Nach 35 Jahren schließen Goldschmiedemeister Ralf Kühling und seine Frau Imme Laszig-Kühling ihr Juweliergeschäft in der Lederstraße 42. Endet mit ihnen dort womöglich eine 140-jährige Tradition?
An seinen ersten Ausflug nach Calw erinnert sich Ralf Kühling noch gut: Das war an einem grauen Sonntagnachmittag im November 1988. „Um Gottes Willen“, hätten seine Frau Imme und er damals zueinander gesagt. Abgeschreckt hat die triste Stimmung in der Innenstadt die junge Familie indes nicht. Die Kühlings entschieden sich, es zu wagen und das Juweliergeschäft in der Lederstraße 42 zu übernehmen.
Für die Familie mit einem kleinen Kind, die aus Heidelberg in die Hesse-Stadt zog, war es eine Alles-oder-nichts-Entscheidung. Am 4. Mai 1990 begann die Geschichte von „Goldschmied und Juwelier Kühling“ in Calw, 35 Jahre später und ein halbes Jahrhundert nach seinem Einstieg in den Beruf geht sie langsam zu Ende.
Gemeinsam geschafft
„Wir hören zusammen auf“, sagt der 66-Jährige über sich und seine Frau Imme Laszig-Kühling. Gemeinsam hat das Paar nicht nur das Geschäft aufgebaut und betrieben, sondern auch vier mittlerweile erwachsene Kinder großgezogen. Alle vier schlagen beruflich einen anderen Weg ein, nun haben auch die Eltern entschieden, neue Wege zu gehen.
„Ich fühle mich eigentlich zu jung, um aufzuhören, um nichts zu tun“, erzählt Ralf Kühling. „Aber ich möchte mehr Freiheiten haben.“ Die Zeiten der langen Arbeitstage sollen vorbei sein. Der Spaß an seiner Arbeit ist es nicht: „Es ist ein so vielfältiger Beruf“, sagt der Goldschmied.
Kreativ zu sein, neue Kollektionen zu gestalten, Werbung zu kreieren, sich um die kaufmännischen Dinge zu kümmern und Gespräche mit den Kunden zu führen: Diese Mischung gefällt ihm bis heute.
„Trauringe mache ich sehr gerne“
„Ich hab immer nur glückliche junge Menschen hier“, sagt er. Selten habe er es mit den Schattenseiten des Lebens zu tun. Denn wer Schmuck verschenkt, der will anderen damit eine Freude machen. Und wenn sich ein Paar einen Ring aussucht, dann geht es ums große Glück. „Trauringe mache ich sehr gerne“, sagt Kühling.
Aber auch, wenn Kunden ihm ein Familienerbstück bringen, das er umarbeiten soll, ist das bewegend: „Schmuck ist auch Emotion.“ Und der Juwelier bekommt viel davon mit, wenn die Menschen mit ihren Schätzen oder Wünschen zu ihm kommen.
Da macht das kleine Calw im Vergleich zu Heidelberg dann vielleicht doch den großen Unterschied. Als er als angestellter Goldschmied in der Universitätsstadt tätig gewesen sei, habe es 13 Juweliergeschäfte gegeben. Gefiel es den Kunden im einen nicht, gingen sie einfach ins nächste.
In der Hesse-Stadt ist das anders: „Die Leute kommen zu uns und finden uns toll.“ Die Kühlings haben sich im Laufe der Jahrzehnten einen guten Ruf erarbeitet, einen, von dem sie gut leben können.
Wer hätte das vor 35 Jahren gedacht? Ihr erster Werbeslogan lautete damals: „Sekt oder Selters.“ Man könnte auch sagen: alles oder nichts. „Wir haben noch das erste Sektplakat“, erzählt der 66-Jährige lachend. Es ist was geworden mit dem Sekt, ihr Juweliergeschäft eine Institution in der Stadt.
Ideen hat er noch
Jetzt, zum Abschluss, könnte der Slogan lauten „Alles muss raus“, meint Ralf Kühling. Der Räumungsverkauf hat begonnen. „Wir verkaufen jetzt einfach alles, und wenn nichts mehr da ist, machen wir zu.“ Ob es das gewesen ist mit Schmuck von Kühling? „Ein, zwei Ideen mit Trauringen hab’ ich noch“, verrät er. Wahrscheinlich werde er sich „noch nicht zu 100 Prozent aus der Schmuckbranche verabschieden“.
Zudem gibt es ja noch sein zweites Talent: das Schreiben. Vier Romane hat Ralf Kühling bereits veröffentlicht, darunter drei Schwarzwald-Krimis im Emons-Verlag. Zwei, drei weitere Projekte will er in seiner neu gewonnen Freizeit fertigstellen. Calw bleiben die Kühlings erhalten, sie sind in Stammheim zu Hause.
Ob auch die Tradition in der Lederstraße 42 fortgeführt wird? Seit 140 Jahren wird dort Schmuck verkauft, wie der Goldschmiedemeister berichtet. Die Hoffnung aufgegeben, dass jemand anderes an dieser Stelle die Tradition pflegt, haben die Kühlings noch nicht. Zwar sei die bisherige Nachfolgersuche erfolglos gewesen. Aber: „Wir sind noch dabei und haben noch nicht aufgegeben.“
Ein bisschen Zeit bleibt ja noch. Denn seit Donnerstag läuft erst einmal der Ausverkauf – mit offenem Ende.