Zwischen Predigerkirche und Friedrichsplatz kam es am Montag, 14. Februar, gegen Ende des "Spaziergangs" zu einer Ansammlung. In der Online-Veranstaltung äußerten an diesem Abend rund 80 Bürger ihre Sorgen, Ängste und Bedenken. Foto: Nädele

Die Corona-Lage hat sich mittlerweile entspannt. Trotzdem bleibt das Thema – vor allem mit Blick auf den Herbst – präsent. Antworten auf einige Fragen zur Pandemie liefern nun zwei Stellungnahmen.

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Rottweil - Seit Winter 2021 treffen sich immer montags um 18 Uhr Spaziergänger in der historischen Innenstadt und protestieren gegen die Coronapolitik. Am 17. Januar organisierten Elke Reichenbach und Peter Bruker erstmals eine öffentliche Mahnwache vor dem Alten Rathaus, es folgten drei angemeldete Menschenketten und ein moderierter Onlineaustausch am 14. Februar.

Briefe an Landrat und Oberbürgermeister

In Briefen an Landrat Wolf-Rüdiger Michel und Oberbürgermeister Ralf Broß fassten die Veranstalter, Peter Bruker und Elke Reichenbach, die Ergebnisse des Online-Austausches zusammen und baten um eine Stellungnahme zu konkreten Fragen, Bedenken und Wünschen der Bürger.

Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen

So wurde unter anderem die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen hinterfragt, die Kommunikation der Regeln und Maßnahmen kritisiert, die gesellschaftliche Spaltung befürchtet und eine bessere medizinische Versorgung gefordert.

Was Broß und Michel schreiben

Die Stellungnahmen von Ralf Broß und Wolf-Rüdiger Michel liegen nun vor. Wir veröffentlichen einige wichtige Punkte aus den beiden Stellungnahmen. So schreibt OB Broß gleich zu Beginn, dass die meisten Wünsche und Forderungen nicht im Zuständigkeitsbereich einer Stadtverwaltung liegen. "Die Stadtverwaltung war immer nur ein Organ der Exekutive – was wir auch getan haben. Sofort haben wir reagiert und versucht einen Mittelweg zu finden, in den man die strengen Vorgaben des Lockdowns zwar umgesetzt hat, jedoch nichts unversucht gelassen hat, die Struktur, die Sicherheit und die Aufrechterhaltung in jedem Bereich und für jede Gruppe zu gewährleisten", führt er aus.

Mehr als 70 Hilfsangebote

Dabei seien sowohl alle Personengruppen und jedes Alter berücksichtigt worden, aber auch die Wirtschaft und jeder Betrieb sollten aufgefangen werden. Im Rahmen der Initiative "Rottweil hilft" seien viele Hilfsangebote geschaffen worden, beziehungsweise durch Freiwillige bei der Stadtverwaltung eingegangen. "Nach nur wenigen Tagen gab es bereits mehr als 70 Hilfsangebote in den Bereichen Einkaufs- und Telefondienste. Alles das wurde von uns koordiniert. Ziel der Aktion war auch, alleinstehenden und älteren Menschen zu helfen, die durch den Aufruf, Sozialkontakte einzuschränken, besonders betroffen waren", schildert er weiter.

Schule und Kindergarten

In den Schulen und Kindergärten habe man, soweit es die Verordnung zugelassen hat, den Betrieb aufrechterhalten. Der Digitalisierung der Schule sei noch mehr Beachtung geschenkt worden. Die Unternehmen (Gaststätten, sowie Einzelhändler) seien kontaktiert und in enger Zusammenarbeit unterstützt worden.

"Selbst Jugendarbeit, die bis dato nur in Präsenz ablief, wurde der Zeit angepasst. Die Begegnungsmöglichkeiten wurden auf Kleinstgruppengespräche und Einzelgespräche runtergebrochen und ins Freie verlagert", so Broß weiter. Neue Projekte wie die Kinderwaldwoche seien ins Leben gerufen worden. "Sämtliche Veranstaltungen haben wir mit sehr großem arbeitsintensivem Zeitaufwand der gültigen Corona-Verordnung angepasst oder in die digitale Welt umgesetzt", erklärt er weiter.

Digitale Plattform "unserrottweil"

Dem Vorwurf, "man habe Maßnahmen schlecht kommuniziert", hält der OB die Neugründung der digitalen Plattform "unserrottweil" dagegen.

Broß betont: In der Pandemie war "jeder, vor allem die Politik gezwungen worden, sich mit vielen Schwierigkeiten gleichzeitig auseinanderzusetzen, über einen sehr langen Zeitraum". Hier sollte zunächst das Problem erforscht werden und dann bei der Bekämpfung ständig nachjustiert werden.

Gesundheitssystem am Leben erhalten

Gemeinsam habe man dazu beigetragen, "dass alle Horrorszenarien abgewandt werden konnten und das Gesundheitssystem und das Leben nicht zusammengebrochen ist".

Weiter schreibt er: "Da die Krankheit noch nicht lange bekannt ist, sind die Ursachen der Langzeitfolgen, die unterschiedlichen Symptome und mögliche Krankheitsverläufe noch nicht vollständig untersucht. Es ist aktuell noch nicht möglich, sicher abzuschätzen, wie lange Auswirkungen von COVID-19 andauern können und wie gut sie behandelbar sind. Ungewiss ist auch, wie groß der Anteil der Betroffenen ist, der längerfristige gesundheitliche Beschwerden durch die Krankheit haben wird."

Langzeitfolgen der Krankheit

Broß verspricht, die Impulse aus der Veranstaltung in die Arbeit der Stadtverwaltung mit aufzunehmen. Mit Blick in die Zukunft zählt er neben dem Corona-Verlauf im Herbst auch die Langzeitfolgen der Krankheit, die Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben und die wirtschaftlichen Folgen, aber auch den Klimawandel und den Krieg in der Ukraine zu den Schwierigkeiten, die "vor uns liegen".

Solidarität

"Jedoch rückt genau in dieser düsteren Zeit die Stadt Rottweil, unser Land, sogar ganz Europa solidarisch zusammen und gibt uns einen Grund, zuversichtlich zu bleiben. Wir sitzen alle in einem Boot, und es gilt den Sturm zu bezwingen", schreibt er abschließend.

Landrat: verschiedene Grundrechte stehen sich gegenüber

Landrat Wolf-Rüdiger Michel räumt in seiner Stellungnahme ein, dass auch "der Landkreis nicht jede Hoffnung erfüllen kann". Zu den Maßnahmen erklärt er: "Bei der Pandemiebekämpfung stehen sich verschiedene Grundrechte gegenüber. In einem demokratischen Rechtsstaat gilt nicht das Recht des Stärkeren. Vielmehr bedarf es einer demokratisch legitimierten Entscheidung, welches Grundrecht bei einer Grundrechtskonkurrenz zurücktreten muss." Deshalb hätten sich die Regierungen und Parlamente in Bund und Land oft mit dem ständig wechselnden Rechtsrahmen befasst.

Abwägung nicht einfach

Die Abwägung sei nicht immer einfach. Die Gerichte hätten in den vergangenen Monaten nicht immer für die staatlichen Begrenzungen entschieden. Insbesondere sei dabei stets die Frage nach der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme gestellt worden. "Diese Gewaltenteilung und die Endentscheidung vor Gericht gegenüber staatlichen Entscheidungen machen eine Demokratie und einen Rechtsstaat aus. Deshalb gibt es in Deutschland keine ›Corona-Diktatur‹ und somit auch kein Widerstandsrecht gegen staatliche oder gerichtliche Entscheidungen", schreibt Michel. "Selbstverständlich kann in rechtlich korrekter Weise natürlich demonstriert werden", heißt es weiter.

Der Andere sei kein "Feind" oder "Böswilliger"

Der Landrat bedauert "die rauer werdende Diskussion, insbesondere in den sogenannten ›Sozialen Netzwerken‹". Wichtig sei dabei, sich bewusst zu sein, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt, kein "Feind" oder "Böswilliger", betont Michel.

In der Pandemiebekämpfung habe es keinen Fahrplan geben können – "deshalb haben sich viele Situationen neu ergeben und manche Maßnahmen wären – rückblickend betrachtet – sicher anders getroffen worden – verschärft oder abgeschwächt". Dies habe sicher der Glaubwürdigkeit manch politischer Entscheidung geschadet, gibt er zu. "Aber es war eine völlig neue Herausforderung, und auf keiner politischer Stufe war es in den letzten zwei Jahren möglich, alles auf den Punkt scharf vorherzusehen."

Long-Covid-Beratungsmöglichkeiten

Zum Wunsch nach Long-Covid-Beratungsmöglichkeiten schreibt der Landrat Folgendes: "Long COVID ist eine Gesundheitsstörung, die in den nächsten Jahren zunehmend in den Fokus rücken wird; sowohl bei Kindern, als auch bei Erwachsenen. Die Handlungsstrategien bei Long COVID gehen durch nahezu alle Fachrichtungen (Schmerztherapeuten, Pulmologen, Angiologen, Neurologen, Psychologen, Kardiologen etc.). Eine Beratungsstelle, die diese Bandbreite personell und fachlich abdeckt, ist schlichtweg nicht leistbar."

Er verweist an die niedergelassenen Ärzte, "die sowohl die Person als auch deren Krankengeschichte kennen und somit bereits eine mögliche Therapie einleiten beziehungsweise an die notwendige Fachabteilung der niedergelassenen Ärzteschaft überweisen können".

Was das Landratsamt nicht leisten kann

Entsprechendes gelte auch für den Wunsch nach einer moderierten Online-Austauschplattform. Hierfür müsste ein breites Spektrum an Expertise (medizinisch, rechtlich, infektiologisch) eingebunden werden, was beim Landratsamt ebenfalls aus personellen Gründen nicht leistbar sei.

"Die Forderung nach attraktiveren Bedingungen für Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegewesen unterstützen wir ebenfalls. Beide Bereiche sind die Basis einer soliden Grundversorgung mit dem Gut Gesundheit und Pflege. Hier sind Bund und Land gefragt, entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen", schreibt Michel.

"Alle Kliniken, egal ob in privater, öffentlicher oder freigemeinnütziger Trägerschaft, haben in der Pandemie großartig für die Menschen gearbeitet", hebt der Landrat hervor. "Alle zusammen haben bewirkt, dass die Corona-Krise bis dato so gut bewältigt wurde", schreibt er abschließend.