Solche Flyer wurden in Calw ausgeteilt. Sie sollen Gespräche zwischen den Bürgern und den Ahmadiyya Muslim Jamaat ermöglichen. Foto: Menzler

Die Ahmadiyya Muslim Jamaat sprechen sich stark gegen Rassismus aus. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt die Reformgemeinde, wer sie sind. Warum Männer Frauen nicht die Hand geben und wie sie den Taten des IS gegenüber stehen.

So manch einer wird sich gewundert haben, was es mit den Plakaten an verschiedenen Bushaltestellen in Calw auf sich hat. Oder dem Flyer, der im Briefkasten gelandet ist. Seit dem 17. März hängen verschiedene Sprüche, wie zum Beispiel „Der Grundsatz, an dem wir festhalten, ist der, dass wir in unseren Herzen Freundlichkeit für die gesamte Menschheit tragen“. Diese Plakate sind Teil der Kampagne „Muslime gegen Rassismus“ der Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) im Landkreis Calw. Was und wer genau hinter der Aktion steckt.

Wer sind die Ahmadiyya Muslim Jamaat? Sie verstehen sich selbst als rein religiöse Reformbewegung innerhalb des Islams. „Wir glauben an die ursprünglichen und wahren Grundlehren“, erläutert Noor-ud-Din Ashraf, Imam und islamischer Theologe aus Weil der Stadt im Gespräch mit unserer Redaktion. Er ist als Imam auch für die AMJ in Calw und Freudenstadt verantwortlich.

Die Reformgemeinde wurde 1889 in Indien vom „Verheißenen Messias und Mahdi Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad“ gegründet. Die AMJ glaubt daran, dass er der verkündete Erlöser sei und die Endzeit eingeleitet habe. Wie lange diese dauert, sei allerdings nicht sicher, erklärt Ashraf. „Wir glauben nicht, dass die Endzeit nur 40 Jahre dauert, sondern vielleicht auch mehrere Hundert.“

Aktuell ist Hadhrat Mirza Masroor Ahmad Khalif. „Er ist das spirituelle Oberhaupt der AMJ und aktuell fünfter Nachfolger des Verheißenen Messias“, erläutert Ashraf. Er agiert weltweit vom Hauptsitz der AMJ in London. Denn am ursprünglichen Hauptsitz in Pakistan dürfen sich die AMJ nicht mehr als Muslime bekennen, unterstreicht der Imam: „Sonst drohen drei Jahre Gefängnis.“

Was unterscheidet sie zu den „anderen Muslimen“? „Eigentlich ist alles dasselbe, der Unterschied ist nur klein, aber wichtig“, meint Ashraf. Sie haben denselben Koran, dieselben Propheten, den gleichen Gott. Doch die AMJ glauben im Gegensatz zu den „anderen Muslimen“, wie Ashraf sie im Gespräch nennt, dass der „Verheißene Messias“ schon gekommen ist.

„Die anderen warten immer noch“, sagt der Imam. Außerdem sähen die AMJ die Gesamtheit des Koran und der Aussagen der heiligen Propheten als eine Gesamtheit an – ohne einzelne Sätze möglicherweise auch falsch zu interpretieren.

Warum gibt es die Kampagne gegen Rassismus? Es sei keine Frage: „Rassismus gibt es auf der Welt, in verschiedenen Bereichen“, meint Ashraf. „Religiös, ethisch oder auch ethnisch.“ Doch die AMJ zeigen in ihrer Kampagne verschiedene Verse des Korans und Aussagen ihres Erlösers und Khalifen, die zeigen, dass der „wahre islamische Leitfaden“ sich gegen Rassismus ausspreche. „Wir Menschen haben nicht das Recht zu entscheiden, wer besser ist und wer nicht“, betont der Imam. Es sei Gottes Sorge, ob sich jemand vom Islam abwendet oder nicht. Ein Glaubensgrundsatz der AMJ: „Es soll kein Zwang im Glauben sein.“

Mit allen Plakaten und Flyern der Aktion soll genau das gezeigt werden. Und die AMJ will mit den Menschen in den Dialog treten, Fragen beantworten, Unsicherheiten oder Zweifel beseitigen. Dazu gab es auch Infostände in Calw.

Die Verantwortlichen hinter der Kampagne „Muslime gegen Rassismus“ in Calw mit Imam Noor-ud-Din Ashraf (ganz links). Foto: Menzler

Warum geben die Männer einer Frau nicht die Hand, sprechen aber von gegenseitigem Respekt? Einerseits sind sie gegen Rassismus und für Toleranz – andererseits geben Männern Frauen nicht einmal die Hand, was hierzulande schnell als respektlos verstanden werden kann. Etwas gegensätzlich, könnte so mancher meinen. Aber falsch gedacht. „Das gilt bei uns als Zeichen des Respekts“, erklärt Ashraf. Es gehe darum, die körperliche Distanz zwischen den Geschlechtern zu wahren.

Die AMJ glauben an die „Gleichwertigkeit von Mann und Frau“, jeder werde mit demselben Respekt behandelt. Doch Respekt werde einfach anders gezeigt. Dazu sei gesagt, ergänzt Ashraf, wenn ihm eine Frau die Hand zur Begrüßung hinstreckt, nehme er sie auch entgegen. „Die Hand nicht zu geben, wäre dann wiederum respektlos“, erklärt er.

Wie steht die AMJ zu den Taten und Begründungen des IS? Muslime stünden oft in der Kritik durch die Vergleiche mit dem Islamischen Staat (IS). Doch der IS sei eine Minderheit im islamischen Glauben, betont Ashraf. Doch die Radikalen rücken eben in der Öffentlichkeit mehr in den Fokus. Wenn der Nachbar friedlich vor sich hinlebe, bekomme man nicht viel von ihm mit. Wenn dieser seine Frau umbringe wiederum sehr wohl, nannte er einen Vergleich.

Der IS nehme sich oft Verse aus dem Koran, die aber aus dem Kontext gerissen und nicht vollständig seien, meint Ashraf. Wenn es heißt „Töte den Ungläubigen“, gebe das niemandem das Recht, willkürlich und ohne den Kontext anzuschauen, zu töten. „Es heißt im Koran auch ‚Bete nicht‘“, nennt der Imam ein Beispiel. Doch weiter heiße es im übertragenen Sinne, nur solange die säubernden Rituale nicht vollendet sind. Das zeige, dass es eben nicht in Ordnung sei, einzelne Verse für seine eigenen Ziele zu benutzen, sondern man müsse den „Koran in seiner Gesamtheit anschauen“, unterstreicht Ashraf.