Der 55-Jährige soll seinen Nachbar mit einem Messer abgestochen haben. Foto: Brian Jackson – stock.adobe.com

Mann aus Trossingen soll Nachbar bereits früher bedroht haben. Beteiligte wiedersprechen sich. Prozess im Landgericht Rottweil.

Trossingen/Rottweil - Wegen versuchten Mordes muss sich ein 55-jähriger Mann aus Trossingen seit Montag vor der 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Rottweil verantworten.

In der Nacht zum 1. Mai dieses Jahres soll er einem Wohnungsnachbarn in Trossingen Messerstiche in den Arm sowie den Bauch versetzt und ihn lebensgefährlich verletzt haben. Über die Gründe widersprachen sich die beiden am ersten Verhandlungstag. "Das ist eine dubiose Geschichte", schilderte ein Beobachter. Für Staatsanwältin Miriam Glunz ist der Fall klar: Schon im September 2019 habe der Angeklagte seinen Nachbarn mit einem Messer bedroht.

Im Mai passierte es dann in dem Mehrfamilienhaus: Der Mann, der in den 80er-Jahren zu seinen Verwandten nach Trossingen gekommen war und seit einigen Jahren arbeitslos ist, habe dem 59-Jährigen ein 18 Zentimeter langes Messer "mit voller Wucht" in den Arm und danach in den Unterbauch gestoßen. Es wurden mehrere Organe verletzt. Das Opfer konnte durch eine Notoperation gerettet werden.

Mutmaßlicher Täter erträgt Lärm nicht mehr

Der Täter habe dessen Tod in Kauf genommen, betonte die Anklägerin. Weil dabei das Mordmerkmal der Heimtücke festzustellen sei, handle es sich um versuchten Mord. Der Angeklagte räumte die Tat in einem Geständnis unumwunden ein und erklärte, es tue ihm leid. Zugleich versuchte er, Verständnis für seine Motive zu wecken: Regelmäßig habe ihm der oft völlig betrunkene Nachbar seit 2016 durch lautes Schreien, Schläge und Musik den Schlaf geraubt und ihn nach Protesten beleidigt. Daran hätten auch mehrfache Einsätze der Polizei nichts geändert. Irgendwann habe er es nicht mehr ausgehalten und mit dem Messer im Hausflur auf den Mann gewartet und zugestochen.

Der 59-jährige Russlanddeutsche, der in den 90er-Jahren nach Deutschland kam, räumte zwar ein, dass er seit langer Zeit nachts im Schlaf oft laut schreie. Aber ansonsten sei er sich keiner Schuld bewusst. Er habe oft täglich eine Flasche Wodka getrunken, seit Ende vergangenen Jahres rühre er aber keinen Alkohol mehr an. Er leide an verschiedenen Krankheiten und müsse mit Sauerstoffmaske und angeschlossenem Sauerstoffgerät schlafen.

Unberechenbarer Nachbar

Sein Nachbar sei unberechenbar gewesen. Einmal habe er ihn freundlich gegrüßt und umarmt, dann sei er ausfällig geworden und habe gedroht, er werde ihn abstechen. An die Tat könne er sich nicht erinnern. "Es ging alles so schnell." Auch jetzt leide er noch an den Folgen. Jedoch verzeihe er dem Täter, da er es als Prüfung Gottes ansieht.

Ein Mitbewohner berichtete im Zeugenstand von einer Begegnung mit dem gelernten Fliesenleger. Der habe ihm gesagt: "Ich habe Angst, dass ich einmal ein Messer nehme und ihn absteche." Wenn der Geschädigte getrunken habe, sei er tatsächlich laut gewesen. Allerdings habe er nach seinen Beobachtungen seit Dezember 2019 abstinent gelebt. Vier Tage vor der Tat, so der Zeuge, sei es nachts wieder laut gewesen. "Es war, als ob jemand mit dem Hammer auf den Tisch schlägt."

Wie das Gericht bekanntgab, waren beim Angeklagten zur Tatzeit weder Alkohol noch andere Drogen nachzuweisen. Weitere Erkenntnisse soll der psychiatrische Gutachter beitragen.