Washington - Längst hat sich der gewohnte politische Grabenkrieg zwischen links und rechts des Blutbads von Tucson bemächtigt. Dabei kommen wichtige Fragen oder Fakten oft zu kurz. Präsident Obama versucht nun, das Land zu einen. Doch ob es ihm gelingt, darf bezweifelt werden.

US-Präsident Barack Obama möchte am Mittwoch nach Tucson reisen, um an einer Trauerfeier für die Opfer des Anschlags von Arizona teilzunehmen und den Hinterbliebenen persönlich sein Beileid auszusprechen. Viele Amerikaner erwarten in schweren Zeiten ein Zeichen der Beruhigung von ihrem Präsidenten. Der Mann im Weißen Haus wird dann gewissermaßen zum Chef-Tröster.

Immer wieder gelang es Obamas Amtsvorgängern, das Land in diesen Momenten hinter sich zu scharen und zu einen. Ronald Reagan etwa erfüllte diese Aufgabe auf unnachahmliche Weise, als er 1986 nach dem Absturz des Space Shuttles Challenger die gestorbenen Astronauten ehrte. George W. Bush hatte einen solchen Augenblick, als er nach den Terroranschlägen vom September 2001 auf den Trümmern des World Trade Centers in New York sein "Ich kann Euch hören" in die Welt rief.

Gibt Obama jetzts eine Zurückhaltung auf?

Gewiss herrschte in der ältesten Demokratie der Welt stets ein rauherer, volkstümlicher geprägterer Ton. Der amerikanische Kulturkritiker Neil Gabler hat dafür den Begriff "Entertainment Republik" geprägt. Und wer meint, die Dämonisierung des politischen Gegners sei etwas Neues, der irrt: Immer wieder habe es in den USA radikale Stimmen gegeben, die ein hartes Vorgehen forderten gegen "Bankiers, Schwarze, Katholiken, Kommunisten und eine Menge andere Gruppen, die, sagt der US-Historiker Robert Dallek, "als Gefahr für den 'American Way of Life' angesehen wurden". Auch Gewalt und politische Morde seien nichts Neues.

Kann Obama jetzt Ähnliches vollbringen? Immerhin raten liberale Kommentatoren schon länger, der angeschlagene Präsident, der seine eigene Geschichte im Wahlkampf noch so erfolgreich zu kommunizieren vermochte, soll endlich seine Zurückhaltung aufgeben. Er müsse Führungsstärke beweisen und seine Präsidentschaft stärker selbst definieren, statt dies dem politischen Gegner zu überlassen. Doch McCurry ist skeptisch: Aus einem so schrecklichen Ereignis könne man nur einen politischen Vorteil erringen, indem man gar nicht erst versucht, daraus einen Vorteil zu ziehen, meint der Politprofi. Alles andere wirke "unglaublich künstlich". "Das Land hat es nötig, dass der Präsident das zum Ausdruck bringt, was wir alle fühlen", so McCurrys hohe Messlatte für Obamas Rede in Tucson. Auch für einen redebegabten Präsidenten keine leichte Aufgabe in diesen politisch so polarisierten Zeiten, in dem jedes Wort und jede Geste auf den politischen Gehalt hin - den wahren oder auch nur den vermeintlichen - seziert wird. Längst schon machen sich Kritiker im Talk-Radio oder Internet über Obamas "Oklahoma City Moment" her.

Ein rauher Ton ist an der Tagesordnung

Da verwundert es kaum, dass sich - nach nur kurzem Innehalten - Demokraten und Republikaner in gewohnter Manier auch der Tragödie in Tucson bemächtigt haben, um ihren ewigen "Abnutzungskrieg" zu führen. Vielfach noch bevor aussagefähige Details über die Motive des mutmasslichen jungen Todesschützen bekannt wurden, stand für viele Linke bereits fest, dass er durch die gewalttätige Rhetorik von rechts dazu angestiftet worden war. Da wird der Angriff mit Sarah Palin in Verbindung gebracht, die im Wahlkampf von 2010 den Wahlkreis von Gabrielle Giffords mit dem Fadenkreuz eines Zielfernrohres markiert hatte. Und der linksliberale Moderator Keith Olbermann forderte, dass sich Palin von ihrem damaligen Tun nun distanzieren solle.

Nur wenige besonnenere Geister wiesen darauf hin, dass der schwerwiegende Vorwurf, bestimmte Politiker trügen an der Ermordung von sechs Menschen eine Mitschuld, noch nicht bewiesen sei. Er sei ja auch dafür, die politische Rhetorik zu mäßigen, die politische Polarisierung verstöre ihn, meint etwa Jim Kolbe, ein gemäßigter Republikaner, der vor Giffords Arizonas 8. Bezirk im Repräsentantenhaus vertrat. Aber, fügt er hinzu: "Ich halte es für unangebracht und falsch zu behaupten, dass es einen Zusammenhang damit und diesem bestimmten Vorfall gibt." Erst sollte die Polizei die Motive des Täters klären. Die angegriffenen Konserativen indes unterstellen den Demokraten derweil eine gezielte Schmutzkampagne. Und wenn sich die Demokraten nun in ihrer Opferrolle gefallen, ist das nichts anderes als Heuchelei. Zu Erinnerung: Als George W. Bush noch im Weißen Haus amtierte, wurde auch er von der Linken als notorischer Lügner, Verbrecher oder gar verkappter Hitler gebrandmarkt. Und der geneigte Beobachter fragt, sich, wie tief das Ansehen der politischen Klasse Amerikas eigentlich noch sinken muss, bevor das traurige Treiben ein Ende hat.

Ein rauher Ton ist an der Tagesordnung

Gewiss herrschte in der ältesten Demokratie der Welt stets ein rauherer, volkstümlicher geprägterer Ton. Der amerikanische Kulturkritiker Neil Gabler hat dafür den Begriff "Entertainment Republik" geprägt. Und wer meint, die Dämonisierung des politischen Gegners sei etwas Neues, der irrt: Immer wieder habe es in den USA radikale Stimmen gegeben, die ein hartes Vorgehen forderten gegen "Bankiers, Schwarze, Katholiken, Kommunisten und eine Menge andere Gruppen, die, sagt der US-Historiker Robert Dallek, "als Gefahr für den 'American Way of Life' angesehen wurden". Auch Gewalt und politische Morde seien nichts Neues.

Eine neue Qualität, zumindest der Dimension nach, hat aber die Tatsache, dass sich die politische Diskussion in den USA in den vergangenen Jahren immer stärker von den Fakten gelöst hat. Das hat viel mit den Medien und deren Nutzung zu tun. Viele Medien sind schlecht informiert, dafür vertreten sie ihre Meinungen umso hitziger. Selbst Mainstream-Medien reagieren mit instinktiver Ablehnung auf Sarah Palin und die Tea-Party-Bewegung. Da kommt die Tragödie von Tuscon gerade recht. Zudem ist nicht nur die US-Gesellschaft gespalten. Auch in den Redaktionen bleibt man gerne unter sich. Die Stimmen derer, die die herrschenden Meinungen noch in Frage stellen, werden seltener. Hinzu kommt, dass im US- Medienmarkt derjenige am meisten belohnt wird, der am ehesten den Publikumsgeschmack am besten trifft.

Wenn man in den USA ein Auto kauft, kann es einem passieren, dass der Verkäufer ein Satelitenradio gleich mitempfiehlt: "Da können Sie ungestört linke oder rechte Sender hören", meinte der gute Mann. Auf die Frage, ob auch guter Journalismus zu empfangen sei, staunte er nur. Neben einer Informationselite haben es viele US-Bürger aufgegeben, sich noch richtig zu informieren. Was ist nur aus dem Diktum des Gründers Thomas Jefferson geworden, der gesagt haben soll, dass eine funktionierende Demokratie auf gut informierten Bürgern beruhe? Die gute Nachricht sei, meint David Brooks, konservativer Kolumnist der "New York Times", "dass sich die Mainstream-Medien normalerweise von seinen Hysterien wieder erholt und verspätet versucht, die Story doch noch richtig hin zu bekommen".