Der tödliche Messerangriff auf den Polizisten in Mannheim hat auch in der Politik für Rufe nach Konsequenzen aus der mutmaßlich islamistischen Tat gesorgt. Was bisher im Bundestag passiert ist, bezeichnen enge Freunde von Rouven Laur als verpasste Chance.
Johanna Kühne hat einen ihrer engsten Freunde verloren. Der Polizist Rouven Laur wurde Ende Mai auf dem Mannheimer Marktplatz von einem mutmaßlich islamistisch motivierten Täter mit einem Messer angegriffen – und erlag später im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. „Mit Rouven haben wir einen engen Freund der Familie, einen wundervollen Menschen und zudem einen vorbildlichen Polizisten verloren“, schreibt Johannas Mann Julian Kühne in einem Brief an unsere Zeitung.
Rouven Laurs Eltern wünschen sich, dass der Tod ihres Sohnes nicht sinnlos ist
Derzeit beschäftigt das Ehepaar, was sich nach der tödlichen Attacke auf ihren Freund verändern wird, wie die Politik darauf reagiert. Denn auch Rouven Laurs Eltern wollen, dass der Verlust ihres Sohnes nicht sinnlos gewesen ist. Die schreckliche Tat soll wenigstens ein Weckruf sein – für Änderungen in der aktuellen Politik, weg vom „Weiter so“, um Angriffe wie den auf den 29-jährigen Polizisten künftig besser verhindern zu können.
Auch anwesende Politiker und Politikerinnen – bei einer Gedenkveranstaltung in Rouven Laurs Heimatstadt Neckarbischofsheim sowie bei der Trauerfeier in Mannheim – haben eingeräumt, dass sie Handlungsbedarf sehen. Bislang vermissen Johanna und Julian Kühne aber ernsthafte politische Konsequenzen aus dem Attentat auf ihren Freund.
CDU/CSU-Fraktion mit etlichen Forderungen an die Bundesregierung
In dem Brief bezieht sich Julian Kühne etwa auf zwei von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachte Anträge im Bundestag: Einer trägt den Titel „Den politischen Islam als Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie jetzt wirksam bekämpfen“ (Drucksache 20/11393), der andere ist überschrieben mit „Betroffenheit reicht nicht – Klare Konsequenzen aus dem Terror von Mannheim ziehen“ (20/11758).
Beide Anträge enthalten eine Reihe von Forderungen an die Bundesregierung. So soll etwa Personen, die einen islamistischen Gottesstaat in Deutschland fordern, die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden (sofern sie eine zweite Staatsbürgerschaft besitzen). Außerdem fordert die Unionsfraktion einen Ausreisearrest für ausländische schwere Straftäter und Gefährder, die zwar ausreisepflichtig sind, aber nicht abgeschoben werden können. Und Moscheen, in denen islamistische Haltungen, Hassbotschaften, Terrorverherrlichung, Antisemitismus oder die Billigung von Straftaten gepredigt werden, sollen nach einer Verwarnung geschlossen werden.
Politisches Geschäft erzeugt Frust bei Angehörigen und Freunden
Alles Forderungen, die Julian Kühne unterstützt. Das wären für ihn und seine Frau wirklich ernst gemeinte politische Konsequenzen. Doch beide Anträge wurden mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP und der Partei Die Linke abgelehnt. Dass Anträge der Opposition von den Regierungsfraktionen abgelehnt werden, ist zwar nicht überraschend und ein alltäglicher Vorgang im Bundestag. Zudem verfolgt die Opposition selbst mit solchen Anträgen taktische Ziele.
Bei solch einem sensiblen Thema wie dem gewaltsamen Tod eines geliebten Menschen aber erzeugt dieses politische Geschäft vor allem Frust bei Freunden und Angehörigen. Für Kühne sind diese Anträge der Unionsfraktion „aufschlussreich, logisch und notwendig“. Er wundert sich über die Ablehnung durch die Regierungsfraktionen.
SPD-Politiker verteidigt Vorgehen seiner Fraktion im Bundestag
„Hier wurde eine Chance für frischen Wind verpasst, von Politikern, die auf Trauerfeiern medienwirksam und betroffen nickten, als es hieß: Es muss sich etwas ändern!“, kritisiert Kühne in seinem Brief. Mit dem „Aussitzen schwieriger Entscheidungen“ treibe man die Wählerinnen und Wähler am Ende in die Arme von Rechtspopulisten. Eine Entwicklung, die schnellstmöglich aufgehalten werden müsse.
Seinem Ärger macht Kühne auch in einer Nachricht an den SPD-Bundestagsabgeordneten Lars Castellucci (Wahlkreis Rhein-Neckar) Luft. Jener hatte sowohl die Gedenkveranstaltung in Neckarbischofsheim als auch die Trauerfeier in Mannheim besucht. In der Antwort an Julian Kühne sowie auf Nachfrage an unsere Zeitung verteidigt Castellucci das Vorgehen seiner Fraktion im Bundestag. Mit Blick auf den Antrag „Den politischen Islam bekämpfen“ schreibt er: „Selbst wenn es einzelne bedenkenswerte Punkte in dem Antrag der Union gäbe, einem solchen Text mit seinem Generalverdacht gegen Ausländer kann ich unmöglich zustimmen.“
Abgeordneter Castellucci: „Bundesregierung bekämpft Extremismus konkret“
Der SPD-Politiker macht dies daran fest, dass die CDU/CSU-Fraktion in einem Antrag gleich in der Einleitung von einem Viertel Menschen mit Migrationshintergrund spricht. „Was ist das anderes als Ressentiment zu schüren? Es ist sogar Unsinn, denn diese Menschen mit Migrationshintergrund sind ja nicht einmal mehrheitlich Muslime“, schreibt Castellucci.
Beim zweiten Antrag unter dem Titel „Klare Konsequenzen aus dem Terror von Mannheim ziehen“ hätten die CDU/CSU-Kollegen 14 Punkte aufgelistet, „von denen kein einziger die Tat hätte verhindern können“. Castellucci sieht darin „keinen seriösen Umgang“. Während die Opposition Anträge schreibe, arbeite die Bundesregierung konkret daran, Extremismus zu bekämpfen. Man stärke die Bundespolizei, es gebe Vereinsverbote, Geldquellen würden ausgetrocknet „und vieles mehr“, schreibt der SPD-Abgeordnete.
„Jetzt ist die Zeit, um für diese Werte einzustehen. Auch für Rouven.“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe die Konsequenzen aus der Tat in Mannheim bereits genannt: Ausweitung von Waffen-und Messerverbotszonen sowie die Möglichkeit, das Waffengesetz konsequenter auszuschöpfen. Und: „Wer in Deutschland Schutz gesucht hat, aber schwerste Straftaten begeht, gehört abgeschoben, auch wenn die Person aus Syrien oder Afghanistan stammt“, so Castellucci. Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder hätten hier nichts verloren. „Da gibt es null Toleranz.“
Der SPD-Politiker hat Kühne bereits ein Angebot zur Aussprache gemacht. Doch das reicht Kühne nicht, er schreibt: „Ich kann jeden nur ermutigen, das politische ‚Weiter so’ nicht einfach hinzunehmen.“ Wie die Unionsfraktion im Bundestag fordert auch er, Islamismusprävention im Rahmen von Demokratie-Programmen zu einem Förderschwerpunkt zu machen. „Dieser Punkt verdeutlicht ganz klar, dass es nicht darum geht, uns abzuschotten“, schreibt Kühne, „sondern unsere Werte wie Respekt, Toleranz und Meinungsfreiheit stärker zu vermitteln“.
Diese Werte seien die Grundlage für ein Miteinander auf Augenhöhe. Seine Frau und er als enge Freunde des getöteten Polizisten Rouven Laur erwarten von der Politik „klare Spielregeln und Konsequenz in der Umsetzung. Jetzt ist die Zeit, um für diese Werte einzustehen. Auch für Rouven.“