Das Spectaculum – ein Mittelalterfest zwischen Dorffest-Romantik und wilder Geschichtsbetrachtung – hat zig Besucher von überallher angezogen.
„Wir kommen aus Ellwangen, auch eine Garnisonsstadt wie Stetten“, erzählt der Zundermacher an seinem Stand. Seine Frau ergänzt: „Und immer, wenn die Soldaten zu uns versetzt wurden, waren sie glücklich. Es sei so fürchterlich kalt da in Stetten. Deshalb meinten sie: Stetten am kalten – lassen Sie es uns so sagen – Gesäß.“ Jede und jeder aus der Region weiß, wie die Leute eigentlich sagen. „Kalt ja“, meint eine Standbesucherin lachend, „aber nie so nass wie heute.“
In der Tat: Es regnet. Immer wieder, mal mehr, mal weniger – aber nie dauerhaft. Dem bunten Treiben tut das keinen Abbruch – es gibt genug Möglichkeiten zum Unterstellen. Man steht also zwischen rotgebrannter Wurst und dem Gefühl, dass irgendwo gleich ein Drache landet. Ein Mann in Kettenhemd, der „Willekum, Gevatter!“ sagt – und es ernst meint.
Zum siebten Mal findet es statt, das Spectaculum. Entstanden im Jahr 1999 zur 1200-Jahr-Feier der heutigen Gemeinde Stetten a.k.M. Der legendären Hochzeit des Ritters Joachim von Hausen und dem sich anschließenden mehrtägigen Fest anno 1590 sollte gedacht werden – einer wohl sehr wilden Party, die sich so tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat, dass man sich auch über 500 Jahre später noch daran erinnert.
Mehr Gemeinschaft als auf jedem G7-Gipfel
Damals 1999 tat sich Wunderbares auf: Die gesamte Gemeindegesellschaft – Vereine und Einzelne – taten sich zusammen, nähten Gewandungen und lasen sich ein in die Welt von Ritter Joe. Man lernte beim Festakt Menschen aus aller Welt – und auch den eigenen Nachbarn – besser kennen. Man bekommt diese seltsame Ahnung, dass man hier mehr über Gemeinschaft erfährt als auf jedem G7-Gipfel. Und dieses Zusammenkommen wird seither alle vier Jahre wiederholt.
Was auffällt: Ein Großteil der Menschen auf den Straßen ist gewandet. „Jede und jeder Stettener hat seit damals eine Gewandung im Keller. Die gibt auch keiner mehr her. Man verstaut sie sicher und freut sich, wenn man sie alle vier Jahre wieder auspacken und zum Fest tragen darf.“ Niemand will hier WLAN – aber jede und jeder für drei Tage das eigene Schwert.
„Wetterkerzen sind gut gegen böse Geister!“, erfährt man beim Vorbeischlendern am Montlhéry-Stand. „Das Geschwätz von wundersamen Steinen sollte man nicht ernst nehmen“, antwortet eine ältere Frau mit markanter Marketender-Kappe.
Eine Horde junger Männer – in Fellwams, mit Ledereinsätzen und Kettenhemden – kommt einem zwischen Schulzentrum und Mehrzweckhalle entgegen. Sie kommen aus dem eingerichteten Lager: Zelte, in denen Mittelalterfans übernachten und seit Tagen mittelalterliche Dinge tun.
Warum machen sie das? „Im Großen nennt sich das LARP – Live Action Role Playing. Wir schlüpfen in Rollen und schauen, wie sich das Leben darin anfühlt.“
Man trifft Menschen, die man lange nicht gesehen hat, umarmt sie – und freut sich, wenn sich dabei keine Nieten bohren oder Felleinsätze verheddern. „Halte deine Axt im Zaum, junger Junker“ wird zum geflügelten Wort, und das anfangs belächelte „Gott zum Gruße“ wandert bald liebevoll und ernst gemeint in den eigenen Sprachschatz.
Schuhmacherei, Buchwerk und eine Wahrsagerin
Neben den bewirtenden Vereinen, die selbst für manch nymphenhaften Gaumen Passendes bereithalten, haben auch viele Händler ihren Weg zum Spectaculum gefunden.
Das Mischmasch aus Neuzeit, Tradition und Fantasie stört niemanden
Von Schmuck über die obligatorischen Lederbändele bis hin zu Besonderheiten: eine historische Schuhmacherei, kunstvolles Buchwerk und eine Wahrsagerin. Das lockere Mischmasch aus Neuzeit, Tradition und Fantasie scheint niemanden zu stören. Zum Glück ist man in Stetten nicht dogmatisch. Und: Hier geht es niemandem ums große Geld. „Wenn die Fahrkosten und Übernachtung wieder drin sind, reicht es eigentlich schon. Unser Verdienst ist die Freude, die wir hier haben.“
Und Kultur? Gibt’s natürlich auch. Auf vier Bühnen, verteilt über das Mittelaltergelände, treten im Wechsel junge und alte, routinierte und frisch gestartete Künstler auf. Vor allem die regionalen Akteure der Rathaustanzgruppe bekommen viel Applaus – anmutig wie Mittelalter-Yoga in grüner Gewandung. Gaukler, Sackpfeifenspieler, Stelzenläufer, Jongleure und Feuerkünstler – ein ganz normaler Samstagabend in Stetten. Viele finden ihren Weg erst weit nach Mitternacht nach Hause. Manche dem Met zu sehr zugetan, andere beseelt vom Geist dieser liebevoll gestalteten Veranstaltung.
Am Sonntag geht’s dann weiter: mit Markt, Musik und Gott – bevor die Zugbrücke ins Mittelalter für vier Jahre wieder hochgezogen wird.