Christian Eriksen befindet sich noch im Krankenhaus. Foto: imago images/Ritzau Scanpix/Mads Claus Rasmussen

An den Bildschirmen, im Stadion und auf dem Spielfeld bangten die Menschen um den Dänen Christian Eriksen. Der Star von Inter Mailand brach während eines EM-Spiels zusammen und wurde wiederbelebt. Sein Team will trotzdem weiterspielen - für ihn.

Kopenhagen - Einen Tag nach dem Schock von Kopenhagen verkündete der dänische Nationaltrainer eine frohe Botschaft. „Es war das Schönste für mich, Christian lächeln zu sehen“, sagte Kasper Hjulmand am Sonntag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Mannschaftsarzt und dem Sportdirektor seines Teams.

Millionen Menschen an den Bildschirmen, im Stadion und auf dem Spielfeld hatten am Abend zuvor um den dänischen Star Christian Eriksen gebangt, der während des EM-Spiels gegen Finnland (0:1) zusammengebrochen war, einen Herzstillstand erlitt und wiederbelebt werden musste. Schon im Laufe des Sonntags aber hielt der 29-Jährige von Inter Mailand vom Krankenhaus aus einen Videoanruf mit seinen Teamkollegen und dem Trainer ab.

Tests alle gut

Auch der Mannschaftsarzt Morten Boese bestätigte bei der Pressekonferenz vor über 200 digital zugeschalteten Journalisten noch einmal den erlösenden Befund: „Sein Zustand ist weiter stabil.“ Alle medizinischen Tests bei Eriksen seien bereits absolviert worden und: „Sie waren gut.“ Nur zu den genauen Ursachen für den Herzstillstand könne er noch nichts sagen.

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Dass der beste Spieler des dänischen Teams seinen Zusammenbruch überlebt hat, überstrahlt in Kopenhagen erst einmal alles: Die Nachricht, dass die Dänen das EM-Turnier trotz dieses Schocks fortsetzen wollen. Und dass der Verband dem Rest des Teams nun psychologische Hilfe zur Verfügung stellt, um die Emotionen dieses Abends verarbeiten und schon am Donnerstag gegen Belgien wieder antreten zu können. Dazu gehört auch die massive Kritik daran, dass das Spiel nach einer Unterbrechung von 107 Minuten noch am Samstagabend fortgesetzt wurde. Zunächst attackierten nur Fans und Experten den europäischen Fußball-Verband UEFA. Am Sonntag aber schlossen sich dem auch immer mehr die dänischen Offiziellen an.

Kjaer wird gefeiert

„Wir wurden alle daran erinnert, was die wichtigsten Dinge im Leben sind“, sagte Trainer Hjulmand noch im Stadion nach dem Spiel: „Die Menschen, die einem nahe stehen. Das sind die Familie und Freunde.“

Denn um die Welt gingen am Samstagabend nicht nur die Bilder von Eriksen selbst. Sondern auch die von seinem dänischen Kapitän und engen Freund, der nun als so etwas wie ein Held von Kopenhagen von Medien, Mitspielern und Fans gefeiert wird. Es war der frühere Wolfsburger Simon Kjaer, der den am Boden liegenden Eriksen in eine stabile Seitenlage brachte und verhinderte, dass dieser seine Zunge verschlucken konnte. Es war auch Kjaer, der die heraneilende Freundin Eriksens tröstete und der seine Mitspieler dazu brachte, einen Sichtschutz um ihren regungslosen Star zu bilden. Damit niemand sehen oder filmen konnte, wie der von den Ärzten wiederbelebt wird.

Kritik an Wiederanpfiff

„Simon war tief betroffen“, sagte Hjulmand hinterher. Als feststand, dass die Partie doch noch fortgesetzt wird, führte Kjaer sein Team noch einmal mit Tränen in den Augen auf das Spielfeld zurück. 20 Minuten später konnte auch er nicht mehr. Der 32 Jahre alte Abwehrchef bat emotional am Ende der Kräfte um seine Auswechslung.

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Dass es überhaupt dazu kam und beide Mannschaften das Spiel noch am selben Abend noch einmal aufnahmen, steht seit dem Moment des Wiederanpfiffs in der Kritik. „Es muss jemanden geben, der dann sagt: Wir hören hier auf“, sagte die dänische Fußball-Legende Michael Laudrup dem TV-Sender TV3+ und meinte damit die UEFA. Hjulmand bekräftigte das am Sonntag unmissverständlich: „Ich denke ehrlich gesagt nicht, dass wir wieder auf dem Plätz hätten sein sollen.“

Mediziner schildert dramatische Minuten

Die UEFA verweist auf ihre Statuten, hat aber das Problem, dass der Umgang mit medizinischen Notfällen darin nicht geregelt wird. Nach Angaben des dänischen Trainers gab es für beide Teams genau zwei Alternativen: Noch am Abend weiterzuspielen oder dies am Sonntagmittag zu tun. Beide Mannschaften hätten für die erste Variante entschieden. Weil sie es, wie Hjulmand sagte, einfach hinter sich bringen wollten und das am Tag nach diesem Drama noch viel schwieriger geworden wäre. Und weil Eriksen selbst, wie mehrere Spieler erklärten, das angeblich so gewollt hatte.

Allein das zeigt, dass der 29-Jährige noch im Stadion wieder zu Bewusstsein gelangte. „Er konnte mit mir sprechen, bevor er ins Krankenhaus gebracht wurde“, bestätigte der dänische Teamarzt Morten Boesen bereits bei der Pressekonferenz nach dem Spiel. Am Sonntag schilderte der Mediziner dann noch einmal die dramatischen Ereignisse nach dem Zusammenbruch in der 43. Spielminute, als Eriksen einen Einwurf zugeworfen bekam und auf einmal kollabierte.

Anzeichen der Hoffnung

„Er war schon weg. Es war ein Herzstillstand“, sagte Boesen und verwies dabei auf Herzspezialisten. „Wir haben ihn mit Hilfe eines Defibrillator-Einsatzes zurückbekommen. Und das relativ schnell.“

Wie schnell sich Eriksen von diesem Zusammenbruch erholt, ist noch unklar. Es gibt ein paar Anzeichen der Hoffnung, wie zum Beispiel die Aussagen seines Club-Geschäftsführers Beppe Marotta von Inter Mailand beim italienischen TV Sender Sky Sport: „Das Schöne ist, dass er eine Nachricht in unseren internen Inter-Chat geschickt hat. Er hat die Mannschaft beruhigt und gesagt, dass er bald zurück sein wird.“

Noch keine Auffälligkeiten

Auch der Kardiologe von Eriksens Ex-Club Tottenham Hotspur bestätigte der Zeitung „The Mail“, dass bei den Untersuchungen des Dänen während seiner Premier-League-Zeit von 2013 bis 2020 keine Auffälligkeiten oder Vorerkrankungen festgestellt worden seien. Auch mit dem Coronavirus hat sich Eriksen nach Inter-Angaben nicht infiziert.

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Bei aller Tragik zeigte dieses Drama von Kopenhagen auch, welche Kraft der Fußball in solchen Momenten entfalten kann. Clubs und Spieler nahmen weltweit einen großen Anteil an Eriksens Zustand. Sie schickten Gebete oder Genesungswünsche über die sozialen Netzwerke. Auch die deutschen Nationalspieler waren nach Angaben ihres Teamarztes Tim Meyer „sichtlich geschockt. Es gab eine Menge Gespräche mit den Spielern“, sagte er am Sonntag.

Im Stadion selbst erzeugten dänische und finnische Fans schon während der Unterbrechung eine Atmosphäre der Empathie, des Mitgefühls und des Zusammenhalts. Minutenlang riefen die Finnen immer wieder „Christian“. Und die Dänen riefen: „Eriksen“. Die Zeitung „Ekstra Bladet“ fasste diesen Abend in einer epochalen Schlagzeile zusammen: „Dänemark verliert. Aber das Leben hat gewonnen.“