Drohnenaufnahme vom Stockberg (Mitte) mit Blick auf Marzell  Foto: Birgit-Cathrin Duval

Eine Geschichte wie ein spannender Schwarzwald-Krimi. Es geht um Wölfe, Betrug, korrupte Beamte, Rechtsstreitigkeiten und um einen Mord, der nie aufgeklärt wurde.

Der 1074 Meter hohe Stockberg bei Malsburg-Marzell ist vieles: die höchst gelegene Burgstelle Baden-Württembergs, keltischer Ringwall, auch Versammlungsort esoterischer Gruppen. Und er ist Tatort eines Verbrechens, das sich 1732 ereignete und eine Familie ins Unglück stürzte.

 

Ein Skelett mit zerschossenem Schädel

Anfang September 1732 entdeckte ein Marzeller Viehhirte am Stockberg einen Proviantkanister mit Messer, Hut und Tabakpfeife. Er zeigte den Dorfbewohnern die Fundstücke. Für Maria Riedacher stand fest, dass ihrem Ehemann, Johannes Riedacher, etwas Schreckliches zugestoßen sein musste. Anfang Mai war ihr Mann wegen einer Gerichtssache nach Karlsruhe aufgebrochen. Seither fehlte jede Spur von ihm.

Ein Suchttrupp machte sich auf zur Fundstelle am Stockberg. Unter einem Steinhaufen verborgen fanden die Männer ein Skelett mit abgeschlagenem Schädel. Mehr noch: Der Schädel war zerfetzt – womöglich von einer Gewehrkugel. Fest stand, dass der 51-Jährige Riedacher, von Beruf Köhler, keines natürlichen Todes gestorben war. Doch wer hatte ihn auf dem Gewissen und warum?

Sieben Monate zuvor. Im Januar 1732 reiste Ernst Friedrich Leutrum von Ertingen, Landvogt und Oberforstmeister des Oberamts Rötteln und badischer Geheimer Rat mit fürstlicher Dienerschaft sowie Förstern des Oberforstamtes in das kleine Bergdorf Marzell im oberen Kandertal. Die Herren wollen sich bei einer Wolfsjagd vergnügen.

Ob sie einen Wolf erlegten, ist nicht protokolliert, wohl aber, dass beim Förster Hans Jakob Fischer in Marzell gespeist wurde. Die wohlhabende Försterfamilie residierte im Fischerhaus, besaß die größten Wäldereien und eine ansehnliche Landwirtschaft. Unter den Besuchern waren einige noble Herren aus Lörrach und Kandern, darunter der Buchhalter des Kanderner Eisenwerks namens Heymann.

Das Fischerhaus im Oberdorf wurde häufig für Repräsentationszwecke genutzt. Gerne kehrten die Markgrafen während ihrer Jagd dort ein, auch die Geschäftsführer der Kanderner Eisenwarenwerke und der Maler August Macke verweilten hier bei ihren Ausflügen „auf den Wald“, wie der Heimatforscher Fred Wehrle in seiner Malsburg-Marzeller Häuserchronik schreibt.

Nach dem Essen saß man auf der Laube hinterm Forsthaus zusammen und unterhielt sich über die schöne Lage. Förster Fischer erklärte, dass das angrenzende Grundstück nicht ihm, sondern seinem Nachbarn, dem Köhler Johannes Riedacher gehöre.

Ein Grundstücks--Deal mit Folgen

Als der Buchhalter Heymann den Namen Riedacher hörte, schlug er dem Gastgeber einen Handel vor. Denn Heymann besaß eine Verbindlichkeit auf das besagte Grundstück.

Riedacher schuldete einst dem Sulzburger Pfarrer 118 Gulden. Diese Schuld ging irgendwann, die Gründe sind nicht bekannt, auf den Kanderner Buchhalter Heymann über. Dafür musste der Köhler eine Verbindlichkeit unterschreiben, die aus eben diesem Grundstück bestand, eingetragen 1726 im Vogelbacher Gerichtsprotokoll: „Dieses Unterpfand bestunde aus 2 Juchert und 2 Viertel Matten, nebst Acker, Weid und Gerichtigkeit an einem Stück in der Hell genannt.“

Heymann, der nicht viel mit dem Grundstück anfangen konnte, schlug dem Förster Fischer einen Handel vor: Für 118 Gulden plus Zinsen könne er das Grundstück erwerben. Förster Fischer schlug ein. Der Landvogt bewilligte den Kauf und protokollierte den Handel, ohne den Besitzer, Hans Riedacher, davon in Kenntnis zu setzen.

Der ahnungslose Köhler, der bis dahin den Zins stets pünktlich zahlte, wollte dies auch im April 1732 tun, als ihm Heymann erklärte, er sei nichts mehr schuldig, da jetzt der Förster Fischer Eigentümer sei.

Riedacher zeigte den Handel beim hochfürstlichen Oberamt an. Denn das Grundstück, mehr als 1500 Gulden wert, mit eigener Wasserquelle, sicherte mit Ackerbau und Heu den Lebensunterhalt seiner Familie. Sein Gesuch landete ausgerechnet auf dem Schreibtisch vom Landvogt von Leutrum, jenem Beamten, der den Handel in Marzell beglaubigt hatte.

Also versuchte es Riedacher bei der nächsthöheren Instanz in Karlsruhe, doch auch hier ohne Erfolg. Der Landesprinz Friedrich Erbprinz von Baden-Durchlach hatte erst kürzlich das Zeitliche gesegnet, es gab Wichtigeres zu tun, als sich um Streitigkeiten aus der fernen Provinz zu kümmern.

Zurück in Marzell entfachte ein heftiger Streit zwischen dem betrogenen Riedacher und seinem Nachbarn. Jetzt drohte Riedacher damit, den Förster anzuzeigen, weil der Förster beim Holzverkauf und bei der Jagd Geld unterschlagen würde. Deshalb machte sich der Köhler Anfang Mai erneut auf den Weg nach Karlsruhe. Noch vor der Morgendämmerung ging er aus dem Haus. Weit würde er nicht kommen. Am Stockberg traf ihn ein Schuss aus dem Hinterhalt. Danach wurde ihm der Kopf abgeschlagen und die Leiche unter einem Steinhaufen verscharrt.

Die polizeilichen Ermittlungen in der Mordsache liefen ins Leere. Dem Förster Fischer, der ebenfalls vernommen wurde, konnte nichts nachgewiesen werden. Der Fall wird zu den Akten gelegt.

Nach dem Tod Riedachers wurde der Kauf des Grundstücks an Fischer mit einer Urkunde vom Oberamt bestätigt und, mit dem Landvogtsiegel versehen, dem neuen Besitzer ausgehändigt.

Für die Witwe, Maria Riedacher und ihre Kinder Kunigunde (4) und Johann Georg (2) begann eine bittere Zeit. Die älteren Kinder aus Riedachers erster Ehe mussten sich auf fremden Höfen verdingen.

Ein neuer Versuch nach 40 Jahren

40 Jahre später, am 12. Januar 1773, richtete der Sohn des Ermordeten, Johann Georg Riedacher, ein Gesuch an den Landesfürsten. „Die rechtmäßigen Erben machen sich Hoffnung, dass das, was vor 40 Jahren Unrecht gewesen, noch bis dato Unrecht seye.“

Das Oberamt ermittelte, der Aktenlage sei „umständlich zu entnehmen“, dass das Grundstück vielleicht gegen Riedachers Willen verkauft wurde. Doch am 24. Februar weist Karlsruhe das Oberamt Rötteln an, den Bittstellern zu erklären, dass der Verkauf im Jahre 1732 rechtmäßig erfolgte, dem Förster nichts nachgewiesen werden konnte und in dieser Angelegenheit keine weiteren Untersuchungen mehr stattfinden. Mit dem Verlust des Grundstücks war das Schicksal der Riedachers besiegelt. Die Nachkommen lebten weiter in großer Armut, der Enkel des Köhlers musste am 19. Juli1784 einen Offenbarungseid leisten.

Quellen: Kirchenbücher Vogelbach und Kandern, GLS Karlsruhe Abt. 229/65306, 229/65312, Häuserchronik Malsburg-Marzell, Fred Wehrle. Die Geschichte wurde erstmals im „Das Markgräflerland“ Heft 2, 2004 von Fred Wehrle erzählt.