Justizia. Nichts gesehen haben wollen plötzlich auch Zeugen einer Straßenschlacht in Freudenstadt. Foto: Pedersen

Der Prozess um eine Straßenschlacht in Freudenstadt zwischen jungen Afghanen und Somaliern ist zu Ende – aber viele Fragen bleiben offen.

Freudenstadt - Es gibt schwierige Prozesse. Zeugen erinnern sich nicht, ihre Aussagen sind widersprüchlich. Die Wahrheitsfindung ist so kaum möglich, mitunter müssen solche Verfahren eingestellt werden. So geschehen vor dem Amtsgericht Freudenstadt.

Die Anklage lautet gefährliche Körperverletzung, drei junge Männer aus Afghanistan sitzen auf der Anklagebank. Das, was sich vor gut einem Jahr auf offener Straße in der Innenstadt abgespielt hat, bezeichnet selbst der ansonsten eher zurückhaltende Richter Rainer Graf-Frank als "Straßenschlacht in Freudenstadt". Mit einer Eisenstange wurde zugeschlagen, Steine flogen, mehrere Dutzend junger Leute gingen aufeinander los. Eine Gruppe junger Leute mit afghanischen Wurzeln haben offenbar eine deutlich kleinere Gruppe von jungen Leuten aus Somalia verfolgt. "Wir sind doch nicht in New York City, wir sind doch in Freudenstadt", meint im Ton des Entsetzens die Staatsanwältin Sabine Mayländer.

Doch zum Schlussplädoyer der Anklage kommt es erst gar nicht, eine Bestrafung bleibt aus. Zu schwierig ist die Wahrheitsfindung, nach zwei Tagen und rund einem Dutzend Zeugen bleibt das Tatgeschehen vage. Der Prozess wird mit Zustimmung der Staatsanwältin eingestellt, für alle drei Angeklagten gibt es lediglich eine Geldauflage in Höhe ihres jeweiligen Monatsgehalts (1000 bis 1300 Euro). Auch ein Eintrag ins Bundesstrafregister entfällt. Das etwas matte und kraftlose Schlusswort des Richters zur Straßenschlacht lautet: "So etwas darf nicht mehr passieren, das muss klar sein."

Keine Erinnerung

Die erste Zeugin des zweiten Prozesstags, eine junge Frau, die das Geschehen im Juni 2020 von ihrem Wohnungsfenster aus beobachtet hatte, will sich vor Gericht partout nicht erinnern. Dabei hatte sie seinerzeit, kurz nach dem Vorfall, vor der Polizei vergleichsweise präzise Aussagen gemacht. Prozessbeobachter fragen sich: Steht die Frau unter Druck, hat sie Angst zu reden? Ob sie denn die "drei Herren", die auf der Anklagebank sitzen, schon einmal gesehen habe, will Graf-Frank wenigstens wissen.

Auch diese Antwort fällt ebenso vage wie nichtssagend aus: "Nicht bewusst, vielleicht mal gesehen in Freudenstadt." Kommentar der Staatsanwältin: "Schwer zu glauben, dass sie sich an nichts erinnern." Wenig ergiebig sind auch die Aussagen eines weiteren Zeugen. Ein Polizeibeamter, der nach der Auseinandersetzung am Tatort eintraf, meint, "die Situation war erstmal recht unübersichtlich", Zeugen hätten gesagt, die Angreifer hätten "Ich bring Euch um, Ihr Neger", gerufen.

Ratlos und frustriert

Auch Richter Graf-Frank spricht von einer "Auseinandersetzung mit einer Gruppe von Dunkelhäutigen". Das klingt wie der Verdacht, dass es einen rassistischen Hintergrund geben könnte. Aber auch drei weitere Zeugenaussagen von jungen Afghanen führen nicht zu mehr Klarheit.

Ratlos und frustriert fragt sich denn Staatsanwältin Mayländer, ob man auf dieser Grundlage überhaupt ein Urteil fällen könne. Alles was man gehört habe seien "verschiedene Versionen" des Tathergangs. Allerdings, vor der Einstellung des Verfahrens liest die Staatsanwältin den Angeklagten gehörig die Leviten. "So macht man das in Deutschland nicht, man geht hier nicht mit der Eisenstange los." Es sind Sätze wie Ohrfeigen: "Sie sind aus einem Land, da herrscht Krieg, Chaos und Unfrieden." Man sei hier aber in Freudenstadt, da wollten die Menschen in Frieden leben. Nach kurzem Hin und Her akzeptieren die Angeklagten die Geldauflage und verlassen den Gerichtssaal.