seien erschöpft, doch auch überraschend klare Aussage dazu: "Die Million Flüchtlinge, die da sind, bekommen wir gut integriert." Und auch die Notwendigkeit für eine echte Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte sehe er – 500 000 pro Jahr würde die deutsche Wirtschaft bald brauchen, weil nicht genug eigener Nachwuchs "produziert" werde. Aber das setze voraus, dass man hierzulande anfange, den Zuzug – und eben die echte Zuwanderung – zu organisieren. Und nicht erst einmal jeden ins Land lasse, der eben wolle. Um dann mit einer völlig überforderten Bürokratie zu schauen, wer eigentlich bleiben dürfe und wer nicht. Mit der Konsequenz, dass alle bleiben dürften, weil sie wegen der langsamen Bürokratie schon zu lange da seien, als dass man sie wieder abschieben könnte.

Palmers präzise Forderungen – vor allem an die Bundesregierung: Ein proaktives Einwanderungsrecht, und zwar schnell. Eine Organisation der Flüchtlingsströme bereits ab den europäischen Außengrenzen. Ein Abweisen bereits dort all jener, die gar kein Recht auf Asyl in Anspruch nehmen dürften.

Wobei Palmer darauf hinwies, dass zwischen politischem Asyl, wie es das Grundgesetz jedem hierzulande garantiere, und der humanitären Flüchtlingshilfe nach der Genfer Konvention, zu der sich auch die anderen europäischen Staaten verpflichtet hätten, zu unterscheiden sei. Nur ein Prozent der derzeit Ankommenden seien echte politische Verfolgte, so Palmer. "Die sind nicht das Problem."

Mit rechtsextremem Positionen hätten seine Forderungen zudem nichts zu tun, so Palmer. Sondern nur mit gesunden Menschenverstand. "Ich will eine vorausschauende Politik machen." Und das verlange er auch von der Bundesregierung und Europa. Palmer erinnerte daran, dass die Flüchtlingswelle mit Ansage kam. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte lange schon zusätzliche Stellen gefordert, um auf die erwartete Flüchtlingswelle vorbereitet zu sein. Doch anstatt diese rechtzeitig zu schaffen, wurde deren Leiter, der diese Forderungen immer gestellt hatte, geschasst, als die Welle dann da war.

"So etwas ist unsinnig", sagt Palmer, der darauf verweisen kann, dass er selbst in seiner Stadt sehr frühzeitig auf die sich abzeichnende Situation regiert habe: Bereits vor einem Jahr habe er als Tübingens OB Besitzer von ungenutzten Wohnraum angeschrieben, deren Kapazitäten er nun für die Unterbringung der Flüchtlinge nutzen könne. "Aber das Aufnahmelimit ist jetzt überschritten."

Bei soviel profilierter und pointierter Argumentation hatte übrigens Calws Grüner Kreistagsfraktionsprecher Johannes Schwarz, auf dessen Einladung Palmer nach Nagold gekommen war, einen eher schweren Stand. Schwarz tat sich vor den voll besetzten Reihen im Kubus schwer, seiner Gegenposition von "Wir müssen zu unserer humanitären Verantwortung ohne Abstriche stehen" echtes Gewicht zu verleihen. Zu durchdacht, zu stimmig die zwar komplexen, aber klar nachvollziehbaren Positionen Palmers – der damit die "Abstimmung des Publikums durch Applaus-Anteile" klar für sich verbuchen konnte. Und wohl als Sieger dieses Streitgesprächs gelten darf. Wobei Palmer klipp und klar stellte, dass er trotzdem "ein echter Grüner" sei. Der seine Bahn zurück nach Tübingen pünktlich erwischen müsste.