Nach einem skandalträchtigen Jahr beharken sich die Parteien in Österreich weiterhin unerbittlich. Doch neben der Aufarbeitung des Kurz-Skandals müssen auch die großen Krisen angegangen werden.
Die österreichische Politik streitet wieder über Flüchtlinge – und zwar lautstark. Die schwarz-grüne Regierung hat auf EU-Ebene jüngst spektakulär die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in den Schengen-Raum blockiert, was Reisen ohne Grenzkontrollen ermöglicht hätte. Und aus der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) kam die Forderung, die Europäische Menschenrechtskonvention einzuschränken. Das Problem ist real, immer mehr Geflüchtete gelangen wieder über den Balkan in die EU. Und viele haben kaum eine Chance auf einen Aufenthaltsstatus. Dennoch sind die Vorstöße der ÖVP nicht als erstes lösungsorientiert, sie richten sich nach innen, an die Stimmung im Land. Inwieweit kann man mit einem harten bis knallharten Flüchtlingskurs punkten?
Der Ausblick auf 2023 ist eher düster
Das Land hat politisch ein chaotisches Jahr 2022 hinter sich, und der Ausblick auf 2023 ist eher düster. Vergiftet wurde die Atmosphäre durch die Chataffäre des damaligen ÖVP-Bundeskanzlers Sebastian Kurz. Die unzähligen Nachrichten auf dem Handy seines damaligen Vertrauten Thomas Schmid waren an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sowie an die Öffentlichkeit gelangt. Sie offenbarten gekaufte Meinungsumfragen, die mutmaßliche Bestechung der Zeitung „Österreich“ durch die ÖVP und die Bezahlung von Zeitungsanzeigen aus Steuergeldern. Ein trüber Sumpf aus Günstlingswirtschaft und mutmaßlicher Korruption. Seitdem wird ermittelt.
Andreas Hanger sitzt im Besprechungsraum des ÖVP-Clubs, so werden die Parlamentsfraktionen genannt, und versucht, Geschäftigkeit und eine erfolgreiche Politik zu vermitteln. Hanger führt die ÖVP-Abgeordneten im Chat-Untersuchungsausschuss an und sagt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Die Geschichte hat sich totgelaufen.“ Die Opposition habe den Ausschuss „zur politischen Showbühne“ gemacht.
Wie soll die ÖVP mit dem einstigen Heilsbringer Kurz umgehen?
Tatsächlich ist in dem seit Anfang März tagenden Gremium fast nichts herausgekommen. Denn die beiden Hauptpersonen, Kurz und der mit der Staatsanwaltschaft kooperierende Schmid, haben die Aussage verweigert. Doch wie soll die ÖVP mit ihrem einstigen Heilsbringer Sebastian Kurz umgehen? „Professionell und nüchtern“, sagt Hanger. Kehrt Kurz irgendwann zurück? „Das sehe ich nicht, das ist abgeschlossen.“
Wien ist derzeit weihnachtlich geschmückt, doch die politische Stimmung ist im Keller. Die Regierung ist unbeliebt, die ÖVP von 37,5 Prozent bei der Wahl 2019 in den Umfragen nun auf 20 Prozent abgestürzt – eine Folge des Kurz-Desasters. Der grüne Juniorpartner gerät auch in den Sog und liegt mit 10 Prozent unter dem einstigen Ergebnis (13,9). Die sozialdemokratische SPÖ legt auf 27 Prozent zu, sie steht gleichauf mit der ebenfalls ansteigenden rechtspopulistischen FPÖ. Stabil sind die linksliberalen Neos (10 Prozent).
Die Probleme sind die gleichen wie in Deutschland
Energiekrise, Krieg, Inflation, Klimawandel: Die Megaprobleme sind die gleichen wie in Deutschland. „Die Regierung ist aber handlungsunfähig“, sagt Elisabeth Garfias-Mitterhuber. Sie ist Sprecherin der starken Frau der SPÖ: Pamela Rendi-Wagner, die Partei und Fraktion führt. Die SPÖ fordert einen Gaspreisdeckel. In der Flüchtlingspolitik kritisiert Rendi-Wagner die „hilflose Symbolpolitik“ der Regierung als Nährboden für Rechtsextremismus. Sie will stattdessen eine „ernsthafte Debatte“ in der EU über gemeinsames Handeln. Die Sprecherin sagt, Rendi-Wagner habe in vier Jahren Opposition „hart gearbeitet und alles gut aufgestellt“.
Die Grünen wirken wie in einer Zwangsehe
Sorgenvoll schaut Sigi Maurer beim Gespräch in der Grünen-Clubzentrale gegenüber dem Burgtheater. „Wir tun alles, um den Klimakollaps zu verhindern“, sagt die Fraktionsvorsitzende. Sie spricht vom massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und dem klimaneutralen Umbau der Wirtschaft. „Unsere grüne Mission ist jetzt Staatsraison“, lobt Maurer, das Bündnis mit der ÖVP sei „die produktivste Regierung seit langer Zeit“. Und die wenig durchgreifende Aufarbeitung des Kurz-Erbes in der ÖVP? „Letztlich hat Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler mit einem Ultimatum an die Partei dafür gesorgt“, so Maurer, „dass Kurz von seinen Ämtern zurückgetreten ist und sich aus der Politik zurückgezogen hat.“ Den Nachfolgekanzler Karl Nehammer sieht sie als „ganz anderen Politikertyp“.
Die Grünen-Parteibasis steht nicht felsenfest zum Bündnis mit der ÖVP
Dennoch wirken die Grünen wie in einer Zwangsehe, die innere Sicherheit überlassen sie den ÖVP-Hardlinern. Warum nicht aussteigen? Bei Neuwahlen könnte sich eine Ampel aus SPÖ, Grünen und Neos bilden. An diese Mehrheit glaubt aber niemand so recht. Und SPÖ und Grüne mögen sich gar nicht gut leiden, heißt es. Die SPÖ wirft den Grünen vor, an Macht und Posten zu kleben, sowie für Klimapolitik alles zu opfern. Die Grünen dagegen befürchten, dass sich die SPÖ doch nicht auf eine Ampel einlassen, sondern in eine bequemere große Koalition ziehen würde.
Die Grünen-Parteibasis steht nicht so felsenfest zum Bündnis mit der ÖVP, meint ein parteinaher Beobachter. Viele Grünen-Mitglieder sind weiter in politischen Bewegungen aktiv: für Flüchtlingsschutz, eine radikale Klimawende oder Feminismus. Gerade sie haben große Schmerzen wegen Schwarz-Grün.