Spezialisten tragen Schutzanzüge und Atemschutzmasken wegen eines möglichen Gefahrstoffes in der Singener Innenstadt. Foto: Förster/Südwestdeutsches Mediennetzwerk/dpa

Groß war die Aufregung am Donnerstag, als Teile der Innenstadt von Singen evakuiert wurden, weil ein möglicher Gefahrenstoff freigesetzt wurde. Ein Kampfstoff konnte letztlich nicht gefunden werden. Doch wie kam das Giftgas Tabun ins Spiel?

Es war für Singen ein absolutes Ausnahmeereignis: Fast 600 Einsatzkräfte waren zu Spitzenzeiten in der Stadt unterwegs. Darunter Experten der analytische Taskforce der Berufsfeuerwehren Deutschland für den Bereich Gefahrgut, Spezialisten für Dekontamination aus mehreren Landkreisen, das Spezialeinsatzkommando der Polizei und zahlreiche Kräfte der Rettungsdienste – teilweise auch aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis.

 

Am Donnerstagabend um 21 Uhr gaben die Behörden Entwarnung: Ein Gefahrstoff in einer betroffenen Tiefgarage wurde nicht festgestellt. Klar ist nun: Die Einsatzleitung hatte sich auch darauf vorbereitet, dass Giftgas freigesetzt wurde und hatte daraufhin den Großeinsatz ausgelöst.

Wie unsere Redaktion berichtet hatte, waren Einsatzkräfte aus anderen Landkreisen bei ihrer Alarmierung nach Singen darüber informiert worden, dass das Giftgas Tabun – ein Nervenkampfstoff, welches im zweiten Weltkrieg als Geheimwaffe galt – an zwei Einsatzstellen freigesetzt wurde. Wie kam es zu dieser möglichen Annahme?

Tabun war beim Einsatz ein Thema

Bei der Polizei klärt Polizeisprecher Marcel Ferraro auf: Sowohl die Begriffe „Giftgas“ als auch der Kampfstoff „Tabun“ seien im Rahmen des Einsatzes tatsächlich gefallen. Man habe beispielsweise geprüft, ob möglicherweise Giftgas aus einer alten Kriegsbombe ausgetreten sein könnte. „Wir waren uns nie sicher, mussten es prüfen“, so Ferraro. Dafür sei die analytische Taskforce aus Mannheim eingeflogen worden.

Tatsächlich sei, neben einem Gasleck, auch die Möglichkeit der Freisetzung eines Giftgases in Betracht gezogen worden. Entsprechend sei die Alarmierung und die Evakuierung erfolgt. Allerdings sei der Informationsfluss offenbar nicht ideal gewesen, dass die Einsatzkräfte teilweise über das Stichwort Giftgas alarmiert wurden.

SEK-Kräfte mit Atemschutzmasken

Damit einher ging laut Ferraro auch die Tatsache, dass Spezialeinsatzkräfte der Polizei nach Singen beordert wurden. Speziell geschulte SEK-Kräfte für Giftstoffe seien zum Einsatz gekommen. Das passt zu den Aufnahmen der Festnahme eines Tatverdächtigen, der in einen Reizgasvorfall verwickelt war. Zwei Maskierte waren in eine Anwaltskanzlei in der Innenstadt eingedrungen, hatten das Gas versprüht und waren dann geflüchtet.

Das Video in den sozialen Medien zeigt, wie schwer bewaffnete SEK-Kräfte – sie rückten unter anderem mit einem gepanzerten Fahrzeug an – auf offener Straße den Mann stellen und ihn auffordern, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen. Ausgestattet waren die Einsatzkräfte mit Atemschutzmasken, zudem warfen sie sich Schutzkleidung über. Anschließend nahmen sie an Arm und den Beinen Abstriche des Tatverdächtigen, der mit dem Bauch auf dem Boden liegt.

Tatverdächtige auf Giftstoffe untersucht

Ferraro erklärt: Ja, hier habe man geprüft, ob mögliche Giftstoffe am Tatverdächtigen haften und es einen Zusammenhang zu dem Gasalarm in der Tiefgarage gibt. Ein zweiter Tatverdächtiger wurde später festgenommen. Die beiden Männer sind Polizeiangaben zufolge 21 und 36 Jahre alt, sie kamen aber wieder auf freien Fuß.

Mittlerweile steht laut Ferraro zudem fest, um was für einen Stoff es sich handelt, der in der Tiefgarage über Stunden hinweg im Mittelpunkt stand. „Die chemische Zusammensetzung des Stoffes befindet sich unter anderem in handelsüblichem Tierabwehrspray“, so der Polizeisprecher. Wie es zu der Verbreitung des Reizstoffes kam, und ob es einen Tatzusammenhang zu dem Vorfall in der Kanzlei am Vormittag gibt, ist derzeit Gegenstand der polizeilichen Ermittlungen.

Die Polizei geht von sechs Leichtverletzten mit Haut- oder auch Atemwegsreizungen aus. Weitere rund 20 Menschen erlitten demnach zwar leichte Atemwegsreizungen, seien aber nach derzeitigem Stand nicht verletzt worden.

Einsatzkräfte aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis

Dekontaminationseinheit
Aus den Landkreisen Tuttlingen und Rottweil sowie dem Schwarzwald-Baar-Kreis wurden Kräfte für die Dekontamination von 50 Kontaminierten alarmiert. Diese setzt sich aus 40 Kräften, acht Fahrzeugen und einem Abrollbehälter zusammen, die bei den Feuerwehrabteilungen Spaichingen, Schramberg-Sulgen, Gosheim, Blumberg sowie Villingen stationiert sind.