Hasskriminalität im Netz nimmt zu. Hunderte Fälle wurden 2021 offiziell gezählt, doch die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen. Foto: Sommer

Zur Kritik von Jan Böhmermann sagt Task-Force-Leiterin Bettina Rommelfanger: "Die Polizei in Baden-Württemberg ermittelt sehr wohl im Internet."

Das Internet ist der Landesregierung zufolge inzwischen ein zentrales Medium zur Verbreitung von Hass und Hetze. Eine neue Initiative soll gegensteuern.

Hasskriminalität im Internet

Hass beschreibt ein sehr intensives Gefühl der Abneigung. Von Hasskriminalität spricht die Polizei, wenn sich Straftaten vorurteilsgeleitet und abwertend gegen Menschen anderer Herkunft, anderen Geschlechts, Angehörige eines anderen Glaubens, Menschen anderer sexueller Orientierung oder Menschen mit Behinderungen richten. Hasskriminalität verzeichnete von 2020 bis 2021 einen Anstieg von 746 auf 883 Fälle. Fast die Hälfte der Delikte (421 Fälle) wurde im Internet verübt. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. Die grün-schwarze Landesregierung geht das Thema Hass und Hetze im Netz mit der Bildung eines ressortübergreifenden Kabinettsausschusses an. Dessen Geschäftsstelle, die Koordinierungsstelle "Präventiv und offensiv gegen Hasskriminalität, Antisemitismus und Extremismus" wurde beim Innenministerium angegliedert. Im November beschloss der Kabinettsausschuss zudem den Einsatz einer Task Force gegen Hass und Hetze beim Landeskriminalamt in Stuttgart.

Regierung setzt Task Force ein

Task Force, Einsatzgruppe, das klingt nach Schlagkraft. Wie Politik und Polizei zusammenarbeiten, erklärt die Leiterin der Task Force, Bettina Rommelfanger, unserer Redaktion: "Unsere wichtigste Aufgabe ist es, Bedrohungen durch Hass und Hetze im Netz zu erkennen und zu bekämpfen", sagt sie. "Hierbei sollen auch neue Wege beschritten, und im Ergebnis soll die Medienkompetenz von Bürgerinnen und Bürgern gestärkt werden." Zum Team der Task Force gehören Partner des Bildungssektors: die Landesanstalt für Kommunikation, die Landeszentrale für politische Bildung, das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung, das Institut für Bildungsanalysen, das Demokratiezentrum und das Landesmedienzentrum. Ständige Mitglieder sind zudem die Landeskriminalprävention, das Zentrum für Sicherheitsforschung, das Kompetenzzentrum gegen Extremismus und die Abteilung Staatsschutz, "alle vier dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg zugehörig", wie Rommelfanger betont. Schließlich wirkt das Landesamt für Verfassungsschutz in der Task Force mit, beratend unterstützen die Opferschutzorganisation Weißer Ring und HateAid, eine Beratungsstelle für Opfer digitaler Gewalt.

So geht die Einsatzgruppe vor

"Hass und Hetze im Netz sind keine brandneuen Phänomene", betont Rommelfanger. Vonseiten der Polizei und der Partner in der Task Force seien in den vergangenen Jahren zahlreiche Maßnahmen zur Sensibilisierung und Information verschiedener Zielgruppen angelaufen. "In einem ersten Schritt wurden diese nun gesammelt, ausgewertet und Schnittmengen, aber auch offene Bedarfe identifiziert." Mehr als 80 Formate aus den Bereichen Bildung, Forschung, Opferhilfe und Meldestellen wurden erfasst. "Die Vielfalt hat sogar uns selbst überrascht", so Rommelfanger. In einem nächsten Schritt sollen die Formate sichtbarer und beispielsweise für Schulklassen oder ältere Menschen besser verfügbar gemacht werden. Aktuell arbeitet die Task Force in Abstimmung mit dem Kabinettsausschuss an einer Webseite, die in Kürze online gehen wird. "Unter dem Logo ›Initiative Toleranz im Netz‹ und dem Motto ›Aktiv gegen Hass und Hetze‹ werden die wichtigsten Meldestellen für Betroffene von Hass und Hetze aufgelistet, auch Anlaufstellen für Opfer stellen sich vor und können direkt erreicht werden. Zudem können verfügbare Bildungs- und Präventionsangebote zielgruppengerecht gefiltert und auch direkt gebucht werden", sagt Rommelfanger. "Über ein Kontaktformular kann die Geschäftsstelle der Task Force im Landeskriminalamt direkt erreicht werden."

Veränderungen bei der Polizei

Zum Plan gehört auch die Berufung von Kontaktpersonen gegen Hasskriminalität im Netz bei allen Polizeipräsidien im Südwesten. Sie sollen Rommelfanger zufolge als Multiplikatoren innerhalb der Dienststellen eingesetzt werden und engen Kontakt zur Task Force halten. "Wir wollen ein Ohr an der Basis haben und wissen, wo es Bedarfe innerhalb der Polizei gibt, wo wir Rahmenbedingungen optimieren können", betont sie. Auch eine interne polizeiliche Fortbildung sei geplant. Es wird deutlich: Gut ausgebildetes und ausgestattetes Personal sowie ein breites Wissen sind nötig. "Im digitalen Raum sind wir auf Kenntnisse technischer, aber auch rechtlicher Möglichkeiten und ein gewisses globales Verständnis für die Funktionsweise der digitalen Welt angewiesen, um entsprechende Fälle zu verfolgen", erklärt Rommelfanger. Das Ziel: einen einheitlichen Standard landesweit gewährleisten, um Hass und Hetze im Netz mit gleichbleibend hoher Qualität zu verfolgen.

Prävention von Hasskriminalität

"Zur Steigerung der Medienkompetenz stehen bereits Präventionsangebote der Polizei zur Verfügung", betont Rommelfanger. Dazu zählt unter anderem der Vortrag "Zivilcourage im Netz". Er richtet sich an Achtklässler und soll digitale Zivilcourage sowie Melde- und Anzeigebereitschaft fördern. Auf der Seite der bundesweiten Kriminalprävention "Zivile Helden" sensibilisiert Rommelfanger zufolge ein Kurzfilm zu den Themen Antisemitismus und Rechtsextremismus sowie zur Wirkung von Verschwörungsmythen. Prävention sei entscheidend, betont die Task-Force-Leiterin. "Wir wollen durch Sensibilisierung und Aufklärung erreichen, dass sowohl Hatern als auch Betroffenen die Folgen des Postens von Hasskommentaren bekannt sind und damit einen Perspektivwechsel ermöglichen." Über weitere Präventionsangebote informiere die Seite www.polizei-beratung.de und jede Polizeidienststelle. Rommelfanger: "Alle Links und Hinweise sind in Kürze auf unserer Webseite der Task Force, der Initiative Toleranz im Netz, zu finden."

Hass in sozialen Medien

Hasskriminalität ist auch in sozialen Netzwerken ein großes Thema. Wie soll ein Nutzer reagieren, der glaubt, einen Fall von Hasskriminalität entdeckt zu haben oder aber selbst betroffen ist? "Unsere erste Botschaft ist: Wenden Sie sich an Ihre Polizeireviere vor Ort", sagt Rommelfanger. Auch über die Internetwache der Polizei seien Anzeigen möglich. Betroffene könnten sich unter anderem auch an die Meldestelle Respect des Demokratiezentrums Baden-Württemberg oder die Internetbeschwerdestelle wenden. Jugendgefährdende Inhalte könnten an jugendschutz.net gemeldet werden. Rommelfanger rät, die Hasskommentare zu dokumentieren – mittels Screenshot, URL und Datum. "Betroffenen empfehlen wir darüber hinaus, die kostenlosen Beratungsangebote von Opferschutzorganisationen wie vom Weißen Ring oder HateAid zu nutzen."

Die Kritik durch Jan Böhmermann

Ein einheitliches Vorgehen bei der Anzeigen-Aufnahme, umfassende Ermittlungen im Anschluss: Das hat Jan Böhmermann neulich vermisst. Die Redaktion seiner Sendung "ZDF Magazin Royale" hatte sieben offensichtlich strafrechtlich relevante Hassbotschaften bei Polizeidienststellen in allen Bundesländern angezeigt. Der Ermittlungsverlauf – wenn ermittelt wurde – war häufig nicht besonders erfolgreich, Anzeigeerstatter wurden mehrfach an andere Stellen verwiesen. "Das darf so nicht sein, wer einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt anzeigt, darf nicht abgewiesen werden, egal ob sich die Tat im analogen oder digitalen Raum abspielt", betont Rommelfanger. Betroffene und Opfer sollten erfahren, wo sie Hilfe finden, und was mit ihrer Anzeige passiert. Und wer keine Anzeige erstatten möchte, aber trotzdem Hilfe braucht, dem solle etwa der Weg zur Opferberatungsstelle aufgezeigt werden. "Die Polizei in Baden-Württemberg ermittelt sehr wohl im Internet, mehr als die Hälfte aller landesweit angezeigten Vorfälle wurden im letzten Jahr auch aufgeklärt, eine Anzeige ist somit grundsätzlich erfolgversprechend und ich kann nur dazu ermutigen, sich auf unserer Webseite zu informieren und gegebenenfalls Anzeige zu erstatten", betont die Task-Force-Chefin.