Mit der Pistole unterm Arm zu Bratwürsten, Kartoffelsalat und Hetzreden: Paul-Ludwig U., mutmaßlich mit einer Schreckschusspistole im Schulterhalfter, bei einem Treffen am Grillplatz Hummelgautsche nahe Alfdorf im September 2019. Foto: StN/StN

Vieles spricht dafür, Hauptbelastungszeuge im Verfahren gegen die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe S., bei einer Vermögensauskunft 2019 log. Der Mann, der mit Konstrukten aus wahrem Kern und erfundenen Geschichten seine Mitangeklagten erheblich belastet.

Stuttgart - Mosbachs Gerichtsvollzieher haben ihre Büros in einem Nebengebäude des Amts- und Landgerichts am Rande der Altstadt: helle Wände, hohe Fenster, viele Bäume, Büsche und Rasen rund um das Gebäude, Parkplatz vor der Tür. Telefonisch bestellte eine Obergerichtsvollzieherin am Nachmittag des 6. November 2019 Paul-Ludwig U. hierher ein. Zwei Tage später gab der Hauptbelastungszeuge im laufenden Verfahren um die Mitglieder der mutmaßlichen Rechtsterrorgruppe S. Auskunft über sein Vermögen. 11 066,05 Euro nebst Zinsen seit dem 1. September 1998 wollte das Bielefelder Polizeipräsidium für das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) zwangsweise bei U. vollstreckt wissen: U. hatte einen Polizisten als Geisel genommen.

Die Schuld konnte der 49-Jährige nicht begleichen – und musste deshalb eine Vermögensauskunft geben. Bei der gilt: Falsche oder unvollständige Angaben sind strafbar. Trotzdem gab U. an, er selbst habe Schadens- und Schmerzensgeldansprüche in Höhe von 140 000 Euro gegen das Land NRW, seine Klage dazu sei vor dem Bundesgerichtshof (BGH) anhängig. Ein Urteil sei noch nicht ergangen. U. gab zur Sicherheit Namen und Adresse des Anwalts an, der ihn in der Sache vor dem BGH vertrete. U. hatte auch wegen der Geiselnahme 21 Jahre im Gefängnis und im Maßregelvollzug verbracht.

Beim Bundesgerichtshof gibt es keine Klage

Recherchen unserer Zeitung zeigen: Den Richtern des Bundesgerichtshofes ist diese Klage nicht bekannt, wie eine Sprecherin des Gerichtes bestätigt. Der von U. benannte Jurist hat nach eigenem Bekunden keine Zulassung für Verhandlungen vor dem Gericht, das in Deutschland in letzter Instanz in Zivil- und Strafsachen Recht spricht. Weder bei einem Oberlandes- noch einem Oberverwaltungsgericht – eigentlich zuständig für U.s Forderung – ist ein Urteil in der von U. geschilderten Sache bekannt. Zumindest eine teilweise Niederlage dort aber wäre die Voraussetzung dafür gewesen, dass U. überhaupt vor dem BGH hätte klagen können. Nicht die einzige Unwahrheit, die U. bei der Vermögensauskunft zu Protokoll gibt: Er verschweigt auch ein zweites Konto, das er wenige Wochen zuvor eröffnete.

Er folgt damit der Strategie, die er sich seit inzwischen mehr als zwei Jahren zu eigen gemacht hat – dies auch, um seine Mitangeklagten im Verfahren gegen die Gruppe S. erheblich zu belasten: Paul-Ludwig U. hangelt sich an der Wahrheit entlang, bietet eine Mischung aus wahrem Kern, Halbwahrheiten und erfundenen Geschichten an. „Kiss“ nennen Angehörige militärischer Spezialeinheiten die Eselsbrücke für eine Taktik, mit der sie sich durch Verhörsituationen mogeln sollen: „Keep it stupid simple! – Halte es verdammt einfach!“

Tagelang Telefongesprächen zugehört

In den bisher 28 Prozesstagen des vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht verhandelten Verfahrens hörten Richter, Ankläger, Verteidiger und Angeklagte oft tagelang von der Polizei mitgeschnittene Telefonate an, schauten Videos von U.s Vernehmungen. So plaudert U. mit seinem Bewährungshelfer, mit Freunden und Bekannten am Telefon darüber, er habe eine rechtsextreme Gruppe unterwandert und arbeite dabei – in deren Auftrag – engstens mit Ermittlern zusammen. Er behauptet, nach dem jeweils nächsten Treffen werde er im Zeugenschutzprogramm verschwinden. Tatsächlich, so legen Vernehmungen und Mitschnitte der Telefonate anderer Angeklagter nahe, stachelte U. erheblich seine Kumpane an, sich gewaltbereit zu geben und Anschläge zu verüben. „Es gibt da schon einige Verrückte wie den Paul U., dem würde ich eventuell so was zutrauen, der ist verrückt genug“, sagt etwa Frank H. in seiner Vernehmung kurz nach seiner Festnahme durch ein Spezialeinsatzkommando.

Gleichzeitig schummelt sich U. auch durch seine Gespräche mit der Polizei. Dass er – trotz eines anderslautenden Verbotes – sich mit Schreckschusspistolen bewaffnet hatte, verschwieg er den Ermittlern. Auch wenn die das bei ihren Observationen der Gruppe entdeckten.