Plastik-Verpackungen schaden der Umwelt am meisten, während Glas und Papier besser sind? So einfach ist die Rechnung nicht, wissen Vertreter der Verbraucherzentrale, der Deutschen Umwelthilfe und vom Nabu. Sie finden, es wird höchste Zeit, mit ein paar Nachhaltigkeits-Mythen aufzuräumen.
Oberndorf - 20 Minuten. So lange wird eine Einweg-Plastiktüte in der Regel genutzt, schreibt das Bundes-Umweltministerium auf seiner Homepage. Das sei Ressourcenverschwendung und eine Katastrophe, wenn das Material unachtsam in der Umwelt entsorgt werde. Um deren Verbrauch endgültig auf null zu bringen, ist in Deutschland das Inverkehrbringen leichter Plastiktüten seit dem 1. Januar verboten.
Betroffen sind Plastiktüten mit Wandstärken bis zu 50 Mikrometern, die es gegen eine kleine Gebühr an den Kassen gab, und auch sogenannte "Bio"-Plastiktüten für Biomüll-Abfälle. Es gibt jedoch ein paar Ausnahmen, zum Beispiel bei den dünnen Plastik-Knotenbeuteln für Obst und Gemüse oder bei Verpackungen an der Fleisch- und Käse-Theke.
Ohne Knotenbeutel würde nur mehr vorverpackt werden
Warum aber gibt es diese Ausnahmen? "Die sehr dünnen Plastiktüten sind zum einen aus hygienischen Gründen noch nicht verboten, zum anderen weil dann die Gefahr bestünde, dass mehr Obst und Gemüse, aber auch Fleisch und Wurst, bereits vorverpackt angeboten werden", erklärt Sabine Holzäpfel, zuständig für Lebensmittel und Ernährung bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. "Das wäre aus Umweltsicht noch schlimmer, weil dadurch am Ende mehr Verpackungsmüll entsteht." Was Früchte angeht, hat sie einen Tipp: "Vieles, wie Bananen und Orangen, kann man auch ganz ohne Verpackung aufs Band legen." Bei Kleinteiligem, wie Trauben oder Pilzen, werde es schwieriger. Dafür gebe es aber inzwischen in vielen Geschäften Mehrweg-Netze.
Wie sieht es aber mit deren Umweltbilanz aus? "Die Mehrwegnetze verbrauchen in der Produktion mehr Recourcen als ein Plastik-Knotenbeutel. Deshalb ist es wichtig, Mehrweg-Beutel möglichst oft zu benutzen." Die Hochschule Pforzheim habe 2019 in Zusammenarbeit mit der Verbraucherzentrale eine Ökobilanz zu beiden Verpackungsarten aufgestellt. Heraus sei gekommen, dass man einen wiederverwendbaren Beutel etwa 18 Mal benutzen muss, damit er umweltfreundlicher ist, als der Knotenbeutel. Einen Baumwollbeutel müsse man 45 Mal verwenden, bis er sich ökologisch rechne, weil Baumwolle sehr aufwändig in der Produktion sei. Da beides in der Regel jedoch deutlich öfter verwendet werde, rechne es sich.
Für Einweg-Papiertüten werden Bäume gefällt
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) steht Einweg-Plastiktüten ebenfalls kritisch gegenüber. Der politisch unabhängige, gemeinnützige Verein setzt sich seit fast 50 Jhren für die Umwelt und Verbraucherrechte ein.
Wenn Kunststoff in der Umwelt lande, sei es besonders schlimm, erklärt Thomas Fischer, Bereichsleiter Kreislaufwirtschaft bei der Bundesgeschäftsstelle der DUH. "Dann wird er verweht und kommt in die Flüsse oder Meere und baut sich da langsam zu kleinsten Partikeln, also Mikropastik, ab. Das ist zum einen schädlich für Tiere, die es verschlucken, zum anderen landet auf diese Weise die Plastiktüte, die jemand weggeworfen hat, eines Tages wieder auf seinem Teller. Und zwar im Fischfleisch."
Das bedeute aber nicht, dass andere Materialien zwangsläufig besser für die Umwelt seien. Der Kunde lasse sich bei Einwegpapiertüten gerne von der braunen Farbe täuschen. "Damit die Tüte reißfest wird, müssen die Fasern eine möglichst große Länge haben", erklärt Fischer. "Das erreicht man nur mit frischem Holz. Darum können Papiertüten nicht aus recyceltem Papier hergestellt werden. Der Ressourcenverbrauch ist bei der Papiertüte deutlich schlimmer im Vergleich zum Plastik."
Hinzu komme, dass viel Energie und Wasser bei der Produktion nötig seien. "Und die Wandstärke von Papiertüten muss drei Mal so stark sein wie bei Plastiktüten, um die gleiche Stabilität zu erreichen. Aber wenn die Papiertüte feucht wird, reißt sie trotzdem." Vorteile kann Fischer der Papiertüte kaum abgewinnen. Außer, dass sie sich schneller zersetzt, wenn sie in der Umwelt landet. Das sollte sie aber trotzdem nicht, weil sie viele Chemikalien und Füllstoffe enthält, die der Natur ebenfalls schaden.
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Es müsse schlichtweg weniger von allem produziert und das Vorhandene so oft wie möglich wiederverwendet werden. Bei Mehrwegprodukten sei der ökologische Rucksack zwar größer als bei Einweg, weil sie stabiler sein müssen und daher mehr Material gebraucht werde. Aber mit jeder Verwendung schrumpfe dieser. "Bei 20 Umläufen hat man den Vorteil im Schnitt drin. Mehrwegflaschen werden sogar um die 50 Mal befüllt." Kunststofftaschen mit Faltboden brauchen zehn bis 20 Verwendungen, um einen ökologischen Vorteil gegenüber der Einwegtasche zu haben.
Deutschland ist zweitgrößter Verpackungsmüll-Sünder in Europa
Die DUH sieht die Politik in der Pflicht, mit drei Maßnahmen gegenzusteuern: Sie sollte ein verbindliches Abfallverminderungsziel setzen, verbindliche Mehrweg-Quoten einführen und die Ressourcen mit einer Steuer belegen, damit Unternehmen gezwungen sind, Verpackungsmaterial zu sparen.
Und wenn Deutschland nun seinen Plastikverbrauch in kürzester Zeit auf ein Minimum reduzieren würde? Wie groß wäre der Nutzen aufs Gesamte betrachtet? "Man hört oft die Frage: Was soll Deutschland als so kleines Land schon ausrichten? Aber so klein ist Deutschland gar nicht", betont FIscher. "Es ist das bevölkerungsreichste Land in Europa. Und der zweitgrößte Verpackungssünder auf dem Kontinent. Danach kommt nur noch Luxemberg. Deutschland produziert 228 Kilogramm Verpackungsmüll pro Kopf im Jahr."
Plastik ist nicht das einzige Problem-Material
Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) ist der mitgliederstärkste Umweltverband in Deutschland. Katharina Istel, Referentin für Ressourcenpolitik bei Nabu, heißt es gut, dass mit der neuen Plastiktaschen-Regel nun auf das Instrument des Verbotes zurückgegriffen wird. "Das traut sich die Politik nur selten."
Ob das Gesetz streng genug sei? "Ich sehe das Problem nicht darin, dass Obst-Knotenbeutel nicht auch verboten werden", sagt sie. "Ich finde es problematisch, dass die Papiertüte nicht genauso kritisch untersucht wird, wie die Plastiktüte." Es sei bekannt, wie viele Plastiktüten jährlich in Umlauf gebracht werden, nicht aber, wie viele Papiertüten es seien. "Dabei ist längst bekannt, dass Papiertüten keine ökologische Alternative sind." Das sei vielen Menschen einfach nicht bewusst. "Das bedeutet nicht, dass man die Papiertüte auch sofort verbieten sollte. Aber eine bessere Aufklärung wäre sinnvoll. Als nächsten Schritt könnte man gegensteuern, indem die Papiertüte auch nicht mehr gratis ist."
Sie wünscht sich, dass sich Mehrweg-Obstnetze weiter etablieren. Und dass weniger vorverpackt wird. "Oft hat der Kunde ja auch gar nicht die Wahl, etwas Unverpacktes zu kaufen. Die Netze sind in vielen Geschäften noch zu sehr Niesche. Man macht es für die PR. Aber es wird nicht genug dafür getan, dem Kunden zu vermitteln, dass es auch gewünscht ist, dass er mit den Netzen einkauft." Es falle vielen Menschen daher schwer, das Einkaufen mit dem eigenen Obstnetz in den Alltag zu integrieren.
Mehrweg-Netz muss auch benutzt werden
Die ein oder andere Supermarktkette bemüht sich bereits um kreative Möglichkeiten, den Kunden zum Einkaufen mit dem Mehrwegnetz zu animieren. "Das Thema Plastikmüllvermeidung ist seit 2015 ein Schwerpunktthema von Edeka", teilt Nina Schmidt, Referentin der Edeka Handelsgesellschaft Südwest auf Anfrage mit. In der Obst- und Gemüseabteilung haben die Märkte von Edeka ein großes Angebot an unverpackten Lebensmitteln, so die Sprecherin.
Seit 2018 werden in den meisten Märkten Mehrwegnetze aus Polyester-Mesh angeboten. Um zu einer Mehrfachverwendung der Netze zu motivieren, habe Edeka im Jahr 2019 die Aktion "Baumpflanzkarte" gestartet. "Kunden, die für ihren Einkauf die nachhaltigeren Mehrwegnetze verwenden, erhalten für jeden Einkauf einen Stempel auf ihrer Baumpflanzkarte. Gleiches gilt für die Nutzung entsprechender Mehrwegbehältnisse an den Bedientheken und Bäckerei-Theken." Für jede volle Karte werde von Edeka, beziehungsweise den Kaufleuten vor Ort, ein Baum gepflanzt. "So konnten seit Beginn der Aktion bereits über 121.000 Bäume gepflanzt werden."
Mehr Freiheit für Kommunen?
In der Pflicht seien nicht nur die Hersteller, erklärt Istel von Nabu weiter. Sondern auch die Politik. Kommunen sollten mehr freie Hand haben, an bestimmten Orten Einweg-Verpackungen zu verbieten, meint Istel. "Zum Beispiel an Imbiss-Ständen an Stränden oder in Parks, wo man genau weiß, dass die Verpackungen in der Natur landen."
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Es gebe also noch viele Möglichkeiten, die ausgeschöpft werden müssen, damit das Einkaufen in Deutschland umweltverträglicher werde. Denn, auch wenn das weltweit gesehen "nur Peanuts" seien, so sei doch jede Verbesserung ein Puzzleteil im großen Ganzen.