Der Mord von Michelle Kiesewetter ist noch bis heute Thema. Foto: dpa

Die Polizei hat bei ihren Ermittlungen zum Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter zu Unrecht den Informationen eines Aussteigers aus der rechten Szene keine Bedeutung beigemessen.

Singen - Die Polizei hat bei ihren Ermittlungen zum Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter zu Unrecht den Informationen eines Aussteigers aus der rechten Szene keine Bedeutung beigemessen. Neueste Erkenntnisse aus dem NSU-Untersuchungsausschuss rückten Florian H. in ein Licht, „dass er mehr Wahrheiten gesagt hat als nur Blendwerk“, sagte Ausschussvorsitzender Wolfgang Drexler (SPD) am Samstag in Singen (Kreis Konstanz) der Deutschen Presse-Agentur. Das Gremium prüft die Aktivitäten des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) im Südwesten, der laut Polizei auch für den Mord an Kiesewetter verantwortlich sein soll.

Dabei geht es konkret um einen Mann mit Spitzname „Matze“, mit dem Florian H. nach eigenen Angaben in der rechtsextremen Szene unterwegs gewesen ist. Florian soll zu früheren Mitschülerinnen im August 2011 gesagt haben, er könne Kiesewetters Mörder benennen. Er sprach zudem von einem rechtsextremen Treffen im Februar 2010 in Öhringen östlich von Heilbronn, wo der NSU und eine „Neoschutzstaffel“ (NSS) vorgestellt worden seien. „Florian H. hat mit seiner Aussage bisher recht gehabt“, betonte Drexler.

Der 21-Jährige Florian S. verbrannte in seinem Wagen in Stuttgart. Am Tag seines Todes hätte der Aussteiger aus der rechten Szene von Ermittlern befragt werden sollen. Er soll bereits früher Aussagen zum (NSU) und dem Mord an Kiesewetter im Jahr 2007 in Heilbronn gemacht haben. Die Identifizierung von „Matze“ ist auch deshalb wichtig, weil die Ermittler Florian als wenig glaubwürdig eingestuft haben. Die Ermittlungsbehörden gehen von einem Suizid aus, die Familie widerspricht dieser Aussage.

Während Drexler noch nicht von Versäumnissen der Polizei reden mag, wird der frühere Obmann im NSU-Ausschuss im Bundestag, Clemens Binninger (CDU), deutlicher: „Der Umstand, dass man dieser Aussage keine rechten Glauben schenken wollte, spricht nicht für akribische Ermittlungen.“ Bei einem Fall dieser Brisanz könne man erwarten, dass Polizei, Justiz und Verfassungsschutz optimal zusammenarbeiten. „Jedem kleinen Indiz hätte nachgegangen werden müssen. Das man dies erst jetzt tut, nachdem der U-Ausschuss dies einfordert, wirkt wie organisierte Unverantwortlichkeit.“

Der Bundestagsabgeordnete aus Böblingen erinnerte sich an einen Vermerk aus Baden-Württemberg, in dem die Aussage von Florian H. bei der Polizei zusammenfassend an den Bundestagsasuschuss ging. „In diesem Vermerk ging es unter anderem auch um eine Gruppe mit dem Namen NSS mit Bezug in Öhringen.“ Die Ermittler hatten laut Binninger die Existenz der „Neoschutzstaffel“ jedoch abgetan.

Drexler ging davon aus, das dem Ausschuss bis zum Mittwoch Laptop und Handy von Florian H. zur Analyse übergeben werden. Die Polizei hatte sich die Gegenstände näher angeschaut. Am Mittwoch tage das Gremium in nicht-öffentlicher Sitzung. Möglicherweise würden die Fraktionen Beweisanträge stellen. Sicher aber werde der Ausschuss für den April einen weiteren Ausschusstag vorsehen für weitere Untersuchungen im Fall Florian H.. Dazu solle auch „Matze“, der Florians „Ziehvater“ in der rechten Szene gewesen sein soll, als Zeugen geladen werden.

Nach Informationen der „Stuttgarter Nachrichten“ kommt „Matze“, also Matthias K., aus Neuenstein im Hohenlohekreis und ist zurzeit Soldat der Bundeswehr. Matthias K. habe „NSS“ auf seinem Körper tätowiert, berichtet das Blatt. Sein Vater, ein Sozialarbeiter, habe sein Büro im Untergeschoss des „Hauses der Jugend“ in Öhringen. Dort sollen laut Aussage von Florian H. Treffen der „Neoschutzstaffel“ stattgefunden haben.