Die Spuren der Bundestagswahl sind in Lahr noch längst nicht alle beseitigt. Foto: Bender

Guido Schöneboom hat sich mit einem Schreiben an den Gemeinderat gewandt – Tenor: Die  Suche nach einer Erklärung für das gute AfD-Ergebnis bei der Bundestagswahl in Lahr ist keine einfache. 

Nach der Bundestagswahl gibt es in Lahr und darüber hinaus hitzige Diskussionen über das Wahlergebnis. Im Fokus steht das starke Abschneiden der AfD, die mit 31,4 Prozent zur stärksten Kraft in der Stadt wurde. Für viele steht fest: Dafür sind die Spätaussiedler verantwortlich.

 

Bereits am Samstag haben Alt-OB Wolfgang G. Müller und Olesja Romme von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland im Interview mit unserer Redaktion dieser These widersprochen. Nun legt der Erste Bürgermeister Guido Schöneboom nach. Er verschickte am Montag einen „Diskussionsbeitrag“ an die Lahrer Stadträte und OB Markus Ibert. Das achtseitige Schreiben liegt der LZ vor.

Schöneboom: Stadt hat bei Integration sehr erfolgreiche Arbeit geleistet

Schöneboom bezeichnet darin die aktuelle Debatte als von „allerlei Vermutungen und Befürchtungen“ geprägt. Zwar sei unbestritten, dass es eine wachsende Zustimmung für die AfD in Stadtteilen mit hohem Anteil an Spätaussiedlern aus der früheren Sowjetunion gebe. Doch dürfe die Wahlentscheidung der Russlanddeutschen in Lahr keinesfalls als Mangel an Integration gewertet werden. Die Stadt habe im Gegenteil auf diesem Gebiet sehr erfolgreiche Arbeit geleistet, die sich nicht nur auf die berufliche Eingliederung, sondern auch auf die soziale Teilhabe der Zugewanderten stütze.

Besonders die zweite und dritte Generation der Russlanddeutschen, betont der Bürgermeister, identifizierten sich „selbstverständlich“ als Lahrer und teilten mit den Einheimischen gemeinsame Werte. „Sie fühlen sich als Deutsche, sie sind Deutsche. Das beinhaltet auch das Recht und die Freiheit einer persönlichen Meinungsbildung.“ Dazu zähle unbestritten der Gang zur Urne.

Schöneboom nimmt im weiteren Verlauf die komplexe Geschichte der Integration in Lahr in den Blick. In den frühen 1990er-Jahren habe die Stadt eine „Zeitenwende“ erlebt, als etwa 8700 Spätaussiedler aus ehemaligen Sowjetstaaten ankamen. Der Integrationsprozess sei nicht ohne Konflikte verlaufen. Der Sozialdezernent erinnert an den denkwürdigen Auftritt des damaligen Oberbürgermeisters im Januar 2016: Wolfgang G. Müller stellte sich auf dem Rathausplatz – erfolgreich – einer aufgebrachten Menge entgegen, die dort wegen der angeblichen Vergewaltigung eines russlanddeutschen Mädchens demonstriert hatte. Oder an Bundespräsident Johannes Rau, der bei einem Besuch im Jahr 2004 die Integrationsbemühungen der Stadt würdigte. Und an 2019, als zum ersten Mal der Landesintegrationspreis verliehen wurde, und OB Müller – stellvertretend für die Gesamtstadt – einen „Anerkennungspreis“ erhielt.

Beitrag soll den Stadträten einen Gedankenanstoß geben

Trotz aller Erfolge, betont Schöneboom, bewegten sich die Russlanddeutschen in Lahr nach wie vor „in einem Spannungsfeld von gesellschaftlicher Anerkennung und latenter Herabsetzung“. Auch den Fortbestand „(kleinerer) Parallelgesellschaften“ stellt der Erste Bürgermeister nicht infrage. „Aber: Einheimische und Zugezogene haben sich aufeinander eingestellt und ein teilweises Nebenher wird gebilligt.“

Schöneboom warnt davor, „drei Jahrzehnte jetzt angesichts des Wahlergebnisses vom 23. Februar 2025 infrage zu stellen oder falsche Rückschlüsse zu ziehen“. Das wäre „weder sachgerecht noch gegenüber all denjenigen angebracht, die sich auf beiden Seiten für das gelingende Miteinander eingesetzt haben und auch heute dazu bereit sind“. Dass diese Forderung umsetzbar ist, zeige das „reflektierte Interview“ mit Romme und Müller am Wochenende in der Lahrer Zeitung.

Auf Nachfrage erklärte Schöneboom am Montag, dass sein Diskussionsbeitrag „zunächst eigentlich nicht für die Öffentlichkeit gedacht war“. Er habe den Stadträten einen Denkanstoß geben wollen, denn: „Das Ergebnis der Bundestagswahl in Lahr bedarf aus meiner Sicht einer tiefergehenden Aufarbeitung.“ So hätten längst nicht nur Russlanddeutsche die AfD gewählt. Das zeige etwa der Blick auf zwei Wahlbezirke in Reichenbach, wo die Rechtsaußen-Partei mehr als 30 Prozent eingefahren hat. „Ganz offenbar haben auch Einheimische ihr Kreuz bei der AfD gemacht.“

Bund, Land und Kommunen gefragt

Für die Zukunft, fordert Schöneboom, sei die Fortsetzung des Dialogs essenziell, ebenso wie „eine Politik, die transparent den fairen gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert, wirtschaftliche Stabilität und Wachstum forciert“. Bund und Länder, aber auch die Verantwortlichen in den Kommunen seien gefragt, „den Bürgerinnen und Bürgern ein Gerüst zu schaffen, in dem Zukunftsängste abgelegt werden (können) und das eigene bürgerliche Engagement für ein vielfältiges, friedliches Zusammenleben im Vordergrund steht“. Gleichzeitig sei Propaganda, Hass und Hetze „eine klare Absage zu erteilen“.

Vergleich mit dem Osten

Bürgermeister Guido Schöneboom, gebürtiger Leipziger, zieht in seinem „Diskussionsbeitrag“ eine Parallele zwischen Russland- und Ostdeutschen, die ebenfalls der AfD zugeneigt seien. Die Menschen in den „neuen Bundesländern“ fühlten sich teils noch heute als „Deutsche 2. Klasse“. Nach der Flüchtlingskrise 2015/16 mit den aus ihr folgenden Ängsten sowie drei Jahren Ampel-Regierung sei das Verlangen nach einem starken, wehrhaften Staat groß.