Designer Michael Michalsky und eines seiner Models nach der Style-Nite. Foto: dpa-Zentralbild

Michael Michalsky spricht über Mode, Marken als Ersatzfamilie und seinen Kleiderschrank.

Berlin – Am 3. Juli startet wieder die Fashion Week in Berlin. Als Höhepunkt gilt die Style-Nite von Michael Michalsky. Der ist nach Meinung von Karl Lagerfeld „das Symbol der Berliner Mode“.

Welche Rolle spielt Berlin in Ihrem Leben?
Für mich ist Berlin die inspirierendste Stadt, die es momentan gibt. Das Herz von Europa. Ich glaube, es gibt keine andere Stadt, in der man so frei sein kann .

Das heißt, es gibt kein Zurück nach Nürnberg, nach New York oder nach Rümpel in Schleswig-Holstein, wo Sie aufgewachsen sind?
Es gibt definitiv kein Zurück nach Rümpel, außer wenn ich meine Eltern besuche. Nürnberg ist eine schöne Stadt, aber ich habe dort nur gelebt, weil ich für Adidas gearbeitet habe. New York finde ich interessant, aber mehr als Tourist. Ich möchte da nicht leben. Ich werde immer eine Basis in Berlin haben, weil ich mich hier einfach wohlfühle. Außerdem sagt man ja auch, Berlin sei das „neue New York“.

Mögen Sie Deutschland?
Deutschland ist ein tolles Land. Eine Zeit lang konnte ich mir nicht vorstellen, wieder hier zu leben. Aber ich finde, wir leben heute in einem ganz anderen Land als in den 90er Jahren. Multikulti funktioniert hier. Auch wenn es Probleme gibt. Manche Deutsche haben ein Problem damit, wenn Menschen anders sind. Weil wir Deutschen es gern haben, wenn alle gleich sind.

Hatten Sie Probleme damit, „anders“ zu sein?
Nö, ich war ja nicht bewusst anders. Ich habe nur relativ früh gemerkt, dass das Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, nicht das ist, wo ich bleiben will. Weil ich mich für Dinge interessiere, die dort keine Rolle spielen. Ich habe das Abitur gemacht – und damit das, was von mir erwartet wurde. Aber ab diesem Zeitpunkt wollte ich ein selbstbestimmtes Leben leben. Auch in Sachen Mode: Mein Ziel war es von Anfang an, Mode anders zu präsentieren, nämlich im Zusammenhang mit Populärkultur. Ich wollte keine Haute- Couture-Show – alle auf goldenen Stühlchen, zwölf Minuten Tamtam, und dann ist alles vorbei. Ich möchte, dass möglichst viele Interessierte daran Anteil haben. Deshalb gibt es einen Livestream im Internet und zum Beispiel beim letzten Mal eine Übertragung auf Arte. Ich finde, dass Mode eine Gesamtheit ist und sich vieles gegenseitig inspiriert.

Was passiert, wenn die Style-Nite vorbei ist?
Dann bin ich erst mal glücklich. Und erschöpft, weil viele Wochen intensive Arbeit darin stecken. Ich falle in ein emotionales Loch. Während der Fashion Week ziehe ich immer in ein Hotel, obwohl ich ja in Berlin wohne. Sozusagen als Manifestierung der außergewöhnlichen Style-Nite-Tage. Am Tag nach der Show gehe ich wieder nach Hause, und die neue Saison kann beginnen.

Sind Sie vor der Style-Nite aufgeregt?
Die paar Stunden vorher schon. Dann ist das wie so ein Tanker, den man nicht mehr anhalten kann. An den Tagen davor kann man noch vieles ändern, aber dann hat es eine Eigendynamik, die man nicht mehr selbst steuern kann.

„Es nervt mich, wenn jemand unsere Kollektion niedermacht“

Darf man Ihnen gegenüber Kritik äußern?
Es gibt keinen objektiven Bewertungsmaßstab für Mode. Manches wird gehypt, aber am nächsten Tag können dich und deine Kollektion auch schon wieder alle doof finden. Deshalb muss man sich davon frei machen. Aber natürlich nervt es mich, wenn jemand unsere Kollektion niedermacht, weil ich weiß, dass das Team daran sechs Monate gesessen hat. Aber das hat mich früher mehr mitgenommen, da bin ich heute mehr Profi.

Was für eine Rolle spielt Mode für Sie?
Mode ist meine Leidenschaft, und ich bin sehr glücklich, dass ich das machen kann, was ich schon immer machen wollte, quasi meinen Traum verwirklichen, den ich als Teenager hatte. Mode beziehe ich nicht nur auf den Wandel von Kleidung, sondern es betrifft unser ganzes Lebensgefühl – welches Buch wir lesen, wohin wir im Urlaub fahren, welches Handy wir haben. Ich finde ja sogar, dass manche Künstler Mode sind. Die Zyklen in anderen Produktkategorien sind nur länger als bei der Kleidung. Das ist eben ein saisonales Geschäft. Letztlich ist heute alles Mode. Und das Tolle daran ist, dass dadurch alles in Bewegung bleibt.

Sind Marken Ersatzfamilien?
Ja. Das fing in den 80er Jahren an. Damals ging es los mit Marken wie Levis, Diesel, Benetton. Das hat mich und meine Generation geprägt und die Grundlage geschaffen für das, was wir heute sehen: dass Marken eine sehr, sehr große Rolle spielen. Damals gab es einen Tribe, heute gibt es zweihundert, die auch untereinander immer wieder vermischt werden. Mode ist heute viel fragmentierter, und die Marke ist für viele ein Totem, um sich abzugrenzen von anderen. Ich bin grundsätzlich für Marke, weil Marke für etwas steht. Ich persönlich versuche mich ja auch als Marke zu inszenieren. Weil Marke auch ein Versprechen ist, das man gibt.

Welche Gefahren drohen, wenn Marken zur Ersatzfamilie mutieren?
Keine. Wenn jemand genügend Erziehung und Bildung erhalten hat – und dazu hat er in diesem Land die Möglichkeit –, ist er in der Lage zu entscheiden. Und dann sind Marken cool, weil sie für etwas stehen – für Qualität, Historie oder ein gutes Handwerk etwa. Man sollte sie halt nicht benutzen, um sich selbst zu definieren, weil man keine eigene Persönlichkeit hat.

Welche Bedeutung haben Frauen für Sie?
Eine große. Das geht damit los, dass 70 Prozent unserer Mitarbeiter Frauen sind, ich viele Frauen in meinem Freundeskreis habe und ich auch eine sehr enge Beziehung zu meiner Mutter habe. Ich liebe Frauen, aber ich bin ja eh ein anderer Designer als die meisten. Mein Mantra ist „Real Clothes for Real People“, dementsprechend versuche ich etwas zu kreieren, das tragbar ist. Dass meine Mode „tragbar“ ist, wird mir zwar auch oft vorgeworfen, aber für mich ist das ein großes Kompliment, denn das ist genau das, was ich möchte. Es hat auch damit zu tun, dass hier viele Frauen arbeiten, die zum Beispiel auf dem Weg zum Atelier ihre Kinder in die Kita bringen, hier dann acht Stunden arbeiten – danach noch kurz in den Supermarkt. Die wollen bequeme Klamotten tragen, aber trotzdem klasse aussehen.

Welcher zeitgenössische Künstler hat den größten Einfluss auf unseren Lebensstil?
Andy Warhol. Der hat vor 25, 30 Jahren so vieles prognostiziert, was heute Realität ist, zum Beispiel, dass jeder danach strebt, für 15 Minuten berühmt zu sein. Das ist spätestens seit dem Castingshow-Wahn traurige Realität. Mit dem kleinstmöglichen Talent und Aufwand kann da jeder auf der Bühne stehen. Denen geht es nur ums Berühmtsein. Weil wir in einem Zeitalter leben, in dem prominent sein alles ist. Weil viele denken, dass man als Prominenter keine Sorgen hat.

„Gut, ich gebe die Richtung vor“

Und wie lebt es sich als Berühmtheit?
Ich sehe mich nicht als Berühmtheit. Für mich sind Berühmtheiten Menschen wie Karl Lagerfeld und Madonna. Gut, ich werde auf der Straße schon mal erkannt, aber ich habe mir das erarbeitet. Und ich habe das bewusst gemacht, weil ich mit meinem Label in Konkurrenz zu großen Konzernen stehe, die Millionenbudgets für Werbung ausgeben. Das können wir als 30-Mann-Laden nicht, daher habe ich mich als Person bewusst selbst inszeniert. Damit die Leute überhaupt erfahren, dass es uns gibt, was wir machen. Also, ich leide nicht unter meiner Bekanntheit, wenn Sie das meinen . . .

Wo können Sie am besten arbeiten?
Hier, im Atelier. Ich brauche meine Leute um mich. Ich bin ein Mannschaftsspieler. Gut, ich gebe die Richtung vor. Aber Karin (er zeigt durch die Glaswand auf eine junge Frau) zeichnet alles, und wir stimmen uns eng ab.

Hat der Tag genug Stunden für all das, was Sie machen möchten?
Ja, ich bin gut organisiert. Da bin ich sehr deutsch. Zwischen Viertel vor neun und spätestens halb zehn sitze ich am Schreibtisch. Ich arbeite effizient, aber nicht so viel, wie manche denken. Ich habe eine gute Balance.

Wie groß ist Ihr Kleiderschrank?
Der ist nicht so groß, etwa vier Meter lang. Seit fünf Jahren miste ich nämlich rigoros aus, wenn ich neue Sachen bekomme, also am Anfang der Saison. Früher habe ich viele Sachen aufgehoben, dann habe ich einen Schnitt gemacht. Und seitdem hebe ich nur noch besondere Einzelstücke auf.

Wie lange haben Sie heute Morgen vor dem Kleiderschrank gestanden?
Nicht lange. Ein paar Minuten. Ich ziehe ja eigentlich immer das Gleiche an. Entweder ’ne Jeans oder ’ne Anzughose. Dazu Turnschuhe und ein T-Shirt, mit und ohne Pulli, oder eben heute ein Hemd. Dazu ’ne Sportswear-Jacke, das war`s. Ich bin ja immer eher locker angezogen, muss mir nicht noch ’ne passende Krawatte raussuchen. Ich hab’ keine, halt, doch, ich hab’ eine, aber ich kann nicht mal eine Krawatte binden.