Gefährdete Nachbarn unter dem Dach: Der Nabu-Experte Martin Rümmler erklärt nach dem Vorfall in Horb, wie wir mit Mehlschwalben und ihren Nestern richtig umgehen.
Im Zuge der Renovierungsarbeiten an einem Vereinsheim in Horb wurden vor Kurzem die Nester von geschützten Mehlschwalben entfernt. Der Nabu Horb setzte sich umgehend mit dem Landratsamt in Verbindung. Im Gespräch mit dem Vogelschutzexperten Martin Rümmler von Nabu Deutschland erfahren wir mehr über die Besonderheiten der Mehlschwalbe, ihre Schutzbedürftigkeit und den richtigen Umgang mit Nistplätzen in Zeiten von Renovierungen.
Herr Rümmler, was unterscheidet Mehlschwalben von anderen heimischen Schwalbenarten?
Von den vier in Deutschland heimischen Schwalbenarten nutzen nur Mehl- und die Rauchschwalben regelmäßig menschlichen Siedlungen und Strukturen zur Brut. Mehlschwalben brüten an der Außenseite von Gebäuden, an Dachvorsprüngen, Loggien, Balkonen und Simsen, teils in sehr urbanen Räumen und bauen dort nach oben geschlossene Lehmnester. Dagegen brüten Rauchschwalben bevorzugt in Gebäuden, klassischerweise in offenen Viehställen im ländlichen Raum aber auch an urbanen Strukturen wie Brücken, Tiefgaragen usw.. Ihre Nester sind nach oben offen. Die Mehlschwalbe ist zudem im Flug optisch gut von der Rauschwalbe zu unterscheiden. Auffällig sind ihre weiße Kehle und der leuchtend weiße Bürzel. Beides fehlt der Rauchschwalbe, die dafür die typischen, zwei langen Schwanzspieße aufweist.
Warum sind Mehlschwalben besonders schützenswert – und was macht sie so anfällig für Störungen?
Laut der aktuellen Roten Liste der Brutvögel Deutschlands ist die Mehlschwalbe in ihrem Bestand gefährdet. In den letzten Jahrzehnten hat dieser um 44 Prozent abgenommen. Ihre Nähe zum Menschen ist ein Vorteil, da sich ihr so neue Brutmöglichkeiten eröffnen. Zugleich ist sie durch die enge Nachbarschaft mit uns wesentlich auf die Duldung durch Menschen angewiesen, die oft ein Problem mit den Hinterlassenschaften der Schwalben haben. Mehlschwalben sind zudem, wie andere Schwalben auch, auf Fluginsekten als Nahrung angewiesen, die in ihrer Masse stetig abnehmen.
Wie sieht der typische Lebensraum einer Mehlschwalbe aus – und wie hat sich dieser in den letzten Jahrzehnten verändert?
Ursprünglich brüteten Mehlschwalben ausschließlich an Felswänden. In Mitteleuropa sind sie heute hauptsächlich in Siedlungen anzutreffen, in denen sie offenes Gelände – gern auch in Gewässernähe – zur Insektenjagd bevorzugen. Dort bedienen sie sich idealerweise auch an feuchten Stellen (Lehmpfützen, Gewässerufer) für Nistmaterial. Ihre Brutkolonien errichten sie an Dach- und Fassadenvorsprüngen von Gebäuden mit ausreichend rauer Oberfläche, damit die Nester Halt finden.
Was wäre aus Sicht des Nabu der richtige Umgang mit Brutplätzen bei geplanten Renovierungen?
Die rechtzeitige Planung und Vorbereitung in Zusammenarbeit mit fachlichen Gutachter*innen sind das A und O. Schwalbennester sind nach Bundesnaturschutzgesetz als Brut- und Lebensstätte geschützt (ebenso wie die anderer Vogel- und Fledermausarten an Gebäuden) und dürfen nicht ohne Genehmigung der zuständigen Unteren Naturschutzbehörde entfernt oder durch Baumaßnahmen gestört werden. Müssen Nester weichen, braucht es adäquate Ersatzmaßnahmen meist in Form von Kunstnestern. Idealerweise sind diese bezugsfertig, bevor die Schwalben aus ihren Winterquartieren zurückkehren. Gleiches gilt für Maßnahmen, die das Brutgeschäft stören könnten, z.B. durch Baugerüste oder Schutznetze. Hat das Brutgeschäft bereits begonnen, sind jegliche Baumaßnahmen i.d.R. untersagt. Dann muss bis nach der laufenden Brutsaison gewartet werden.
Welche Maßnahmen können Betroffene ergreifen, wenn sich Schwalben an „ungünstigen“ Stellen niederlassen?
In der Regel stören sich die menschlichen Nachbarn an den Nestern bzw. den Hinterlassenschaften der Tiere, wenn diese an bestimmten Stellen bauen. Selten wird durch die Nistplatzwahl die Funktionalität von Gebäudestrukturen (z.B. Türen, oder Fenster) gestört. Meist fliegen Schwalben für sie interessante Stellen auffällig und regelmäßig an, bevor sie mit dem Nestbau beginnen. Bald werden dann erste Lehmkügelchen an die Fassade oder Struktur gebracht. Spätestens jetzt sollte man versuchen, die Schwalben durch geeignete Vergrämungsmaßnahmen vom weiteren Nestbau abzuhalten. Ist der Nestbau fortgeschritten oder gar das Brutgeschäft schon im Gange, dürfen ohne behördliche Genehmigung keine direkten Eingriffe mehr vorgenommen werden.
Welche Rolle spielt auch der Kot – und wie kann man mit einfachen Mitteln Konflikte mit der Umgebung entschärfen?
Menschen stören sich in den allermeisten Fällen am Kot, der bei der Jungenaufzucht unter dem Nest und an der unmittelbaren Fassade anfällt. Vom Kot selbst geht keine gesundheitliche Gefährdung aus. Kottbrettchen unterhalb der Nester helfen, den Schmutz aufzufangen. Diese sollten eine Tiefe von 30 bis 35 Zentimeter haben und circa 50 Zentimeter unterhalb des Nestes montiert werden, so dass der freie Anflug gewährleistet ist. Bei bestehenden Nestern am besten vor der Rückkehr der Schwalben montieren, um diese nicht zu stören. Alternativ können an Stellen, an denen Kotbretter nicht passen, Stoffbahnen (Laken) oder stabile Folien unterhalb aufgehängt werden, um das Gröbste aufzufangen. Am Boden helfen Zeitungen oder Sand, um die Stellen später besser reinigen zu können.
Wie steht es aktuell um die Population der Mehlschwalben in Baden-Württemberg bzw. deutschlandweit?
Laut der 7. Fassung der Roten Liste der Brutvögel in Baden-Württemberg steht die Mehlschwalbe, als „Art, die in Baden-Württemberg merklich zurückgegangen, aber aktuell noch nicht gefährdet ist“ auf der Vorwarnliste. Sie kommt mit 38.000 bis 58.000 Revieren (Brutpaaren) im Bundesland vor. Bundesweit gab es zuletzt (2019) 500.000 bis 920.000 Brutpaare.
Wie stark machen sich der Rückgang an Insekten und die Versiegelung von Flächen bemerkbar?
Sie stellen neben dem Verlust von Brutstätten und geeigneten Strukturen einen wesentlichen Faktor für den Rückgang der Bestände dar. Nahrungsmangel führt zu einem geringeren Bruterfolg und damit einem Bestandsrückgang, selbst wenn die Anzahl der Nester und Kolonien über Jahre stabil bleibt. Die Versiegelung kann dazu führen, dass ungeeignetes Nistmaterial mit einem zu geringen Lehmanteil gesammelt wird. Dann sind die Nester weniger stabil und laufen Gefahr noch während der Brutzeit abzubrechen.
Was kann jeder Einzelne tun, um Schwalben zu unterstützen – auch ohne eigenes Haus mit Giebel?
Wer Schwalbenkolonien an Haus und Wohnung hat, kann sich in Duldung üben und mit Maßnahmen wie Kotbrettern die Verschmutzung minimieren. Die Tiere sind unheimlich faszinierend, je mehr man über sie weiß, desto mehr möchte man sie schützen. Das Anbringen von Kunstnestern hilft, Bestände zu unterstützen. Wer einen offen Garten oder Grundstück hat, kann während der Brutzeit künstliche Lehmpfützen anlegen, an denen sich Tiere benachbarter Kolonien gern bedienen. Die naturnahe Garten- und Grünflächengestaltung in Ortschaften und Kommunen hilft der Insektenvielfalt und damit den Schwalben. Ganz wichtig ist auch das Melden von Verstößen gegen das Artenrecht. Wenn Baumaßnahmen auffallen, die Schwalbenkolonien stören oder gar beseitigen, umgehend die zustände Naturschutzbehörde kontaktieren und ein Gespräch mit den Bauverantwortlichen suchen. Auch das Melden bekannter oder neuer Kolonien über Vogelmeldeportale wie www.ornitho.de hilft, mögliche Vergehen frühzeitig zu erkennen.
Was wünschen Sie sich von Gemeinden, Baufirmen und der Politik in Sachen Artenschutz – konkret für Schwalben?
Alle Beteiligten sollten sich ihrer Pflichten bewusst sein und diese gewissenhaft umsetzen. Die Einhaltung des Artenschutzrechts sollte nicht zuletzt von den Behörden und Gemeinden eingefordert und kontrolliert werden. Gerade die kollektive Aufmerksamkeit der Bürger*innen ist dabei ein gutes Mittel, um Vergehen und Verstöße festzustellen und zu melden. Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen müssen immer vor Ort und in angemessener Weise umgesetzt werden, so dass diese auch erfolgreich sind und nicht nur auf dem Papier gelten. Vergehen müssen immer geahndet und sollten nicht als Bagatelle abgetan werden.