Gutachterin zu Sorgerechtsregelungen: Charlotte Michel-Biegel über den Amoklauf in Lörrach und Hilfen hier vor Ort.
Kreis Calw - Der Amoklauf einer Frau in Lörrach schockt die Republik und lässt derzeit noch viele Fragen offen. Was ist das Motiv für die Tat? Was für eine Rolle spielte dabei die Trennung von ihrem Mann? Über dieses Thema sprachen wir mit Charlotte Michel-Biegel. Sie ist Erziehungswissenschaftlerin und Diplom-Sozialarbeiterin und erstellt Gutachten und Stellungnahmen bei Sorgerechtsregelungen und ist Verfahrensbeistand.
Die Trennung von ihrem Mann hat beim Amoklauf einer Frau in Lörrach wohl eine große Rolle gespielt. Wie kann es durch eine Trennung zu einer solchen Eskalation kommen?Auch wenn es sehr oft so leicht aussieht: Bei den meisten Paaren ist die Trennung sehr schmerzhaft. Es heißt Abschied nehmen von Träumen, von Gewohnheiten, von Zukunftsvorstellungen. Manchmal sind alle Werte und das ganze bisherige Leben infrage gestellt. Eine solche Eskalation ist natürlich eine Ausnahme. Hier scheint sich alles potenziert zu haben. Möglicherweise haben eine psychische Grundproblematik und das Gefühl der Ausweglosigkeit zur blinden Aggression geführt. Die Frau hatte in ihren Augen "nichts mehr zu verlieren", und sie hatte die Möglichkeit: die Waffen.
Welche Rolle spielen dabei die Kinder/das Kind?
Wenn man nach einer Trennung seelisch sehr verletzt wurde, verliert man oft den Blick für die Bedürfnisse und das Wohl der Kinder. Viele Eltern können – zumindest in der Anfangsphase der Trennung – nicht unterscheiden zwischen der Eltern- und der Paarebene. Oft wird in gerichtlichen Auseinandersetzungen geklärt, wo das Kind lebt und wann es den anderen Elternteil besucht. Und auch, wenn das geklärt ist, gibt es viele Möglichkeiten, dem Anderen – vielleicht unbewusst – eins auszuwischen. Was niemandem nutzt und die Kinder ständig in Konflikte bringt.
Auch im Kreis Calw trennen sich Paare. Gibt es denn Fälle, in denen es zu Gewaltausbrüchen kommt?
Natürlich gibt es auch in unserem beschaulichen Kreis schlimme Gewaltausbrüche. Auch wenn sich diese in den meisten Fällen innerhalb der Familie abspielen oder nicht so offensichtlich körperlicher Art sind. Aber da kann sicherlich die Polizei mehr erzählen, denn die Gewalt zu Hause findet meistens abends oder am Wochenende statt.
Welche Hilfsangebote können Paare in der Region denn in Anspruch nehmen, damit eine Scheidung/Trennung nicht aus dem Ruder läuft und in einigermaßen geordneten Bahnen verlaufen kann?
Bei Sorgerechtsregelungen hat der Gesetzgeber für das Kind einen Verfahrensbeistand vorgesehen, welcher vom Familiengericht dem Kind beigeordnet ist und als "Anwalt des Kindes" dessen Interessen wahrnimmt. Dieser hat während seiner Gespräche mit den Beteiligten auch Möglichkeiten, den Eltern zum Wohle des Kindes Beratung anzubieten. Allerdings ist seine Aufgabe mit dem Beschluss des Gerichts beendet. Weiter hat das Gericht noch die Möglichkeit, eine Umgangspflegschaft einzurichten.
Für ein halbes Jahr oder länger werden die Eltern dann vom Umgangspfleger begleitet und sind Ansprechpartner bei Unsicherheiten. Der Umgangspfleger ist unabhängig und jederzeit für Eltern und Kinder da. Diese Einrichtung halte ich für sehr sinnvoll, denn oft fehlen nur Verständnis und Impulse für einen neuen Blickwinkel. Dies dauert seine Zeit, kostet aber auch Geld. Zudem gibt es von den diakonischen Stellen im Kreis Gesprächs-Angebote, welche die ehemaligen Partner zur besseren Kommunikation befähigen sollen. In der Volkshochschule in Nagold bieten wir am 12. Oktober einen Abend zum Thema "Gute Wege nach einer Trennung" an. Jeder, der irgendwie betroffen ist, also neben Eltern auch Großeltern oder andere, ist da angesprochen.
- Die Fragen stellte Sebastian Bernklau