Der erste Schülerjahrgang hat bei der Mittleren Reife fast so gut abgeschnitten wie die Realschüler. Dabei waren die Schüler in der vierten Klasse deutlich schwächer eingestuft worden
Stuttgart - Die Gemeinschaftsschulen sind stolz auf ihre Arbeit: Bei der ersten Prüfung für die mittlere Reife vor den Sommerferien schafften die Schüler fast ebenso gute Ergebnisse wie die Gleichaltrigen an den Realschulen. In Deutsch und Englisch lag der Notendurchschnitt der Gemeinschaftsschüler bei 2,9, in Mathe bei 3,2. Die Realschüler schnitten in Deutsch mit 2,9, in Englisch mit 2,8 und in Mathe mit 3,1 ab.
„Das konkrete Ergebnis des ersten Prüfungslaufs zeigt eindrucksvoll auf, wie auf das einzelne Kind ausgelegtes längeres gemeinsames Lernen die schulische Leistung deutlich positiv befeuert“, sagt Matthias Wagner-Uhl, Schulleiter und Vorsitzender des Vereins für Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg. Dies sei bemerkenswert, weil die Schüler vor dem Wechsel von der Grundschule in die Gemeinschaftsschule viel schlechtere Prognosen erhalten hatten als die Realschüler. 60 Prozent der damaligen Fünftklässler an den Gemeinschaftsschulen hatten von ihren Grundschullehrern eine Empfehlung für die Hauptschule erhalten, 28 Prozent für die Realschule und 12 Prozent für das Gymnasium.
Schüler besser als Prognosen
Vor einem Jahr machten 19 Prozent der Schüler aus den Starterklassen die Hauptschulprüfung, in diesem Jahr absolvierten 67 Prozent die Mittlere Reife. 14 Prozent der Schüler des ersten Jahrgangs lernen nun für das Abitur – ihre Leistungen sind in den Durchschnittsnoten nicht berücksichtigt. An Gemeinschaftsschulen in Konstanz und Tübingen wurden eigene gymnasiale Oberstufen eingerichtet, die Elftklässler anderer Gemeinschaftsschulen wechselten überwiegend an berufliche Gymnasien.
Aus Sicht von Wagner-Uhl hat sich das Konzept bewährt. „Der Einsatz der letzten Jahre hat sich gelohnt. Die junge Schule erweist sich als echte Talentschmiede für Baden-Württemberg.“ Von den „mit viel Zeitaufwand entwickelten neuen pädagogischen Konzepten werden alle Schularten profitieren“, ist die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Doro Moritz, überzeugt.
Lob aus dem Kultusministerium
An der Umfrage haben sich 30 der 42 Gemeinschaftsschulen beteiligt, die 2012 an den Start gingen. Das Kultusministerium kam nach Auswertung von 41 Schulen zu ähnlichen Ergebnissen. „Die Gemeinschaftsschule hat mit ihrem eigenen pädagogischen Konzept ihren Platz in der Schullandschaft gefunden. Sie kann mit Selbstbewusstsein in die Zukunft blicken“, sagte ein Sprecher des Kultusministeriums. Die guten Ergebnisse zeigten auch das hohe Engagement der Lehrkräfte.
Mittlerweile gibt es landesweit 306 Gemeinschaftsschulen im Südwesten. Grün-Rot hatte die neue Schulart ins Leben gerufen, um die Bildungschancen für Kinder zu verbessern. An den Schulen, die alle Ganztagsschulen sind, spielt die individuelle Förderung eine große Rolle. Durch gemeinsames Lernen über die vierte Klasse hinaus sollen Schüler den für sie bestmöglichen Abschluss erreichen. Sie können auf Hauptschul-, Realschul- oder Gymnasialniveau lernen und bei Bedarf auch wechseln.
Gymnasien fühlen sich benachteiligt
„Das Lernumfeld der Gemeinschaftsschulen bietet ihren Schülern optimale Bedingungen für den Bildungsaufstieg“, sagt die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Sandra Boser. Ihr SPD-Kollege Gerhard Kleinböck sieht noch Verbesserungsbedarf. „14 Prozent Abiturienten können sicherlich nicht das Ende der Fahnenstange sein“, sagte er. Die Kultusministerin müsse „ihre Stimmungsmache gegen die Gemeinschaftsschule und ihre gymnasiale Oberstufe“ einstellen und ihnen mehr Gymnasiallehrkräfte zur Verfügung stellen.
Davon hält der Philologenverband nichts. Die guten Ergebnisse der Gemeinschaftsschule seien vor allem darauf zurückzuführen, dass die Klassen kleiner und die Schulen besser ausgestattet seien als andere Schulen, meinte der Landeschef des Gymnasiallehreverbandes, Ralf Scholz.
AfD-Landtagsfraktionsvize Rainer Balzer erklärte, Bildungsgerechtigkeit bedeute „offenbar einen möglichst hohen Schulabschluss für alle. Dies lässt sich beispielsweise auch erreichen mit einem Absinken des Bildungsniveaus für alle.“