Beim 6:1-Erfolg gegen den FC Schalke 04 beeindruckt die Mannschaft von Trainer Urs Fischer den Gegner mit ihrer Struktur und Effizienz. Was machen die Berliner richtig?
Urs Fischer wäre nicht Urs Fischer, wenn er nicht auch den rauschhaften Stunden auf dem Gipfel mit radikaler Nüchternheit begegnen würde. Ein beeindruckendes 6:1 hatten der Trainer von Union Berlin und seine Mannschaft beim FC Schalke 04 erspielt, einen noch höheren Sieg konnten die Anhänger des Clubs bislang weder in der Bundesliga noch in der DDR-Oberliga bejubeln. Bis zum Ausgleichstor des FC Bayern gegen Mönchengladbach in der Schlussphase des Abendspiels stand Union am Samstag sogar für einige Stunden auf Platz eins in der Tabelle, woraufhin Fischer auf die Frage nach seiner Meinung zum Spiel zunächst einmal erklärte: „Es wird wichtig sein für uns, dieses Resultat richtig einzuordnen.“ Die Höhe des Sieges fand er unangemessen, „die 3:1-Pausenführung war aus meiner Sicht glücklich, Schalke war in der ersten Hälfte besser im Spiel als wir, war aggressiver, war agiler, wir wirkten schläfrig, zum Teil auch fahrig“, monierte der Schweizer, bevor er sich doch noch zu einem dürren Lob hinreißen ließ: „Was gut war: Wir waren sehr effizient.“
Union hat das Spielglück, das Erfolgsmannschaften so oft zufällt
All diese Worte waren nicht ganz falsch, tatsächlich hatten die Schalker gut auf das frühe 0:1 durch Morten Thorsby (6.) reagiert und nach Marius Bülters Elfmetertor zum 1:1 (31.) einige starke Minuten gehabt. Aber das Selbstvertrauen und die Klarheit, mit denen Union derzeit spielt, sind tief beeindruckend. „Union Berlin hat nicht die Qualität wie der FC Bayern, aber sie halten sich sehr konsequent an ihre Struktur“, sagte der Schalker Abwehrchef Maya Yoshida und sprach von einer „Lehrstunde“. Genauso müsse ein Team spielen, das zuallererst durch die Kraft des Kollektivs erfolgreich sein möchte. Schalkes Trainer Frank Kramer feierte Union gar als „Idealbild einer jeden Mannschaft“, davon könne sich sein Team „eine Scheibe abschneiden“. Union Berlin ist neben dem SC Freiburg längst das interessanteste Vorbild für alle Mittelklassevereine, die mit konsequenter Facharbeit dauerhaft wachsen und siegen wollen.
Und irgendwann haben solche Clubs dann auch das Spielglück, das Erfolgsmannschaften so oft zufällt. Ein eher harmloser Schuss von Sheraldo Becker wurde unhaltbar zum 2:1 abgefälscht (36.), bevor Janik Haberer (45.) und abermals Becker (46.) den Schalkern durch Treffer in den psychologisch wichtigen Momenten direkt vor und direkt nach der Halbzeitpause „den Stecker gezogen“ haben, wie Kramer einräumte. Als dann Sven Michel die beiden abschließenden Tore erzielte (87., 90.), waren Tausende Zuschauer schon auf dem Heimweg, zu deutlich war der Leistungsunterschied am Ende. Die Berliner strahlten in der zweiten Hälfte eine geradezu einschüchternde Stärke und ein unerschütterliches Selbstvertrauen aus, das auch die Neuzugänge ansteckt.
Union als die größte Herausforderung für Bayern, die die Bundesliga zu bieten hat?
Über ihre ersten Startelfberufungen konnten sich Danilho Doekhi und Morten Thorsby freuen, beide waren sofort gut integriert. Vieles deutet darauf hin, dass der Kader auch in dieser Saison breit genug ist für die Mehrfachbelastung des Herbstes, wenn die Europa-League-Partien bevorstehen. „Egal ob es die Elf ist, die anfängt, oder die Jungs, die reinkommen, da ist einfach jeder da“, sagte Robin Knoche. Es ist dem Trainer, den Spielern und der Sportlichen Leitung gelungen, eine Leistungskultur zu schaffen, in der es fast allen Profis leichtfällt, die eigenen Potenziale zu entfalten. Im Moment ist Union Berlin schlicht eine Spitzenmannschaft, da passt es, dass am kommenden Samstag der der Spitzenreiter aus München beim punktgleichen Zweiten zu Gast in Köpenick sein wird.
Fischer sagte zwar, dass ihn die Tabelle eigentlich erst „nach 34 Spieltagen“ interessiere, und tatsächlich ist das Ranking Ende August von den Zufällen der Spielplangestaltung geprägt. Aber es können nur wenige Zweifel daran bestehen, dass Union und Bayern München die beiden stärksten Clubs des bisherigen Saisonverlaufs sind. Andere Topteams wie Dortmund, Leipzig oder Leverkusen befinden sich noch inmitten eines Selbstfindungsprozesses, und Mönchengladbach wirkt ebenfalls unfertig; für die Bayern ist eine Partie an der Alten Försterei derzeit vielleicht wirklich die größte Herausforderung, die die Bundesliga zu bieten hat.
In der vergangenen Saison haben die Berliner in der Liga nur die Heimspiele gegen die Bayern und zuletzt im vergangenen Februar gegen den BVB verloren, in den Duellen mit den Topclubs gibt es also noch ein paar letzte Steigerungspotenziale. „Wir werden versuchen, die Heimmacht zu nutzen, die wir im Moment innehaben“, sagte Knoche.
Schalke ist nächster VfB-Gegner
Spiele
Der schmerzhaften klaren 1:6-Niederlage gegen das aktuelle Spitzenteam Union Berlin folgen für die Schalker nun zwei Partien gegen Teams, die eher auf Augenhöhe sein sollten. Am Samstag geht’s zum VfB Stuttgart, dann folgt das kleine Derby gegen den VfL Bochum.
Fans
Der Gang zu ihren Anhängern nach dem 1:6-Debakel war für die Schalker Spieler erstaunlich angenehm. Keine Pfiffe bekamen sie zu hören, keine Wut prasselte auf sie ein. Stattdessen „Auf geht’s, Schalke, kämpfen und siegen“-Chöre und Applaus.