Der mutmaßliche „Reichsbürger“ steht in Stuttgart vor Gericht. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Es sind nur wenige Sekunden in jener Februar-Nacht. Nach einer Verfolgungsjagd stoppt die Polizei einen mutmaßlichen „Reichsbürger“, es fallen Schüsse, der Mann gibt Gas und überfährt einen Polizisten. Nun müssen sich die Beamten vor Gericht an die Sekunden von damals erinnern.

Bis ins Detail haben Polizisten vor Gericht die entscheidenden Sekunden einer dramatischen Verkehrskontrolle im Schwarzwald geschildert, bei der einer ihrer Kollegen von einem mutmaßlichen „Reichsbürger“ angefahren worden war. Anhand eigener Erinnerungen, mit Fotos, einem Verhörvideo und kleinen Modellautos zeichneten die Kammer des Stuttgarter Oberlandesgerichts und die Zeugen die Momente der vergangenen Nacht im Februar nach. Nach Einschätzung der beiden Polizisten hätte der wegen versuchten Mordes angeklagte Mann den Aufprall verhindern können. Der angefahrene Polizist war dadurch schwer verletzt worden.

Die Beamten im Zeugenstand waren im Februar dabei, als der mutmaßliche „Reichsbürger“ nach einer Verfolgungsjagd zunächst gestoppt werden konnte. Der 62-Jährige habe aber unvermittelt wieder Gas gegeben und auf den ausgestiegenen Polizisten zugesteuert, sagten Polizisten aus. Der Mann habe keinen Versuch unternommen, an dem Kollegen vorbeizufahren, sagte ein 34 Jahre alter Beamte am Mittwoch. „Es wäre vermeidbar gewesen“, sagte er und und sprach von einem „zielgerichteten“ Anfahren. „Er hätte einschlagen können, dann wäre es nicht zur Kollision gekommen.“

Das Oberlandesgericht muss vor allem klären, ob der angeklagte Deutsche aus Efringen-Kirchen (Kreis Lörrach) den Polizisten bei seinem Fluchtversuch absichtlich angefahren hat und ob er aufgrund seiner politischen Gesinnung versucht hat, den Beamten zu töten. Die Anklage ist die erste, die die Bundesanwaltschaft gegen einen „Reichsbürger“ erhoben hat. Zu Prozessbeginn hatte der 62-Jährige keine Angaben zur Sache gemacht.

Der Beamte wurde schwer verletzt, er kann nicht mehr als Polizist arbeiten

Sogenannte Reichsbürger und „Selbstverwalter“ leugnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihres Rechtssystems, sie sprechen Politikern und Staatsbediensteten die Legitimation ab und verstoßen immer wieder gegen Gesetze. Laut Verfassungsschutz gehören etwa 3300 Menschen dieser Szene in Baden-Württemberg an.

Die Bundesanwaltschaft zeigt sich überzeugt, dass der 62-Jährige den Polizisten absichtlich angefahren und dabei „seine persönliche Freiheit über das Leben des Polizeibeamten“ gestellt hat. Er habe die Flucht bei der Kontrolle aus dieser Gesinnung heraus angetreten, hatte ihm die Bundesanwaltschaft zum Prozessauftakt vor Gericht vorgeworfen. Der Mann hat sich bislang zu seinem Lebenslauf, nicht aber zur Sache geäußert.

Bei dem aufsehenerregenden Vorfall war der angetrunkene Mann im Kreis Lörrach zunächst in eine Verkehrskontrolle geraten, hatte kurz gestoppt und dann wieder Gas gegeben. Wiederholt war er angehalten worden, er hatte aber immer wieder mit seinem Auto entkommen können. Auch durch mehr als zwei Dutzend Schüsse auf seinen Wagen und von mehreren Streifenwagen war er nicht aufzuhalten gewesen, bis er schließlich laut Bundesanwaltschaft absichtlich auf einen Beamten zugehalten und den Mann angefahren hatte. Der Beamte wurde schwer verletzt, er kann nicht mehr als Polizist arbeiten.