Stuckateure am Werk: Der Meister Walter Armbruster (l.) und der Geselle Jawad Al Wasni haben mit Hilfe eines sogenannten Seniorpartners zusammengefunden. Foto: Lessat

Trotz Fachkräftemangel kritisieren Betriebe die fehlende Ausbildungsreife von Jugendlichen.

Stuttgart - Die Bilanz könnte kaum besser sein. Mit einem Umsatzplus von sieben Prozent auf 18,5 Milliarden Euro haben die Handwerksbetriebe in der Region Stuttgart das Jahr 2011 abgeschlossen. Zwar erwarten die rund 30 000 Unternehmen für das laufende Jahr ein ruhigeres Wachstum, wie die jüngste Konjunkturumfrage der Handwerkskammer Region Stuttgart zeigt. Doch die Stimmung bleibt weiterhin sehr gut. „Es ist wieder mit deutlich mehr Personalaufbau im Handwerk zu rechnen”, nennt Claus Munkwitz, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, einen erfreulichen Nebeneffekt auf die Beschäftigungslage. So plane jeder siebte Betrieb in der Region Neueinstellungen. Personal abbauen wollen dagegen nur vier Prozent. Doch mehr Mitarbeiter zu gewinnen ist schwierig. Auch im Handwerk entwickelt sich der Mangel an Fachkräften zum Hemmschuh wirtschaftlicher Expansion.

Nicht nur Meister und Gesellen, erst recht der Nachwuchs macht sich rar. Zwar wurden in der Region Stuttgart bis zur Jahresmitte 2012 immerhin 1314 Ausbildungsverträge abgeschlossen. „Dies ist ein leichtes Plus von 0,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum”, berichtet Gerd Kistenfeger, Sprecher der Handwerkskammer. „Wir haben aber noch extrem viele offene Ausbildungsplätze”, fügt er hinzu. Allein in der Ausbildungsplatzbörse der Kammer im Internet sind etwa 1200 offene Lehrstellen aus allen Branchen gemeldet. Regionweit dürften einige Hundert Plätze mehr zu besetzen sein, da nicht alle Mitgliedsbetriebe im Internet nach Azubis fahnden. „Jugendliche haben mehr Chancen denn je, einen Ausbildungsplatz zu finden, auch in ihrem Wunschberuf”, betont Kistenfeger. Im Widerspruch dazu stehen die aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zu den „unversorgten Bewerbern für Berufsausbildungsstellen”.

Derzeit suchen ungefähr 1730 Jugendliche einen Ausbildungsplatz

Allein im Bereich der Stuttgarter Agentur, die neben der Landeshauptstadt auch Böblingen abdeckt, suchen derzeit ungefähr 1730 Jugendliche einen Ausbildungsplatz. Mit etwa 745 Suchenden stellen die Schulabgänger mit Hauptschulabschluss die größte Gruppe dar. Gerade sie gelten als Zielgruppe für einen Berufsstart im Handwerk. „Oft fehlt es den Jugendlichen an der Ausbildungsreife”, nennt Gerd Kistenfeger einen Grund, warum Schulabgänger und Betriebe nicht zusammenfinden. Welche Fähigkeiten ein Aspirant für eine dreijährige Ausbildung im Handwerk mitbringen muss, hängt vom Profil des einzelnen Berufs ab. Die Ansprüche sind recht unterschiedlich in den 130 Handwerksberufen. Geschicklichkeit und Kreativität werden vom angehenden Goldschmied eher erwartet als vom Straßenbauer, bei dem eher technisches Verständnis und körperliche Fitness ausschlaggebend sind.

Unabhängig von der Berufswahl sind jedoch Flexibilität sowie Engagement und vor allem gute Noten in Deutsch und Mathe essenziell, um den ersten Schritt auf den sprichwörtlich goldenen Handwerksboden zu setzen. Und gerade schlechte Abschlusszeugnisse bremsen viele Abgänger auf dem Weg ins Berufsleben, sagen Kammer und Meister unisono. „Viele junge Leute wissen gegen Ende ihrer Schulzeit oft auch nicht, welchen Beruf sie ergreifen sollen”, nennt Günter Königsdorf einen weiteren Grund. Der 72-jährige Pensionär kennt Gedanken und Gefühle Heranwachsender inzwischen gut. Seit sechs Jahren begleitet er Schüler der Stuttgarter Heusteigschule beim Übergang ins Berufsleben. Königsdorf ist einer von derzeit 75 ehrenamtlichen Seniorpartnern des Projekts „Startklar”, das die Stadt Stuttgart im September 2004 unter Federführung der Abteilung für Integrationspolitik an Hauptschulen der Stadt ins Leben rief. In „Startklar” lernen und trainieren die Schüler der Klassen acht und neun in Kleingruppen unter Anleitung der berufs- und lebenserfahrenen Seniorpartner.

„Diese geben ihre eigenen Erfahrungen an die jungen Menschen weiter, entdecken gemeinsam mit den Schülern individuelle Stärken, besichtigen Ausbildungsbetriebe, schaffen Kontakte zu möglichen Ausbildungsbetrieben und helfen ihnen dabei, ein eigenes Bewerbungsprofil zu entwickeln”, so die Projektbeschreibung. Über eine gemeinsame Trägerschaft vermittelt die Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart Kontakte zu Unternehmen und Ausbildungsleitern. Mittlerweile gibt es „Startklar” an sieben Hauptschulen in der Landeshauptstadt, jährlich werden insgesamt rund 200 Schüler individuell bei der weiteren Berufs- und Lebensplanung unterstützt. Gewöhnlich alle zwei Wochen kommen Königsdorf und seine Mitstreiter für einen Nachmittag in die Schulen, um einen Weg aus der vermeintlichen Orientierungs- und Chancenlosigkeit zu finden.

„Wer in den Arbeitsalltag schnuppert, erkennt sehr schnell, ob er in dem Beruf richtig ist oder nicht”

„Viele reden vom Karrieremachen und glauben, dass dies nur in einer Bank möglich ist”, schildert Königsdorf ein typisches Credo seiner Schützlinge. Oder sie verstehen unter Maler nur Anstreicher und unterschlagen aus Unwissenheit die kreativen Seiten des Berufs. Mit einfachen Mitteln wie Magazinen oder Internetrecherche zeigt ihnen der Werbewirt schnell mögliche Alternativen auf. „Da sieht die Welt dann gleich anders aus”, so Königsdorf. In intensiven Gesprächen wird die Suche verfeinert. Erste Einblicke geben Betriebsbesichtigungen. Vielversprechend seien Praktika. „Wer in den Arbeitsalltag schnuppert, erkennt sehr schnell, ob er in dem Beruf richtig ist oder nicht”, betont Königsdorf. Fast ausnahmslos betreuen die Seniorpartner von „Startklar” Jugendliche mit Migrationshintergrund. Diese sehen sich in den Abschlussklassen oft gegenüber ihren deutschstämmigen Klassenkameraden vor zusätzliche Probleme gestellt. Sie kommen häufig aus Elternhäusern, die mit dem hiesigen Schul- und Ausbildungssystem nicht vertraut sind.

„Wir müssen unterschiedliche Mentalitäten, Kulturen und Religionen berücksichtigen”, deutet Königstein an, dass es für die Betreuung der Klientel kein Patentrezept gibt. Zudem sind viele der Schützlinge durch persönliche Erlebnisse und Erfahrungen in ihrer Kindheit geprägt. Wie etwa Jawad Al Wasni, dessen Eltern mit ihm im Alter von sieben Jahren als politisch Verfolgte aus der irakischen Heimatstadt Kerbala ins syrische Damaskus flohen. Als Jawad im Jahr 2003 als Teenager nach Deutschland kam, fand er sich nur schwer zurecht. „In der Schule galt er als aufmüpfig”, schildert sein Betreuer Königsdorf. „Ich wusste lange nicht, was ich beruflich machen sollte”, erzählt Jawad rückblickend. Erst sein Seniorpartner weckte das Interesse für den Stuckateurberuf. Ein Praktikum im Betrieb von Stuckateurmeister Walter Armbruster im Stuttgarter Osten bekräftigte die Wahl. Danach galt es, den Praktikanten in die Ausbildung zu vermitteln. „Jawad hat sein Praktikumsentgelt nicht in die Disco getragen, sondern sich davon umgehend einen Gipseranzug gekauft”, erzählt Armbruster, was ihn an dem Bewerber letztlich überzeugte. Beide Seiten sind während der dreijährigen Ausbildung gut gefahren.

Jawad Al Wasni arbeitet heute als Geselle im Betrieb von Walter Armbruster. „Jawad kommt mit Kunden und Arbeitskollegen sehr gut klar”, lobt sein Chef. „Man hat immer neue Aufgaben und sitzt nicht wie im Büro ein ganzes Berufsleben an einem Platz”, urteilt der 23-Jährige über seinen Beruf. „Startklar”, das inzwischen vielfach preisgekrönt ist, soll auch in Zukunft vielen Abgängern aus Haupt- und Werkrealschulen zum reibungslosen Start ins Berufleben verhelfen. „Wir suchen dringend weitere Seniorpartner”, nennt Projektleiterin Claudia Grimaldi dabei die derzeit größte Herausforderung.