Ob Schüler, Arbeitnehmer oder Internetnutzer: Jeden kann Mobbing treffen, oft völlig unerwartet. Von einem Tag auf den anderen . . . Foto: dpa

Wegschauen, schweigen, mitmachen: Mobbing hat viele Facetten. Schüler der Bertha-Benz-Realschule in Wiesloch sollen nun Mitschülern beibringen, wie Mobbing vermieden werden kann.

Wiesloch - Ein kurzer Augenblick nur, eine etwas missverständliche Situation – und schon weitete sich das Ganze zu einem besonders schlimmen Fall von Mobbing aus. „Einer Schülerin wurde vor etwa zwei Jahren unterstellt, dass sie ein Verhältnis mit einem viel älteren Mann habe. Sie wurde daraufhin so schlimm gehänselt und im Internet verfolgt, dass das Mädchen die anderen Schüler schließlich bei der Polizei anzeigte, weil sie sich nicht mehr anders zu helfen wusste“, erzählt die Sozialarbeiterin Ines Calleja. Und obwohl sich die Gerüchte letztlich als unwahr herausstellten, hörten die Beschimpfungen nicht auf. „Weil sie die anderen anzeigte, wurde sie weiterhin verfolgt und gemobbt und hatte keine ruhige Minute mehr.“

Es war der Fall, bei dem Ines Calleja damals dachte: „Jetzt reicht es, jetzt muss etwas passieren.“ Es war der Fall, der den Grundstein für das Projekt „Stopp Mobbing“ an der Bertha-Benz-Realschule in Wiesloch legte. Projekte solcher Art gibt es einige, doch das Besondere in Wiesloch ist: Es sind nicht die erwachsenen Lehrer, die den Schülern Tipps und Verhaltensregeln an die Hand geben, sondern es sind Schüler der neunten Klasse, die ihre eigenen Erfahrungen an Fünftklässler weitergeben. „Zu älteren Schülern schauen die jüngeren auf, außerdem haben die in diesem Bereich einen ganz anderen Erfahrungsschatz als wir“, sagt Ines Calleja. Und so treffen sich seit September die 13 Neuntklässler alle zwei Wochen mit Ines Calleja und tauschen sich aus. Ideen werden gesammelt, Erfahrungen eingebracht, Konzepte entwickelt. Zudem werden unter der fachlichen Anleitung der Sozialarbeiterin Definitionen, Entstehungsursachen, Erscheinungsformen und der Umgang mit Mobbing altersentsprechend aufbereitet.

Nicht einfach zuschauen, sondern dazwischen gehen

Ab Juni gehen die dann entsprechend ausgebildeten „Teamer“ jeweils zu dritt in eine Doppelstunde einer fünften Klasse und arbeiten dort mit den Schülern. Rollenspiele gehören ebenso dazu wie Dialoge, Erfahrungsberichte, aber auch eine Art Improvisationstheater. „Die Schüler stellen etwa eine Szene nach und zeigen den anderen dann auf, wie man damit umgehen sollte, was es für Handlungsmöglichkeiten gibt.“ Diese Schul-Doppelstunden finden ohne die Sozialarbeiterin statt. „Die Schüler brauchen keine Kontrolle, die machen das sicher sehr gut, weil sie viel mehr im Thema stecken als wir“, erzählt Ines Calleja. In den Treffen nach diesen Schulstunden würden die Gespräche anschließend reflektiert und besprochen, natürlich alles im vertraulichen Rahmen.

Am Anfang sei es für die beteiligten Jugendlichen zunächst nicht immer einfach gewesen, sich auf das Thema einzulassen. „Mobbing ist ein sehr heikles Thema, daran mussten sich alle erst einmal herantasten, aber nach den ersten Treffen waren alle super dabei und setzen sich jetzt richtig kämpferisch dafür ein“, sagt die Sozialarbeiterin. Das Projekt ist ihrer Ansicht nach genau zur richtigen Zeit gekommen. Das sehen auch Jaric Krumpholz und Victor Pitter so. Die beiden 15-Jährigen sind mit Begeisterung bei „Stopp Mobbing“ dabei und stolz, dass sie dazugehören. „Endlich machen wir mal etwas Sinnvolles und hängen nicht nur vor der Glotze ab“, sagt Jaric Krumpholz. Anderen, jüngeren Mitschülern zu helfen, wenn diese gemobbt würden, sei ihnen sehr wichtig. Vor allem auf eines legen sie Wert: „Man muss die Mitläufer dazu bewegen, dass sie nicht mehr nur einfach zuschauen und nichts tun und damit zum Mittäter werden, sondern dass sie ganz klar dazwischengehen und dem Mobbing-Opfer helfen“, sagen die beiden. Als Ines Calleja auf sie zugekommen sei, hätten sie sofort zugesagt, weil sie selbst schon häufig Zeuge von Mobbing-Attacken geworden seien.

Beim Thema Mobbing gibt es fast keine Präventionsansätze

Damals hätten sie allerdings selbst auch nicht eingegriffen. Warum nicht? „Weil man oftmals allein dasteht und gegen eine größere Gruppe nichts ausrichten kann. Und genau deshalb machen wir bei dem Projekt mit. Wir wollen genau diese Einstellung bei allen Schülern ändern und ihnen zeigen, wie blöd es ist, andere zu mobben oder einfach nicht zu helfen.“

Finanziert wird die 4000 Euro teure Maßnahme für zwei Jahre mit einem Betrag von 3600 Euro aus der Spendenaktion „Herzenssache“ des Südwestrundfunks, die restlichen 400 Euro übernimmt der Freundeskreis der Schule. Calleja selbst wird als Schulsozialarbeiterin von der Stadt Wiesloch bezahlt. Mit diesem Geld bekommen die Mitglieder des Teams eine Aufwandsentschädigung, zudem werden Literatur, Plakate und Werbemittel gekauft. „Außerdem planen wir für die Teamer ein Wochenende zur Vertiefung und Teambildung, das ist für die Schüler sehr wichtig“, sagt die Projektbetreuerin.

Generell ist das Thema Mobbing ihrer Ansicht nach auch deshalb so schwierig, weil es fast keine Präventionsansätze gibt, sondern nur die Möglichkeit einer Intervention. „Und dann ist es häufig schon zu spät, der angerichtete Schaden beim Gemobbten ist oft schon groß.“ Zwar habe es auch früher natürlich Fälle von Hänseleien oder kleinen Streitereien und subtilen Anschuldigungen gegeben. Heute sei die mediale Wucht aber eine ganz andere, sagt Ines Calleja. „Jede Kleinigkeit wird gepostet, das Opfer kann sich dem Ganzen gar nicht entziehen, sondern wird im Zweifel fast minütlich damit konfrontiert. Und das ist eine Katastrophe.“