Der 39-jährige Hauptangeklagte betritt den Sitzungssaal 1.60 des Konstanzer Landgerichts – begleitet von zwei Justizbeamen, gesichert durch Fußfesseln. Foto: Hartung

Ein 39-Jähriger soll mit 1,6 Tonnen Drogen gehandelt haben. Deswegen muss er sich vor Gericht verantworten. Beim zweiten Prozesstag stehen die Zeugen im Mittelpunkt.

Donaueschingen/Konstanz - Die Stahlkette seiner Fußfesseln schwang hin und her, als Justizbeamte den Hauptangeklagten in den Sitzungssaal führten. Der 39-Jährige ging in Trippelschritten Richtung Anklagebank. Trotz der Schrittbeschränkungen hielt er sich aufrecht und massierte sich dabei seine Handknöchel.

Zollfahndung sagt aus

Der Hauptangeklagte setzte sich zwischen seine beiden Verteidiger und schenkte niemandem Beachtung. Doch kurz bevor die Richter in den Saal kamen, blickte er zu seiner mitangeklagten Mutter, die links hinter ihm saß. Ein Lächeln huschte hinter seiner blauen OP-Maske über das Gesicht. Am zweiten Prozesstag standen nicht die Angeklagten im Fokus, sondern die fünf geladenen Zeugen. Anfangs sagten zwei Beamte der Zollfahndung Stuttgart aus – und gaben Einblicke in die Arbeiten der Ermittlungskommission "Tiberius", die den Betäubungsmittelhandel im Raum Donaueschingen über sieben Monate hinweg bis zur Festnahme im Februar dieses Jahres untersucht hatte.

Mikrofon im Auto des Angeklagten installiert

Der Beamte erklärte, dass das Bundeskriminalamt im Juli 2020 von französischen Ermittlungsbehörden Zugang zu verschlüsselten Messenger-Daten, also von Kurznachrichtendiensten, erhalten habe. Der Inhalt habe schon bald auf einen Betäubungsmittelhandel im Raum Donaueschingen hingedeutet, so die Fahnder. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft Konstanz habe daraufhin die Zollfahndung Stuttgart die Ermittlungen aufgenommen. Ab Oktober 2020 hätten Beamte die Aktivitäten des Hauptangeklagten regelmäßig observiert – vor Ort, sie hätten aber auch seine Aktivitäten im Nachrichtendienst Enchro und im Internet verfolgt. Die Ermittler hätten im Fahrzeug des 39-Jährigen ein Mikrofon installiert. Bei Enchro-Chats handelt es sich um verschlüsselte Kommunikation bei Smartphone-Nachrichten oder anderen elektronischen Endgeräten. In den vergangenen Jahren hat die organisierte Kriminalität diese Kommunikationsform verstärkt genutzt.

Arrestbeschluss im Januar 2020

Nachdem ausreichend Beweismaterial gesammelt worden sei, sei im Januar 2020 ein Arrestbeschluss vorgelegen. Doch erst Mitte Februar nahmen die Beamten den Hauptangeklagten und seine Mutter mit einer Bargeldmenge von rund 125 000 Euro im Auto vorläufig fest. "Wir konnten erst zugreifen, als auch die Möglichkeit bestand, dass Beweismittel sicherzustellen sind", erklärte der Zollfahnder auf Nachfrage des Verteidigers des Hauptangeklagten.

Geldzählmaschinen und Schusswaffen gefunden

Nach Aussage der Zöllner haben die Beamten nach der Festnahme in den Drogenverstecken unter anderem mehrere Dutzend Kilogramm Betäubungsmittel, mehrere tausend Euro Bargeld, Geldzählmaschinen, verschlüsselte Smartphones und funktionsbereite Schusswaffen gefunden – darunter Pistolen, Revolver und Maschinenpistolen. Diese will sich der Hauptangeklagte "zum Spaß" besorgt haben, soll er dem anwesenden Zollbeamten nach der Festnahme gesagt haben. Laut dem 39-jährigen Mitangeklagten soll der Hauptangeklagte aufgrund seines Drogenkonsums vermehrt Wahnvorstellungen bekommen haben, ließ er später über seinen Anwalt verlauten. Die Waffen habe sich dieser für den Fall besorgt, "dass Deutschland untergeht".

Ausgaben und Einnahmen notiert

Außerdem hätten die Fahnder Notizbücher entdeckt, die die Ausgaben und Umsätze aus den Drogengeschäften dokumentierten. Demzufolge hat der Hauptangeklagte seit dem Jahr 2018 Drogen im Wert von rund 7,8 Millionen Euro erworben und im Zeitraum von März 2020 bis Januar 2021 einen Umsatz von rund 3,4 Millionen Euro gemacht.

200 000 Euro Schulden bei Hells Angels

Wie die Fahnder in einem anderen Kontext erklärten, habe der Hauptangeklagte zum Zeitpunkt seiner Festnahme rund 200 000 Euro Schulden beim Motorrad- und Rockerclub Hells Angels gehabt. Insgesamt hätten die Ermittlungen darauf hingedeutet, dass der Hauptangeklagte der führende Kopf bei Erwerb, Bestellung oder Abholung der Betäubungsmittel gewesen sei. Der 39-jährige Mitangeklagte sei dagegen nicht involviert gewesen, sagten die Zollfahnder auf Nachfrage dessen Verteidigers: "Mit Lieferanten hatte er nie Kontakt." Stattdessen habe der 39-jährige Mitangeklagte Drogen an Abnehmer geliefert, um seine eigene Sucht zu finanzieren.

Whisky und Kokain genommen

Am ersten Prozesstag hatte der 39-jährige Mitangeklagte noch geschwiegen. Beim zweiten Verhandlungstermin ließ er über seinen Anwalt verlauten, dass er seinen Drogenkonsum und -handel der vergangenen Jahre bereue. "Ich habe alles genommen, was ich kriegen konnte", ließ er verlesen. Unter der Woche habe er mehrere Gläser Whisky getrunken und Kokain genommen. "Am Wochenende habe ich dazu an einem Abend auch mal einen Kasten Bier getrunken", sagt er. Gleichzeitig sei er berufstätig gewesen und habe sich mit Aufputschmitteln arbeitsfähig gehalten. Nun wolle er eine Therapie machen, habe dies aus der Haft heraus aber noch nicht in die Wege geleitet.

Keiner geregelten Arbeit nachgegangen

Während der Mitangeklagte trotz Drogensucht weiter berufstätig gewesen sei, soll der Hauptangeklagte dagegen seit dem Jahr 2015 keiner geregelten Arbeit mehr nachgegangen sein. Das sagte zumindest seine Ex-Freundin aus. Sie berichtet davon, dass der Hauptangeklagte sie nach ihrer Trennung mit Drogen in einem Abhängigkeitsverhältnis gehalten habe. "Er war ein Mann, der immer gern alles unter Kontrolle hatte", sagte sie. Einer weiteren Zeugin ist der jahrelange Drogenkonsum des Hauptangeklagten dagegen nicht aufgefallen. "Erst kurz vor der Festnahme", sagte die 35-Jährige. Der letzte Zeuge des Prozesstages konnte dagegen bestätigen, dass die Mutter des Hauptangeklagten ihrem Sohn dabei geholfen haben soll, eine Garage anzumieten, in der später Drogen zwischengelagert werden sollten.

Die Stahlketten der Fußfesseln schwingen

Während der Zeugenvernehmungen saßen der Haupt- und der Mitangeklagte ruhig da. Und nach insgesamt sechs Stunden Prozess schwangen wieder die Stahlketten ihrer Fußfesseln: Justizbeamte brachten sie aus dem Saal und zurück in die jeweiligen Justizvollzugsanstalten. Den einen nach Villingen, den anderen nach Konstanz. Am Freitag, 12. November, sehen sich beide gegen 9 Uhr wieder. Dann steht der dritte Verhandlungstermin an.

Lange Liste von Drogenkäufen

Die Staatsanwaltschaft legt dem Hauptangeklagten, einem 39-Jährigen aus dem Raum Donaueschingen, zur Last, zwischen Juni 2018 und Februar 2021 im Raum Donaueschingen in 50 Fällen mit größeren Mengen Drogen gehandelt zu haben – über 1,6 Tonnen insgesamt. Die Staatsanwaltschaft belegt das mit einer langen Liste von Drogenkäufen und -verkäufen, viele davon im Wert eines sechsstelligen Betrags. Ein 44-jähriger Mitangeklagter soll dem Haupttäter über eine gewisse Zeit ein Stockwerk in seinem Haus frei zugänglich überlassen haben, ebenfalls um Drogen in Metallspinden und einer Kühltruhe zu bunkern. Als Gegenleistung dafür sei er mit Drogen für den Eigenkonsum versorgt worden. Insgesamt sind fünf Verhandlungstage angesetzt.

Mutter soll von Geschäften gewusst haben

Der 39-jährige Mitangeklagte ist seit der Kindheit mit dem Hauptangeklagten befreundet. In Sachen Drogengeschäft habe er Teile der Vorräte des Hauptangeklagten an einen Freund weiterverkauft, der damit eigenen Handel betrieben habe. Einen Schlüssel und freien Zugang zu den Drogenlagern soll dieser aber nicht gehabt haben. Der 61-jährigen Mutter des Hauptangeklagten wird zur Last gelegt, von den Geschäften ihres Sohnes gewusst zu haben und ihn in einigen Fällen auch unterstützt zu haben. Es geht unter anderem, darum das Überlassen des gemeinsamen Autos und der Unterstützung bei der Anmietung einer Garage, in beiden Fällen, um größere Mengen Drogen vor dem Verkauf sicher zwischenzulagern.