Wird auch der MTV Stuttgart von Männern dominiert, die im Kampf um Posten, Macht und Einfluss nicht immer fair spielen? Zwei Ex-Präsidentinnen erheben schwere Vorwürfe (Symbolfoto).Haasis Foto: IMAGO/avanti/IMAGO/Avanti

Gegen welche Widerstände engagierte Frauen in Vereinen wie dem MTV Stuttgart zu kämpfen haben, zeigen die Beispiele zweier Ex-Präsidentinnen. Benötigt der Sport eine Frauenquote?

Die Rechnung ist einfach: Rund 51 Prozent der Menschen in Deutschland sind weiblich, Frauen folglich in der Mehrheit. Nur nicht, wenn Führungsaufgaben verteilt werden. In Politik und Wirtschaft gibt es deshalb vermehrt Quotenregelungen. Der Sport wird dagegen weiterhin von Männern dominiert, die im Kampf um Posten, Macht und Einfluss nicht immer fair spielen – wie zwei Beispiele aus dem Land belegen.

 

Stuttgart, ein Café auf dem Killesberg, die Sonne strahlt. Ulrike Zeitler (64) fällt das Lächeln trotzdem ziemlich schwer. Sie rührt mit dem Löffel im Milchschaum, die Gedanken kreisen um ihre Zeit beim MTV Stuttgart. Dann sagt sie: „Am Ende habe ich mich bedroht gefühlt. Wie bei einer Hexenjagd.“

Beim MTV Stuttgart geht es rund

Zehn Jahre war Ulrike Zeitler Präsidentin des umtriebigsten Sportvereins in der Stadt. 8900 Mitglieder, 1300 Übungseinheiten pro Woche in 41 Disziplinen, dazu rund 180 Fitnesskurse – beim MTV geht es rund. Auch hinter den Kulissen, wo Ulrike Zeitler immer wieder aneckte. Sie ist bis Januar 2021 Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Stuttgart gewesen und es von daher gewohnt, sich Meinungen anzuhören, zu argumentieren, Schlüsse zu ziehen. Ihre Sprache, das gibt sie zu, ist juristisch geprägt, formal, deutlich. Ob der Prozess, den sie in ihrem Verein in Gang setzen wollte, deshalb nie an Fahrt aufnahm?

Ihr Urteil fällt anders aus. „Im Berufsleben hat sich die Rolle der Frau verändert, weiterentwickelt“, sagt Ulrike Zeitler, „im Sport nicht. Die männlichen Denkstrukturen lassen die weibliche Sichtweise oft nicht zu. Es fehlt die innere Motivation, Frauen neue Aspekte einbringen zu lassen. Weibliche Potenziale sind nicht erwünscht.“

Klüngeleien in der Männersauna

Abfinden wollte sie sich damit nie, stürzte sich voller Energie ins Ehrenamt, diskutierte, stritt, spendete die jährliche Aufwandsentschädigung von 500 Euro an ihren Verein. Und hatte doch das Gefühl, nicht akzeptiert, von ihren Vorstandskollegen öfter nicht richtig informiert und hintergangen zu werden. „Viele von ihnen trafen sich regelmäßig in der Männersauna. Dort wurden vereinspolitische Dinge besprochen, Entscheidungen vorbereitet und Posten verteilt“, sagt Ulrike Zeitler, „solche Parallelstrukturen sind mit meinem Demokratieverständnis nicht vereinbar.“ Doch das war noch nicht ihr größtes Problem.

Nachdem ihr Ehemann Martin Schairer – als Bürgermeister für Sicherheit und Ordnung in Stuttgart auch für den Sport zuständig – sich im November 2020 in den Ruhestand verabschiedet hatte, eskalierte die Situation beim MTV. „Ab diesem Zeitpunkt“, erinnert sich Ulrike Zeitler, „war ich vogelfrei.“

Hassmails und offene Feindschaft

Kurz darauf wechselte Karsten Ewald, als Geschäftsführer lange Jahre die treibende hauptamtliche Kraft im Verein, ins Präsidium. Er wurde der Stellvertreter Zeitlers und zudem Geschäftsführer der vereinseigenen Vermarktungsgesellschaft Promit. „Danach hat er versucht, in den von ihm jahrelang geprägten Strukturen die Macht an sich zu reißen“, erklärt die ehemalige MTV-Chefin, die deshalb in einer Vorstandssitzung Klartext redete. „Ich habe deutlich gesagt, dass der Vize laut Satzung nur dann den Präsidentenjob macht, wenn ich nicht da oder tot bin, ansonsten keine Weisungsbefugnis und Richtlinienkompetenz hat. Das kam nicht gut an.“

Ulrike Zeitler hat ihren Kaffee mittlerweile ausgetrunken, die Sonne scheint noch immer. Ihre Miene verdüstert sich weiter, als sie von „Mobbing- und Entmachtungsversuchen“ erzählt, von Mails „voller Hass“, in denen ihr Lügen und Falschaussagen vorgeworfen worden seien, von „offener Feindschaft“ und einer per Handschlag getroffenen Abmachung mit Karsten Ewald im vergangenen Winter. Er sollte zurück-, sie nicht mehr antreten, der Entschluss in einem abgestimmten Text gemeinsam verkündet werden. Es kam anders, Zeitler fühlte sich veräppelt. „Aber da hatte ich als einzige Frau im achtköpfigen Vorstand längst kein Standing mehr. Es gab null Solidarität.“ Die Hauptversammlung im Juni fand ohne Ulrike Zeitler statt. „Ich habe mich nicht mehr getraut“, sagt sie, „der MTV war meine Heimat, es gab langjährige Freundschaften. Beides habe ich verloren.“

Helwerth: „Der Sport ist eine Männerdomäne“

Karsten Ewald wollte sich auf Anfrage unserer Zeitung nicht äußern – weder zu den konkreten Vorwürfen Zeitlers noch zur Rolle von weiblichen Führungskräften im Sport. Anders als Nico Helwerth (36). Der neue MTV-Präsident war bis zu seiner Wahl ohne Amt, ist völlig unbelastet. Aber er hat sich umgehört, weiß von der Männersauna, den hitzigen Debatten, den Strömungen im Verein. „Es wurde bei uns sicher nicht gut kommuniziert“, sagt er, „und ich würde lügen, wenn ich sage, es habe keine Rolle gespielt, dass an der Spitze eine Frau stand. Der Sport ist eine Männerdomäne, in der es Frauen schwer haben, gut zu arbeiten und Ideen zu verwirklichen.“ Diese Erfahrung hat auch Elvira Menzer-Haasis gemacht.

Albstadt-Onstmettingen, ein Restaurant in den Hügeln, draußen zieht Nebel auf. Elvira Menzer-Haasis (62) hat sich den klaren Blick bewahrt, der ihr immer zu eigen war. „Der Sport benötigt mehr Frauen in verantwortlichen Positionen. Sie führen anders, lassen Meinungen zu, beteiligen mehr“, sagt sie, „und sie spielen nicht immer gleich bedingungslos die Machtkarte. Damit haben Männer weniger Probleme.“ Sie weiß, wovon sie spricht.

Erste Frau an der LSV-Spitze

Schon mit 27 Jahren wurde Elvira Menzer-Haasis Vorsitzende des TV Onstmettingen. Beim ersten Geburtstagsbesuch eines verdienten Vereinsmitglieds gab es zur Begrüßung den freundlichen Satz: „Haben die keinen Mann gefunden?“ Elvira Menzer-Haasis hat sich dadurch nicht beirren lassen. „Nach einem Jahr war ich anerkannt.“ Erst auf der Alb, später auch weit darüber hinaus. 2016 wurde die Pädagogin und frühere Leiterin des Landesbüros Ehrenamt die erste Frau an der Spitze des Landessportverbands Baden-Württemberg (LSV) – in der Wahl setzte sie sich gegen den favorisierten Thomas Halder durch. 3,8 Millionen Mitglieder, 11 230 Vereine, ein Ehrenamt mit Vollbeschäftigung: Elvira Menzer-Haasis wusste, worauf sie sich einlässt. Zumindest zeitlich. „Was die verkrusteten Strukturen angeht, war ich ziemlich blauäugig“, sagt sie, „ich wollte mit den alten Seilschaften aufräumen. Das ist nicht lange gut gegangen.“

Elvira Menzer-Haasis, darin ähnelt sie Ulrike Zeitler, ist keine Strippenzieherin, keine Taktiererin, keine Mauschlerin. Sie spricht Themen, die für sie zählen, direkt an. Die Sache ist wichtig, nicht der Machterhalt. Und zu tun gab es ja genug. Mit der Landesregierung musste der neue Solidarpakt Sport ausgehandelt werden, die Coronapandemie bedrohte die Existenz vieler Vereine, die Leistungssportreform im deutschen Sport auch Olympiastützpunkte im Land. Da hätte es geholfen, wenn der LSV mit einer Stimme gesprochen hätte. Tat er aber nicht.

Den Solidarpakt erfolgreich verhandelt

Menzer-Haasis berichtet von Männerrunden, in denen massiv Stimmung gegen sie und ihre Entscheidungen gemacht wurde. Und auch von einer „Kampagne“. Ihre Stellvertreter Gundolf Fleischer (Präsident Badischer Sportbund Freiburg) und Andreas Felchle (Präsident Württembergischer Landessportbund) schrieben einen Brief an die Politik. „In diesem haben sie mir die Legitimation abgesprochen, für den Sport im Land zu verhandeln“, sagt Menzer-Haasis, „mit diesem Schreiben haben sie die Autonomie des Sports infrage gestellt, das war fast schon schizophren.“

Der Widerstand aus den eigenen Reihen ist nach Informationen unserer Zeitung auch in den Verhandlungsrunden über den Solidarpakt deutlich geworden. Teilnehmer berichten davon, wie Menzer-Haasis dauernd unterbrochen wurde, von einem bösartigen Umgangston, wie Kollegen aus dem LSV-Präsidium gegen sie arbeiteten. Trotzdem war der Sport am Ende erfolgreich, der Solidarpakt wurde um weitere fünf Jahre bis 2026 verlängert, die Förderung des Landes von jährlich 87,5 Millionen Euro um 18 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt. „Über dieses Ergebnis konnte niemand meckern, und der Sport und seine Vereine sind letztlich auch gut durch die Pandemie gekommen“, sagt Elvira Menzer-Haasis. Umso mehr hat sie die Politik gegen ihre Person nicht verstanden: „Da ging es nur um Macht und Neid.“

Benötigt der Sport eine Frauen-Quote?

Es ist ein Vorwurf, den Gundolf Fleischer (79) entschieden zurückweist. „Es gab nie eine Kampagne gegen Elvira Menzer-Haasis, wir haben lediglich um ein Miteinander gebeten“, erklärt der LSV-Vizepräsident, „sie hat ein anderes Verständnis von ihrem Amt gehabt, als es in der Satzung vorgesehen ist. Sie wollte als Präsidentin alleine bestimmen, wie die Dinge laufen. Das hat sie ganz offen gesagt, was ich sehr bedauert habe, denn ich bin immer jemand gewesen, der gute und qualifizierte Frauen gefördert hat.“

Fleischer, das liegt auf der Hand, war nicht traurig darüber, dass Menzer-Haasis genug hatte und im Juli nicht mehr für eine neue Amtszeit kandidierte. Andere schon. „Sie hat eine klasse Leistungsbilanz, war ausgleichend, hat glänzend verhandelt und einen sehr guten Job gemacht“, sagt Susanne Eisenmann, die als damals für den Sport zuständige Ministerin bei den Gesprächen über den Solidarpakt und die Coronahilfen mit am Tisch saß: „Frauen gehen anders an Dinge heran, haben einen anderen Blick. Das tut dem Sport gut. Klar ist aber auch, dass sie die Dinge ab einem gewissen Punkt nicht mehr mitmachen.“ Und sich verabschieden.

Ulrike Zeitler und Elvira Menzer-Haasis sind zwei Beispiele für diese These. Weshalb sich natürlich auch im Sport die Frage nach der Quote für Frauen in Führungsfunktionen stellt. Eigentlich will sie niemand, für sinnvoll erachten sie mittlerweile viele. „Man sieht ja, dass es freiwillig und im wertschätzenden Miteinander nicht geht“, sagt Susanne Eisenmann, „und dann braucht es eben eine.“ Es ist eine ziemlich einfache Rechnung.