Frieda und Paul haben einen Gendefekt, der ihre Organe verschleimt. In Deutschlands größtem Kinderkrankenhaus werden die Geschwister bis zu ihrem Erwachsenenalter versorgt. Was ein Leben mit der Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose bedeutet, erzählt die Familie.
Frieda und Paul jagen durch den Krankenhausflur. „Fang mich doch, du Eierloch“, tönt der Zweieinhalbjährige und rennt ins Untersuchungszimmer. Seine sechsjährige Schwester eilt hinterher. Ganz normal in diesem Alter, könnte man meinen. Tatsächlich zeigt sich ihre Mutter sehr dankbar: „Den Kindern geht es gut“, sagt sie. Das sei keine Selbstverständlichkeit.
Die Erkrankung der beiden Geschwister gilt als selten
Die Geschwister sind chronisch krank. Sie sind mit einem Gendefekt auf die Welt gekommen, der dafür sorgt,dass nicht nur die oberen Atemwege, sondern auch die Organe im Körper verschleimen – vor allem die Lunge, ebenso die Bauchspeicheldrüse und die Leber. In Deutschland gibt es etwa 8000 Patienten, die an Mukoviszidose leiden. Das ist nicht viel, weshalb die Stoffwechselerkrankung zu den Seltenen Erkrankungen zählt, derer jedes Jahr am letzten Februar-Tag gedacht wird. Als selten werden Erkrankungen angesehen, wenn sie nicht häufiger als einmal pro 2000 Einwohner auftreten.
Die Familie war von der Diagnose geschockt
Es war ein Tag im Januar 2017, der das Leben der Familie aus Ostwürttemberg komplett verändert hat: Etwa eineinhalb Wochen nach Friedas Geburt wurde den Eltern mitgeteilt, dass ihre Tochter von der Stoffwechselerkrankung betroffen ist. „Das war ein wahnsinniger Schock“, sagt die Mutter. „Wir hatten uns noch nie mit Mukoviszidose befasst und fühlten uns wie überfahren.“
Dreieinhalb Jahre später, bei der Geburt von Paul, war sich die Familie des Risikos bewusst. „Umso glücklicher waren wir, als es hieß, Pauls Screeningtest sei negativ“, erzählte die Mutter. Doch die Erleichterung währte nur kurz: Weitere Untersuchungen zeigten, dass auch der kleine Bruder mit dem Gendefekt zur Welt gekommen ist.
Inzwischen werden alle Neugeborenen auf die Stoffwechselerkrankung getestet
Seit Herbst 2016 wird dieses Screening in Deutschland bei allen Neugeborenen durchgeführt. Die meisten Eltern schenken diesem Test kaum Beachtung. Zu gering ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Baby mit dieser Stoffwechselerkrankung auf die Welt kommt. Die Inzidenz liegt bei 1:4000. Jedes Jahr werden somit rund 200 Kinder mit dem Gendefekt geboren.
Genau dieser Seltenheitswert ist das Problem, sagt Markus Rose, der das Zentrum für angeborene Lungenerkrankungen am Olgahospital im Klinikum Stuttgart, Deutschlands größter Kinderklinik, leitet. „Um mit ihrer Krankheit entsprechend optimal versorgt zu werden, müssen viele Patienten mehrere hundert Kilometer fahren.“ Allein im Olgahospital werden 200 Mukoviszidose-Erkrankte behandelt – meist von Geburt an, wie Paul und Frieda, dann bis ins Erwachsenenalter.
Erkrankte können im Schnitt 55 Jahre alt werden
Aufgrund der Erfolge in Therapie und Forschung ist die Lebenserwartung von Mukoviszidose-Erkrankten gestiegen. Erreichten vor wenigen Jahrzehnten Betroffene kaum das 30. Lebensjahr, kann ein erkranktes Neugeborenes heute im Schnitt 55 Jahre alt werden. Dies setze eine umfassende – nicht nur medizinische – Betreuung voraus, sagt Rose.
In Stuttgart wird das Olgahospital von der Christiane Herzog Stiftung unterstützt, die dort ein Transitionszentrum für Mukoviszidose-Erkrankte ermöglicht hat – ein Zentrum, das Betroffenen den reibungslosen Übergang von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin ermöglicht.
Nicht nur die Erkrankten, auch das ganze soziale Umfeld braucht Unterstützung
Und nicht nur das: So sind in den Team unter anderem Psychologen, Pädagogen und Sozialarbeiter, die den betroffenen Familien im Umgang mit Behörden, Krankenkassen, Kindertageseinrichtungen und Schulen helfen. Diese Förderung, so Rose, spiele bei Familien mit chronisch kranken Kindern eine große Rolle.
Mindestens viermal im Jahr sind die Geschwister in Roses Sprechstunde. Der Besuch ist zur Routine geworden – wie so vieles in ihrem Leben: Jeden Morgen beginnt der Tag für die Kinder mit Inhalieren. Der zähe Schleim in der Lunge ist ein Nährboden für Bakterien. Diese gilt es mit antibiotischen Mitteln in Schach zu halten. Anschließend absolvieren die Kinder physiotherapeutische Atemübungen, um die Lunge elastisch zu halten und den Schleim zu mobilisieren.
Ernährung der Kinder muss gut überwacht werden
Selbst die Mahlzeiten brauchen Vorbereitung: Geringes Gewicht ist eines der großen Probleme von Mukoviszidose-Patienten. Die Speicheldrüse kann Fett nur ungenügend spalten, der Körper bekommt zu wenig Energie. Frieda erhält daher zum Müsli griechischen Joghurt, „weil da mehr Fett drin ist“, sagt die Sechsjährige. Auch nehmen sie und Paul Verdauungsenzyme ein, damit ihr Körper die Nährstoffe besser verwerten kann.
Die Betreuung ihrer kranken Kinder nehme viel Zeit ein, sagt die Mutter. „Zum Glück habe ich im Familien- und Freundeskreis ein gutes Netzwerk, das uns unterstützt.“ Auch habe sie Kontakte zu anderen betroffenen Familien. Gleichzeitig soll die Krankheit im Alltag nicht zu dominant werden – auch wegen des älteren Bruders Anton. „Er darf nicht hintanstehen, nur weil er gesund ist.“
Das Team vom Olgahospital hilft bei Gesprächen mit Kindergarten und Schulen
Wenn Veränderungen im Familienalltag anstehen, steht der Mutter das Team das Transitionszentrum im Olgahospital zur Seite: Als es damals darum ging, für die Geschwister einen passenden Kindergarten zu finden, wurde die Mutter von einer Pädagogin aus dem Klinikum Stuttgart begleitet. Diese klärte die Erzieher auf, worauf es bei der Begleitung von Mukoviszidose-Patienten ankomme. „Solche Dinge entlasten ungemein“, sagt die Mutter.
Die Therapien sind fortschrittlicher als bei anderen seltenen Erkrankungen
Die Prognosen der Geschwister sind gut: Sie vertragen die vielen Medikamente ohne Probleme; auch kommen sie mit den üblichen Infekten im Kindergarten klar. „Die Therapien für Mukoviszidose-Patienten sind weitaus fortschrittlicher als bei vielen anderen seltenen Erkrankungen“, sagt Rose. Inzwischen gibt es sogar Medikamente, die versuchen, den Gendefekt auszugleichen. Sie kommen für drei Viertel der Betroffenen infrage. Rund 23 000 Euro kostet die Behandlung die Krankenkassen im Monat. „Andererseits bringt sie für einen Teil der Erkrankten sehr viel Lebensqualität“, so Rose.
Für Frieda und Paul ist der lange Untersuchungstermin an diesem Tag zu Ende. Sie stürmen los. Es wartet die nächste Verabredung auf sie: ein lustiger Kindergeburtstag.