Mehr als jede zweite Mobbingattacke geschieht am Arbeitsplatz. Oft sind daran auch Vorgesetzte beteiligt. Foto: dpa

Fast jeder dritte Erwachsene ist einer Studie zufolge gemobbt worden – auch übers Internet. Mehr als die Hälfte der Attacken geschehen am Arbeitsplatz. Welche Motive dahinterstecken und wie Betroffene reagieren sollten.

Berlin/Ulm - Hassmails, Beschimpfungen oder auch einfach subtile Gesten wie Augenrollen: Betroffene Erwachsene berichten in einer Studie von ihren Erfahrungen mit Mobbing.

Wie verbreitet ist Ausgrenzung unter Erwachsenen?

Mobbing, sagt der Psychologe Jörn von Wietersheim, ist kein Thema, das nur Kinder oder Jugendliche betrifft. Das zeigt auch eine aktuelle Studie: 30 Prozent der über 18-Jährigen sind demnach schon einmal zum Opfer von Verleumdungen oder subtiler Ausgrenzung geworden, sowohl von Bekannten als auch übers Internet. Und die Zahl der Mobbingfälle bei Erwachsenen in Deutschland ist in den vergangenen Jahren sogar gestiegen – vor allem im Netz. Schon 2014 hat das Bündnis gegen Cybermobbing eine Befragung zum Thema durchgeführt. Seit damals ist das Internetmobbing von acht auf neun Prozent angestiegen. Das hört sich nicht nach viel an, ist für Experten aber ein Alarmsignal: „Die Studie zeigt, dass ich das Problem verschärft hat“, sagt Uwe Leest vom Bündnis gegen Cybermobbing, das die Erhebung durchgeführt hat. An dieser Online-Umfrage haben 4001 Menschen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Österreich und der Schweiz teilgenommen.

Wer wird häufiger Opfer von Diffamierungen: Frauen oder Männer?

Frauen werden der Studie zufolge anderthalbmal häufiger Opfer von Mobbingattacken als Männer. Erstaunlich ist, dass 80 Prozent der Täter zuvor schon einmal selbst gemobbt wurden. Besonders betroffen sind unter den Befragten außerdem jüngere Menschen zwischen 20 und 25 Jahren: Diese seien fast doppelt so häufig von Cybermobbing betroffen wie der Durchschnitt. „Das sind die ersten Vertreter der Generation Smartphone in der Arbeitswelt“, sagt Uwe Leest. Aus ihrer Jugend hätten diese jungen Menschen ein Verhalten verinnerlicht, dass nicht entsprechend sanktioniert worden sei. „Wenn wir nichts dagegen tun, wird sich diese Weller weiter vergrößern.“

Was ist der Unterschied zwischen Mobbing und Cybermobbing?

Durch die neuen, digitalen Kommunikationsformen seien neue Problemfelder des klassischen Mobbings entstanden, so sieht es Leest. Doch für Experten gehören Mobbing und Cybermobbing zusammen, denn häufig werden Attacken in der realen Welt um solche auf digitalen Wegen ergänzt. Und: Cybermobbing folgt eigentlich derselben Dynamik wie Mobbing in der realen Welt: Jemand wird bedroht, bloßgestellt, ausgegrenzt, mit Worten angegriffen oder sogar sexuell belästigt. Nur: „Im Internet spielt die Anonymität eine ganz besondere Rolle“, sagt Leest. Diese Anonymität enthemme die Täter, weil in der Regel keine negativen Reaktionen oder Konsequenzen zu befürchten seien. „Die strafrechtliche Verfolgung ist durch die Anonymität im Internet fast unmöglich. Das Opfer kann sich nicht wehren, da es häufig nicht weiß, von wem die Angriffe stammen.“

Das Netz lade dazu ein, Leute anonym fertig zu machen, sagt auch Jörn von Wietersheim, leitender Psychologe an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Ulm. „Es baut sich dann eine ganz eigene Gruppendynamik auf. Ein Gefühl von Macht und Stärke und Überlegenheit.“ In Betrieben erlebe er dieses Zusammentun zu einer Gruppe aber genauso.

Was sind die Motive für die Attacken?

Die Hintergründe, sagt der Psychologe, seien online wie offline meist ganz ähnlich. „Mobbing trifft oft Menschen, die irgendwie anders sind.“ Aussehen könne so ein Grund sein, und oft seien jene betroffen, die sowieso ein schwächeres Selbstbewusstsein hätten. Aus Sicht der Täter sei es meist Ärger über die Betroffenen und das Gefühl, diese Person für ein bestimmtes Verhalten bestrafen zu wollen – ob bewusst oder unbewusst. „Dahinter steckt aber auch ein gewisser Spaß daran, Macht auszuüben, um das eigene Ich oder Wir zu stärken.“

Wo wird am meisten gemobbt?

Mehr als jede zweite Mobbingattacke – 57 Prozent – findet der Studie zufolge am Arbeitsplatz statt. Dort sind Vorgesetzte an fast der Hälfte der Mobbingfälle beteiligt. Das deckt sich auch mit den Beobachtungen, die Jörn von Wietersheim in Betrieben und in der Beratung gemacht hat. Da sei beispielsweise die Patientin gewesen, deren Chef sie tagtächlich kontrollierte und kritisierte. So stark, dass sie unsicherer wurde und mehr Fehler machte. „Solch ein subtiles Verhalten führt bei den Betroffenen häufig zu Depressivität, zu enormen Ängsten und sinkendem Selbstvertrauen“, so der Psychologe. Nach Ansicht von anderen Experten kommt es häufig nicht nur zu psychischen, sondern auch physischen Folgen wie Magen-Darm-Problemen und Krankheitsphasen.

Wie sollten Betroffene reagieren?

Den Betroffene helfe meist, sich auszusprechen – etwa gegenüber dem Vorgesetzten oder dem Personalrat. Häufig sei es auch ratsam, einen externen Berater in den Betrieb zu holen, sagt von Wietersheim. Der könne dann mit der Abteilung oder einem Team am Zusammenhalt arbeiten. Funktioniert das nicht oder traut man sich nicht, das Problem anzusprechen, sollte man im Zweifel eher kündigen, als die Beleidigungen auzuhalten, sagt der Ulmer Psychologe von Wietersheim.

Was ist die Konsequenz der Studie?

Das Bündnis gegen Cybermobbing fordert neben mehr Beratungsstellen auch ein einheitliches Mobbinggesetz. „Die Täter müssen sehen, dass sie für ihre Verhalten sanktioniert werden können“, sagt Leest. Aber auch Unternehmen könnten handeln – um etwa ein besseres Betriebsklima zu schaffen. Dazu gehört auch, sich für mehr Zivilcourage einzusetzen. Denn: Angesprochen seien auch die Kollegen, die unbeteiligt zusehen. Sie müssten lernen, einzugreifen.