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Einem Sindelfinger drohten in 53 Tagen Haft Beziehung und Job wegzubrechen.

Magstadt - Der Magstadter Mord hätte auch sein Leben zerstören können. Ein 33-jähriger Arbeiter galt fast zwei Monate als mutmaßlicher Täter, ehe der wahre Mörder ein zweites Opfer erschoss. Nun beginnt ein langer Weg zurück in die Normalität.

Der 33-Jährige soll jetzt erst einmal durchatmen. "Ich habe ihm geraten, die Dinge in seinem Umfeld in Ordnung zu bringen", sagt sein Anwalt, der Waiblinger Jurist Helmut Schuhmann. 53 Tage U-Haft bleiben nicht ohne Folgen. Von Tag zu Tag wächst die Gefahr, dass alles wegbricht: Die Freundin, der Arbeitgeber, die Vermieterin - plötzlich steht alles in Frage.

"Der Fall ist ein Beispiel dafür, wie leicht sich ein Unschuldiger in einem Netz verstricken kann, wie aus Belanglosigkeiten plötzlich Widersprüche konstruiert werden", sagt Schuhmann. Dem 33-jährigen Sindelfinger wurde vorgeworfen, am 8. Mai den 30 Jahre alten Heiko S. mit einem Kopfschuss getötet zu haben - auf einem Parkplatz, der als Treff von Homosexuellen und Strichern gilt. Beim Landgericht hatte Anwalt Schuhmann bereits Haftbeschwerde wegen der dünnen Beweislage eingelegt - als der Mörder für klare Verhältnisse sorgte: Am 2. Juli erschoss er mit derselben Waffe auf einem Parkplatz an der A5 bei Mörfelden-Walldorf in Südhessen einen 70-Jährigen. Auch hier spielte die Tat in der homosexuellen Stricherszene. Der Sindelfinger hatte ein Alibi: Er saß zu diesem Zeitpunkt in Haft.

Im Magstadter Fall war dem 33-Jährigen zum Verhängnis geworden, dass er sich zur Tatzeit in der Nähe des Parkplatzes Hölzertal aufhielt. Nach einem Streit mit seiner Freundin war er ziellos umhergefahren, hatte an verschiedenen Stellen geraucht. Die Polizei fand die Kippen und ein Papiertaschentuch mit seinem genetischen Fingerabdruck. "Weil er sich geniert hatte", so sein Anwalt, habe er bei der Polizei zunächst verneint, dass ihm die Örtlichkeiten als Schwulentreff bekannt seien. Und schon zog sich eine Schlinge zu.

"Die Situation muss man sich vorstellen", sagt Anwalt Schuhmann, "da soll man sich beim Verhör plötzlich daran erinnern, wie viele Zigaretten man wo geraucht und wo und wann man ein Papiertaschentuch weggeworfen hat." Wer sich da verhasple, "ist schon einer, der sich in Widersprüche verwickelt".

25 Euro Entschädigung gibt es pro Tag

Der Notarzt habe um 23.41 Uhr festgestellt, dass dem Opfer mindestens eine halbe Stunde vorher in den Kopf geschossen worden sei. In diesem Zeitraum, betont Schuhmann, habe sein Mandant sein Handy bedient. Um 22.55 und 22.57 Uhr habe er seiner Freundin eine SMS geschickt, mit ihr um 22.58 Uhr dreieinhalb Minuten telefoniert. "Da hätte er mit der rechten Hand schießen und mit der linken Hand telefonieren müssen", sagt der Anwalt.

Schuhmann sah seine Aufgabe auch darin, die Vermieterin, die Freundin, den Arbeitgeber davon zu überzeugen, dass die Vorwürfe haltlos seien. "Klar, dass die Partnerin erheblich verunsichert ist", sagt er, "ist der Freund etwa heimlich homosexuell, ist er gar ein Mörder?" Wie holprig die Rückkehr ins normale Leben sein kann, merkte der 33-Jährige, als er am Mittwoch an seinen Arbeitsplatz in Sindelfingen zurückkehrte - sein Dienstausweis steckte im Geldbeutel, der bei der Polizei noch in Verwahrung war.

Ihm steht für die Zeit hinter Gittern eine finanzielle Entschädigung zu - für "jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung" 25 Euro. So steht es im Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG). Am 22. Mai, dem Pfingstsamstag, ist der Mann in Untersuchungshaft gekommen. Erst am Dienstag dieser Woche ist aus dem Mordverdächtigen wieder ein unschuldiger Mensch geworden. Sein Albtraum dauerte 53 Tage lang. Das ergibt eine Entschädigung von 1325 Euro.

Diese Summe wird den tatsächlichen Verlust an Geld des 33-Jährigen aber kaum ausgleichen. Allein sein Verdienstausfall dürfte deutlich höher sein. Das Gesetz kennt dafür den Begriff Vermögensschaden. Es heißt: "Entschädigung für Vermögensschaden wird nur geleistet, wenn der nachgewiesene Schaden den Betrag von 25 Euro übersteigt." Er muss also ausrechnen und belegen, wie hoch sein materieller Verlust durch die Untersuchungshaft ist.

Ansprüche in Höhe bis zu 6000 Euro werden von den Staatsanwaltschaften, höhere Beträge von den Generalstaatsanwaltschaften bearbeitet. Christoph Kalkschmid, Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart, weiß von sechs bis acht Fällen im Jahr. Bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart war am Freitag nur zu erfahren, dass die Zahl der wegen Untersuchungshaft Entschädigten im mittleren zweistelligen Bereich liegt. Die Opfer bekommen ihr Geld vom Land.