Zwei Polizistinnen patrouillieren am Morgen um das Israelische Generalkonsulat, während rechts die Ecke des Gebäudes zu sehen ist, an der es zum Schusswechsel zwischen dem Angreifer und der Polizei gekommen ist. Foto: dpa/Matthias Balk

Der mutmaßliche Attentäter von München könnte aus islamistischen Motiven gehandelt haben. Die Ermittlungsbehörden gehen von einem Bezug zu einer ganz bestimmten islamistisch-dschihadistischen Gruppe aus syrien aus – der Miliz Haiat Tahrir asch-Scham (HTS).

Sicherheitskreise gehen davon aus, dass der Verdächtige des vereitelten Anschlags auf das israelische Generalkonsulat in München einen Bezug zur islamistischen Gruppe HTS hatte. HTS steht für Haiat Tahrir al-Scham – zu deutsch: Komitee zur Befreiung der Levante – , eine militant-islamistische Miliz.

 

Attentäter mimte im Computerspiel einen HTS-Kämpfer

Emrah I., der am Donnerstag (5. September) mehrere Schüsse auf das israelische Generalkonsulat und das NS-Dokumentationszentrum in München abgab, soll im Jahr 2021 im Computerspiel „Roblox“ die Rolle eines Kämpfers der Gruppe HTS eingenommen haben.

Der damals 14-Jährige soll online Hinrichtungsszenen und Anschläge nachgespielt haben, sein Avatar soll dabei unter anderem auch „Allahu Akbar“ geäußert haben.

HTS: Zusammenschluss von früherem al-Kaida-Ableger

Der bayerische Verfassungsschutz schreibt, dass HTS 2017 aus dem Zusammenschluss eines früheren al-Kaida-Ablegers und einiger kleinerer militanter syrischer Gruppen hervorgegangen sei.

Anders als al-Kaida, die weiter Anschläge im Westen plane, konzentriere sich HTS auf Syrien und wolle den dortigen Machthaber Baschar al-Assad stürzen. Die islamistisch-dschihadistische Miliz hat vor allem in Idlib-Stadt, Binnish, Darat Izza, Jisr al-Schughour, Atareb und anderen Orten im Nordwestens Syriens das Sagen.

Kämpfer der islamistischen militanten Gruppe Haiat Tahrir al-Scham nehmen an einem Militärmanöver mit scharfer Munition während der Ausbildung einer Gruppe von Bataillonen im Gouvernement Idlib teil. Foto: dpa/Anas Alkharboutli
Syrer und Mitglieder der militant-islamistischen Terrormiliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) nehmen an der Beerdigung des Anführers Al-Juburi, bekannt als Al-Kahtani, teil. Foto: dpa/Anas Alkharboutli

Von der al-Nusra-Front zur Haiat Tahrir al-Scham

Die HTS ist aus der islamistischen al-Nusra-Front hervorgegangen. Diese Gruppe schloss sich im Jahr 2017 mit anderen kleineren islamistischen Gruppen zur Haiat Tahrir al-Scham zusammen.[Im Laufe der vergangenen Jahre hat die HTS unter ihrem Anführer Abu Mohammed al-Jolani viele gegnerische Gruppen zerschlagen und ist so zum stärksten islamistischen Akteur in der Region geworden, der noch von Rebellen und Islamisten kontrolliert wird.

Zu den Gründungsmitgliedern der HTS gehörten die Islamisten-Gruppierungen Liwa al-Haqq, Dschaisch as-Sunna, Dschabhat Ansar ad-Din, Harakat Nour al-Din al-Zenki sowie die Dschabhat Fatah asch-Scham, die als größte Kraft innerhalb des Bündnisses gilt. Von ihren geschätzten 31 000 Kämpfern entfallen 20 000 auf die Dschabhat Fatah asch-Scham.

5.04.2024, Syrien, Idlib: Mitglieder der militant-islamistischen Terrormiliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) tragen am 5. April 2024 der syrischen Stadt Idlib bei der Beerdigung des Anführers Al-Juburi, bekannt als Al-Kahtani, den Leichnam. Foto: dpa/Anas Alkharboutli
Der prominente Dschihadist der militant-islamistischen Terrormiliz wurde nach Angaben von Aktivisten im Nordwesten Syriens bei einem Selbstmordattentat getötet. Foto: dpa/Anas Alkharboutli

Ermittlung gegen Verdächtigen wegen Verdachts auf Radikalisierung

Gegen den 18-jährigen Österreicher, der als mutmaßlicher Täter des Angriffs in München gilt, war im vergangenen Jahr wegen des Verdachts ermittelt worden, er könne sich religiös radikalisiert haben. Die Ermittlungen wegen einer möglichen Terrormitgliedschaft wurden aber eingestellt.

Gegen den Schützen von München lagen nach Angaben der österreichischen Staatsanwaltschaft in Salzburg trotz Ermittlungen keine Beweise in Bezug auf Radikalisierung oder islamistische Propaganda vor. Wie die Behörde am Tag nach dem mutmaßlichen Anschlag in der Nähe des israelischen Konsulats mitteilte, bewegte sich der 18-jährige Österreicher in der Vergangenheit nicht in islamistischen Kreisen.

Ein Fahrzeug der Polizei fährt am frühen Morgen am NS-Dokumentationszentrum vorüber. Die Polizei hat in der Münchner Innenstadt bei einem größeren Einsatz in der Nähe des Israelischen Generalkonsulats am 5. September 2024 eine verdächtige Person niedergeschossen. Foto: dpa/Matthias Balk

Täter hatte Mitschüler bedroht

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft bestand der Verdacht, dass der am Donnerstag (5. September) getötete Schütze Mitschüler bedroht hatte, wobei es angeblich zu einer Körperverletzung kam.

Weiter wurde dem Verdacht nachgegangen, dass er sich für Anleitungen zum Bombenbau interessiert und sich an einer terroristischen Vereinigung beteiligt haben könnte, in dem er in einem Online-Spiel islamistische Gewaltszenen darstellte. Diese Vorwürfe betrafen den Zeitraum 2021 bis 2023.

Computerspiel mit islamistischen Gewaltszenen

Ermittler durchsuchten deshalb damals den Wohnort des Jugendlichen im Salzburger Land und stellten Datenträger sicher. Auf seinem Mobiltelefon sei aber kein relevantes Material gefunden worden, berichtet die Justizbehörde.

Auf seinem PC befanden sich demnach drei Videos aus einem Computerspiel, die der damals 14-Jährige aufgenommen hatte. Sie zeigten Szenen mit islamistischen Inhalten. Nur auf einem dieser Videos seien Symbole der islamistischen Gruppe HTS zu sehen gewesen, heißt es.

Nachweise für die Verbreitung der Videos wurden nicht gefunden. Das Spielen eines solchen Computerspiels und das Nachstellen von islamistischen Gewaltszenen habe in diesem Fall nicht den Tatbestand der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung erfüllt, heißt es weiter.

Die Fahne Israels weht am frühen Morgen vor dem Israelischen Generalkonsulat, während im Vordergrund Absperrband von der Polizei zu sehen ist. Foto: dpa/Matthias Balk

Ermittlungen wurden im April 2023 eingestellt

Ermittlungen im Umfeld des Verdächtigen hätten auch keine Hinweise gegeben, das sich der Beschuldigte in radikal-islamischen Kreisen bewegt oder sehr religiös gelebt habe. Der Jugendliche lebte laut der Staatsanwaltschaft „mit verhältnismäßig wenig sozialen Kontakten“.

Weitere Gegenstände oder Daten mit Bezug zum Islamischen Staat oder zu Bomben wurden ebenfalls nicht gefunden. Deshalb seien die Ermittlungen im April 2023 eingestellt worden.

Info: Radikale Gruppen im Islam

Dschihadismus
So unterschiedlich und untereinander verfeindet Gruppen wie Ansar al-Scharia, Boko Haram, Islamischer Staat, Jemaah Islamiyah, Hamas, El Kaida oder die Hisbollah-Miliz auch sind, sie alle laufen unter dem Oberbegriff Dschihadismus. Im Dschihad, dem Heiligen Krieg und gewaltsamen Kampf zur Verteidigung des Islam gegen Ungläubige (zu denen auch andere Muslime gezählt werden), sehen sie eine religiöse Verpflichtung eines jeden Gläubigen.

Al-Nusra-Front
Diese dschihadistisch-salafistische Organisation gehörte ebenfalls zum El-Kaida-Umfeld. Ihr erklärtes Ziel ist die Beseitigung des Assad-Regimes in Syrien, die Vertreibung der alawitischen und christlichen Minderheit und die Errichtung eines am Salafismus orientierten sunnitischen islamischen Staats in Syrien und eines Kalifats in der Levante – also allen Mittelmeerländern, die östlich von Italien liegen. Im Mai 2016 gab sie ihre Trennung vom-al-Kaida-Netzwerk und ihre Umbenennung zu „Dschabhat Fath asch-Scham“ bekannt. Die Gruppe schloss sich 2017 mit anderen kleineren islamistischen Gruppen zu Haiat Tahrir al-Scham zusammen.

Al-Kaida
Die sowjetische Intervention in Afghanistan (1979–1989) bescherte dem Dschihadismus einen großen Zulauf. Osama bin Laden, ein Anhänger des radikalen palästinensischen Theologen Abdallah Yusuf Azzam (1941–1989), wurde Ende der 1980er Jahre von seinem Mentor mit dem Aufbau eines internationalen Terrornetzwerks beauftragt. Es war die Geburtsstunde von El Kaida, der ersten multinationalen dschihadistischen Bewegung. Im Gegensatz zu nationalistischen Bewegungen wie der Hamas oder Hisbollah ist El Kaida ein globales Phänomen. Unabhängig von El Kaida entstanden andere Gruppen in Somalia (al-Shabaab), Pakistan (Laschkar e-Taiba), Russland (Kaukasus-Emirat) und Indonesien (Jemaah Islamiyah). El Kaida (zu Deutsch: die Basis) begann als loser Zusammenschluss ohne konkrete politische Ziele. Im Laufe der 1990er Jahre entwickelte sich das Netzwerk zur gefährlichsten islamistischen Terrororganisation. Gegen Ende des sowjetischen Afghanistankriegs tauchte der Name erstmals auf. Der saudi-arabische Freiwillige bin Laden (1957–2011) plante, junge Araber, die gegen die Invasoren gekämpft hatten, in einer neuen Organisation zu sammeln. Auf diese Weise hoffte er den Heiligen Krieg zu exportieren. Bin Laden und seine Anhänger verbündeten sich mit der ägyptischen Terrororganisation al-Dschihad des heutigen El-Kaida-Chefs Aiman az-Zawahiri. Mitglieder dieser Gruppe hatten am 6. Oktober 1980 den ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat bei einer Militärparade in Kairo ermordet. Sicherheitsexperten vermuten, dass auch die Täter des Anschlags auf die Redaktion des Pariser Satireblatts „Charlie Hebdo“ einer El-Kaida-Splittergruppe zuzurechnen sind – eventuell dem jemenitischen Ableger, der operativ besonders tätig ist.

Salafismus
Der Salafismus ist eine radikale Ideologie, welche die geistige Rückbesinnung auf einen aus ihrer Sicht ursprünglichen, unverfälschten Islam propagiert. Ursprünglich wollte diese zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandene Reformbewegung den Islam modernisieren und durch Rückbesinnung auf ursprüngliche Werte stärken. Doch inzwischen steht der Salafismus für einen islamistischen Neofundamentalismus, der die ganze moderne Welt als Feind betrachtet /mit dpa-Agenturmaterial).