Am Stuttgarter Landgericht wird derzeit ein heikler Fall verhandelt. Foto: Gollnow

Ist Stefan E. für die Allgemeinheit gefährlich oder nicht? Das ist in dem Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht gegen den jetzt 53-jährigen Mötzinger Kunstmaler und Skulpturenkünstler erneut die große Frage.

Stuttgart/Mötzingen - Sein Anwalt sagt, E. sei nicht gefährlich, nur eben etwas anders als Andere. E. hat vor knapp 15 Jahren seine eigene Mutter durch Schläge mit einem Skulpturenhammer getötet, saß dafür 15 Jahre in Haft, laut dem Urteil knapp zwei Jahre zu viel. Die Richter müssen entscheiden, ob er wegen angeblicher Gefährlichkeit nunmehr weiter hinter Gitter bleibt.

Das ist nicht einfach. Denn schließlich hatte bereits vor einem Jahr eine andere Schwurgerichtskammer am Stuttgarter Landgericht im ersten Verfahren um die "Nachträgliche Sicherungsverwahrung" die Gefährlichkeit bejaht, was dem Bundesgerichtshof schwer aufstieß. Diese "Gefährlichkeit" könne noch nicht erfüllt sein, schrieben die höchsten deutschen Richter in den Zurückweisungs-Beschluss ihren Stuttgarter Kollegen ins Stammbuch.

Er setzt Frauen in ihrer Würde schwer herab

Jetzt verhandelt ein anderes Richtergremium dieses heikle Thema, mit dem sich auch schon vor rund zehn Jahren der Europäische Gerichtshof befasst hat und zu dem Ergebnis kommt, dass eine "nachträgliche" Sicherungsverwahrung, sofern sie nicht schon in einem Strafurteil verhängt wurde, mit der Verfassung nicht im Einklang stünde. Nunmehr ist in dem neuen Verfahren Halbzeit angebrochen. Die Stuttgarter vernehmen ausschließlich Bedienstete und Vollzugsbeamte, wie auch Vollzugsvorgesetzte jener Haftanstalten, in denen Stefan E. in den letzten 15 Jahren einsaß – und kommen in ihren Aussagen zu verheerenden Einschätzung über das Verhalten des Häftlings – ihrer Meinung nach!

Nach wie vor wird E. der Vorwurf gemacht, er habe in der Haftzeit ein Bild gemalt, in dem er Frauen in ihrer Würde schwer herabsetze, Gewallt verherrliche und sie beleidige. Das Bild zeigt eine fast nackte Frau, in deren Brust ein Messer steckt. Die Haftanstalt hat ihm das Werk abgenommen und als Beweisstück verwahrt. Das Motiv beweise seine Gefährlichkeit. Im Stuttgarter Gerichtssaal wurde es auf einen der Bildschirme an der Wand gezeigt. Der Vorwurf war unberechtigt, denn es stellte sich heraus, dass der Gegenstand an der Brust des Objekts gar kein Messer ist.

Zum Thema Gefährlichkeit werden Stefan E. zahlreiche schriftliche Eingaben über sogenannte "Rapportzettel" angekreidet. Die Zeugen schildern, wie der Häftling in "rüder Art" Forderungen zu seiner Haft stellt, wie er offenbar weibliche Vollzugsbedienstete beleidigt oder ihnen nachstellt. Er habe sogar in der Haft versucht, einen Justizbeamten durch einen Stromschlag zu verletzten oder gar zu töten. Er habe sogenannte "Verbesserungsvorschläge" eingereicht, die die Haftanstalten als "Angriff" werteten. Über 2000 Seiten Protokolle solcher Eingaben des Häftlings liegen jetzt dem Schwurgericht als Beweis vor. Teilweise sind sie auch schon verlesen worden. Im ersten Urteil, in dem das Gericht aufgrund der Empfehlung des Sachverständigen die nachträgliche Verwahrung anordnete, wird E. bescheinigt, dass er in Freiheit eine große Gefahr für die Allgemeinheit sei.

Der Künstler sei laut Anwalt ungefährlich

E. selbst hat jetzt in seinem neuen Verfahren gesagt, dass man ihn in den letzten 15 Jahren nur noch schikanierte und ihm keine Möglichkeit für die Kunstgestaltung gab. Sein Verteidiger, Michael Lepp aus Stuttgart, ist sich jetzt aber aufgrund der schweren Revisionsrüge des Bundesgerichtshofs sicher, dass sein Mandant im Januar wirklich frei kommt. Den Fehler, es zu versäumen, die Verhältnismäßigkeit der Gefährdungseinschätzung erneut genau zu prüfen, werden diese Richter sicherlich nicht machen. Übrig bliebe, so sein Anwalt, das der Künstler E. zwar kein bequemer Zeitgenosse, aber im Grunde ungefährlich ist.

Und nachdem der Häftling ganze zwei Jahre zu viel in Haft saß (er wurde nur zu 13 Jahren Haft verurteilt), muss ihm der Staat für diese zwei Jahre eine erkleckliche Haftentschädigung bezahlen.