Michael Braun lässt sich die Zeitung vom "Voice-Over" seines Tablets vorlesen. Foto: Menzler

Michael Braun erzählt von seinem Leben mit Retinitis pigmentosa. Selbst immer bereit zu helfen.

Horb-Nordstetten - Bei Michael Braun wurde im Alter von 18 Jahren eine Sehbehinderung diagnostiziert. Seitdem lebt er als Blinder. Unabhängig und optimistisch geht er durch seinen Alltag. Davon erzählt er im persönlichen Gespräch.

 

Das Haus verlassen, sich umschauen, ob die Straße überquert werden kann, und los geht’s. So geht es zumindest den meisten. Nicht so Michael Braun aus Nordstetten. Der 61-Jährige lebt seit er 18 Jahre alt ist mit der Krankheit Retinitis pigmentosa (RP).

Diagnose mit 18 Jahren bekommen

"Ich hatte gerade den Führerschein bestanden und konnte endlich ins Leben starten, worauf so viele Menschen warten", erzählt Braun im persönlichen Gespräch. Gerade auf dem Dorf warten viele darauf mobil und damit unabhängig zu sein. Ursprünglich stammt Braun aus Ebhausen (Kreis Calw). Doch er merkte oft beim Autofahren, dass etwas mit seinem Sichtfeld nicht stimmte.

Bei einer Untersuchung stellten die Ärzte die Krankheit fest - eine Gesichtsfeldeinschränkung. Normalerweise verengt sich dabei das Sichtfeld des Betroffenen von außen nach innen. Hin zu einem sogenannten Tunnelblick. "Ich bin noch Auto gefahren, als ich von der Krankheit wusste, da man anfangs noch sieht. Später bin ich dann vom Auto weg und auf das Motorrad umgestiegen. Natürlich bin ich immer sehr risikoreich gefahren - aber habe das auch gebraucht. Als ich dann ein Mal auf dem Motorrad beim Abbiegen einen Lkw übersah, hab ich sofort aufgehört. Wenn ich so etwas übersehe, dann womöglich alles andere auch."

Gelernter Bäcker backt gerne zuhause

Gelernt hat Braun das Bäckerhandwerk in Rohrdorf (Kreis Calw). Seine Leidenschaft zum Backen ist ihm bis heute auch geblieben. "Wir haben zu Hause einen großen Backofen, da passen 10 bis 15 Brote rein - unsere Gefriertruhe ist immer voll", meint er lächelnd, "Ich backe alles. Bei Brezeln fange ich unter 50 Stück nicht an. Und jeden Tag gibt es ein Stück Kuchen für mich und meine Frau."

Zu seinem Verlauf mit der Gesichtsfeldeinschränkung: "Ich habe einen sehr komplizierten Verlauf. Nach vorne erkenne ich überhaupt nichts." Er besitzt nicht den üblichen Tunnelblick – seine Sicht beziehungsweise Erkennung beschränkt sich auf den äußeren Bereich seines Sichtfeldes.

"Ich gehöre nicht zu den Voll-Blinden. Ich sehe zwar nicht, was es ist oder was auf mich zukommt. Aber ich erkenne Formen und verschiedene Lichtverhältnisse. Wenn die Sonne scheint, erkenne ich gar nichts mehr. Wenn’s grau ist, ist es für mich eigentlich am besten."

Läuft immer mit Blick nach rechts und links

Er meint, es ist vorstellbar wie durc hgehender dichter Nebel. "Beim Autofahren stört Sie der Nebel wahrscheinlich auch - aber so lebe ich."

Braun erzählt von Hindernissen im Alltag: "Wenn zum Beispiel ein Zweig oder Dornen einer Hecke auf einen Gehweg ragen, ist das unglaublich gefährlich. Mein Blindenstock kann mich nicht vor etwas in der Luft warnen."

Durch seine Erkennung im äußeren Bereich seines Sichtfeldes hat er die Möglichkeit, in einer solchen Situation zu reagieren. Braun läuft immer mit einer Kopfbewegung von rechts nach links, um mögliche Hindernisse zu erkennen. "Voll-Blinde haben da keine Chance. Da verletzen sich öfters welche", beschreibt er.

Aber auch Autos, die auf dem Gehweg parken oder Mülltonnen, die einfach in der Mitte stehen, sind sehr gefährlich für blinde Menschen. "Wo man sich auskennt, ist es zwar einfacher wohin zu gehen. Aber man darf sich nicht darauf verlassen. Es bedarf stets höchster Konzentration und es ist ein stetiger Hindernislauf." Vor allem Baustellen seien sehr schwierig. Wenn diese den Gehweg beeinträchtigen finde er zum Beispiel den Ausgang einer Absperrung nur schwer oder gar nicht. "Voll-Blinde benötigen stets eine Begleitperson. Mir hat einmal ein Arbeiter auf der Baustelle geholfen und mir den Weg gezeigt."

Viele wissen nicht, was ein Blindenstock ist

"Alles spricht von Barrierefreiheit, Behörden müssen das ja auch zum Glück, doch bei kurzfristigen Änderungen, wie auch Baustellen, vergessen es die meisten", erklärt Braun. Er erhofft sich ein stärkeren Blick für die Situation der Sehbehinderten.

Was ihn noch oft schockiert, sei, dass viele Menschen nicht einmal wüssten, was ein Blindenstock ist. "Es laufen oftmals Leute in meinen Weg oder in den Blindenstock, weil sie nicht darauf achten. Ältere Menschen wissen nicht einmal, was es ist."

Aber: "Ich kann alles machen", bezeugt er. Zuhause sei er immer aktiv, mache den Haushalt, backe für sich und seine Frau oder andere. "Ich bin unsere Spülmaschine", erzählt er mit einem Lächeln.

Und sehr froh ist er über die technologischen Möglichkeiten, die es mittlerweile gibt. Seine Zeitung lässt er sich zum Beispiel von dem "Voice-Over" seines Tablets vorlesen.

Sehr geschickt demonstriert er dies im persönlichen Gespräch. Mit schnellen Handgriffen bedient er sein Tablet, Einfach-Klick zum Orientieren, wo er sich befindet. Doppelklick zum Bestätigen oder Öffnen einer App. Mit eine rotierenden Fingerbewegung wählt er verschiedene Einstellungen aus und mit drei Fingern kann er auf die nächste Seite wischen.

Auch als Berater tätig

Er ist auch immer hilfsbereit und als Berater tätig. "Ich habe zwei Blinden geholfen, ihre Zeitung einzurichten. Zwar können manche E-Paper dies nicht, aber die meisten achten darauf."

Er ist auch Mitglied im Blinden- und Sehbehindertenverband (BSV) Württemberg. Lange war er für den Bezirk Freudenstadt Leiter des Mini-Stammtisches in Horb. Dieser triff sich jeden dritten Freitag im Monat im Café Reinhardt in Horb (coronabedingt im Moment nicht) und stärkt die Gemeinschaft unter den Sehbehinderten.

Weitere Informationen: Beratung, Hilfe und Weiterleitung durch Michael Braun unter der Telefonnummer 07451/62 36 18.