Nach Jobverlust in eine Transfergesellschaft „Für viele ist das die einzige Hoffnung“

Imelda Flaig
Frank Bokowits ist froh, dass es eine Transfergesellschaft für die ehemaligen Recaro-Beschäftigten gibt. Foto: Flaig/Montage: Ruckaberle

Allgaier, Manz, Heller, Recaro – viele Unternehmen, die Arbeitsplätze abbauen, setzen auf Transfergesellschaften. Was das den Gekündigten bringt und welche Perspektive sie haben.

Frank Bokowits redet offen. Seinen Job beim Autositzhersteller Recaro in Kirchheim/Teck hat der 56-Jährige wie die meisten der rund 200 Mitarbeiter verloren. „Einen neuen Job werde ich kaum finden“, sagt der gelernte Fahrzeugpolsterer. Fast 40 Jahre war er im Unternehmen, die letzten 20 Jahre als freigestellter Betriebsrat, jetzt ist er in der Transfergesellschaft.

 

Bokowits ist keiner, der schwarz malt. Doch Recaro ist für ihn und viele andere Geschichte. Ein Investor hat den insolventen Autositzhersteller übernommen, die Produktion ist abgewandert. Der Verlust des Arbeitsplatzes ziehe einem erst mal den Boden unter den Füßen weg, sagt Bokowits. Er erinnert sich noch genau an die gedrückte Stimmung und Fassungslosigkeit, die in der Belegschaft herrschte, als die Hiobsbotschaft im Herbst 2024 verkündet wurde.

Musik ist sein Leben

„Ich kenne Kollegen in meinem Alter, die sind noch nicht drüber hinweg. Die Transfergesellschaft ist für viele die einzige Hoffnung“, sagt Bokowits beim Gespräch in einer Musikkneipe in Köngen, die nur wenige Kilometer von seinem einstigen Arbeitsort entfernt ist und für ihn mittlerweile so etwas wie ein zweites Zuhause geworden ist. Hier jobbt er nebenher und will sich verstärkt engagieren, denn Musik sei sein Leben, sagt er.

Frank Bokowits war lange Jahre bei Recaro im Betriebsrat. Foto: I. Flaig

Rund 150 einstige Recaro-Beschäftigte sind in eine Transfergesellschaft gewechselt. Von ihnen will keiner darüber reden. Bokowits auf Nachfrage schon. Man sei froh gewesen und habe bis zuletzt gebangt, ob es mit der Transfergesellschaft klappe, weil kaum Geld da war, sagt der Mann, der sich massiv dafür eingesetzt hat. „Da wird man aufgefangen, nicht nur finanziell, auch sozial“, sagt er. Dass man keinen geregelten Arbeitsalltag mehr habe, müsse man erst mal verkraften.

Bei der Gründung einer Transfergesellschaft sind Arbeitgeber, Betriebsrat, Gewerkschaft und die Arbeitsagentur mit im Boot. Weil eine Transfergesellschaft eine eigenständige Einheit sein muss, beauftragt in der Regel der Arbeitgeber eine dritte Partei mit der Gründung und dem Betrieb – im Fall Recaro ist das Refugio in Plochingen. Mit denen arbeite man das dritte Mal zusammen, weil man gute Erfahrungen gemacht habe, sagt Bokowits mit Blick auf frühere Abbaurunden.

Die Arbeitsagentur muss zustimmen. Arbeitgeber, Arbeitnehmender und Transfergesellschaft schließen einen Vertrag, der beinhaltet gleichzeitig die Aufhebung des bisherigen Arbeitsverhältnisses und die Begründung des neuen befristeten Arbeitsverhältnisses mit der Transfergesellschaft, erklärt ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit das Prozedere. Ein Wechsel ist freiwillig. Zweck der Transfergesellschaft ist, Beschäftigte, die ihren Job verloren haben, fit für den Arbeitsmarkt zu machen und zunächst mal eine direkte Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

Transferkurzarbeitergeld von der Arbeitsagentur

Die maximale Dauer ist auf ein Jahr begrenzt, während dieser Zeit müssen die Betroffenen nicht arbeiten, können sich qualifizieren, beraten und bei der Jobsuche helfen lassen. Dafür erhalten sie ein Transferkurzarbeitergeld von der Arbeitsagentur in Höhe von 60 Prozent des letzten Nettogehalts, Eltern 67 Prozent, sowie ein Aufstockungsbetrag vom Arbeitgeber, der oft bis auf 80 Prozent aufzahlt.

Zahlen, wie viele Transfergesellschaften derzeit existieren und wie viele Menschen aktuell dort „transferiert“ werden, gibt es nicht. Zahlen zum Transferkurzarbeitergeld, das bei der Bundesagentur für Arbeit beantragt werden muss, dagegen schon: 2024 hat die Bundesagentur für Arbeit 159,5 Millionen Euro für Transfer-Kurzarbeitergeld ausgegeben, davon gut 38,6 Millionen Euro in Baden-Württemberg, was einem Plus von 18,5 Prozent gegenüber 2023 entspricht. Die Ausgaben steigen weiter. Von Januar bis Ende März 2025 wurden allein in Baden-Württemberg bereits 18,75 Millionen Euro Transferkurzarbeitergeld bezahlt, dreimal so viel wie im ersten Quartal 2024, als es 5,75 Millionen Euro waren.

Zeitgewinn statt Arbeitslosigkeit

„Wenn Menschen ihre Arbeit verlieren, ist das eine echte Zäsur“, sagt Jan Kiehne, Geschäftsführer von Mypegasus in Reutlingen. Der Branchenpionier, vor gut 30 Jahren wegen der damaligen Pleite von Burkhardt + Weber gegründet, hat seither bundesweit in mehr als 2000 Transfergesellschaften auf Zeit über 150 000 Menschen begleitet – derzeit beispielsweise auch Ex-Beschäftigte des Reutlinger Maschinenbauers Manz, der nach Insolvenz und Teilverkauf abgewickelt wird.

Neben der materiellen Absicherung und einer professionellen Unterstützung „ist die Transfergesellschaft für die Betroffenen ein Zeitgewinn“, sagt Kiehne. Neben der Vermittlung in sozialversicherungspflichtige Anstellungsverhältnisse gehe es auch um Existenzgründungen und ältere Mitarbeiter, die keinen Job mehr aufnehmen wollten.

„Eine Transfergesellschaft kann wirklich helfen. Viele brauchen jemand, der sie an die Hand nimmt“, sagt Alessandro Lieb von der IG Metall Esslingen. Aus seinem Arbeitsalltag weiß er, wie schwer sich viele Menschen tun, sich nach zig Jahren im Berufsleben plötzlich wieder bewerben zu müssen, weil man den Job verloren hat. Vorwürfe, wie sie mancherorts zu hören sind, dass sich Arbeitgeber mit einer Transfergesellschaft aus der Verantwortung stehlen, hält Lieb für falsch.

Viele Ex-Recaro-Mitarbeiter haben wieder einen Job

„Bei meinen Fällen war es Arbeitgebern wichtig, eine gute Lösung zu finden und soziale Verantwortung zu übernehmen“, sagt der Gewerkschafter und verweist dabei auch auf das Beispiel von Heller in Nürtingen, wo erst kürzlich für rund 150 Beschäftige eine Transfergesellschaft eingerichtet wurde. Entscheidend sei aber, wer der Betreiber der Transfergesellschaft sei, sagt Lieb.

Von den Menschen, die bei Recaro ihren Job verloren haben und in die Transfergesellschaft gewechselt sind, haben mittlerweile 58 wieder einen Job. „Die Leute sind unglaublich gut drauf und wollen arbeiten“, sagt Manuela Eschenbächer, Geschäftsführerin der Refugio Transfergesellschaft. Auch eine Jobmesse vor Ort und gute Kontakte von Bokowits zu anderen Unternehmen haben dabei geholfen. Für viele Ex-Kollegen ist Bokowits immer noch ein wichtiger Ansprechpartner.