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Abends dann verkündet Ägypten, dass sich Israel und Hamas doch noch auf eine Waffenruhe geeinigt haben. An seinem Ende wird der Tag doch noch mal gut.

Tel Aviv - Der Tag hatte gut angefangen. Mit Sonne, einem frischen Croissant aus der Bäckerei in meiner Straße und den Meldungen, dass der Waffenstillstand zwar nicht während der Nacht gekommen, aber doch immer relativ nah war.

Ich fahre (mit dem Bus Nr. 18 ) zu meiner zweiten Hebräischstunde. Zwei Stunden lang sitze ich mit meiner Lehrerin in einem kleinen Raum und übe, wie ich zum Beispiel an einem Straßenstand ein Falafel-Sandwich bestelle – oder nach der Toilette frage. Wichtige Dinge des Lebens eben. Als wir fertig sind, habe ich viele verpasste Anrufe auf meinem Telefon und mehrere Nachrichten. In Tel Aviv gab es eine Explosion in einem Bus. Mitten in der Stadt.

Der Taxifahrer, dem ich sage, dass ich möglichst nah an den Ort der Explosion gelangen will, sieht mich erst merkwürdig an, dann sagt er: „Das kostet 10 Euro.“ Für hiesige Taxiverhältnisse ein unverschämter Preis, aber er sieht das wohl als Gefahrenzulage.

Ein rotes Absperrband und querstehende Polizeiwagen teilen die vielbefahrene Kreuzung der Schaul-Hamelech-Straße im Herzen Tel Avivs in zwei Teile. Davor fließt der Verkehr normal weiter, dahinter untersuchen dutzende Polizisten und Sicherheitskräfte den Ort, an dem gegen zwölf Uhr mittags der Sprengsatz in einem Bus der Linie 142 explodierte. Mindestens 21 Menschen wurden dabei verletzt, zwei davon schwerer. Ein Hubschrauber fliegt knatternd seine Schleifen über der Gegend, die unbekannten Täter sind noch auf der Flucht. Es hat sich noch niemand zu dem Anschlag bekannt. Ich kenne die Gegend ein bisschen. Hier liegen Oper und Theater - und ich war erst kürzlich hier, um mir das Programm des Museums für zeitgenössische Kunst zu holen.

„Ich dachte, wir haben bald Waffenruhe"

Ich laufe bis an das Absperrband, dort ist Schluss. Von hier aus sieht man nicht wirklich etwas, aber die Kamerateams treten sich trotzdem gegenseitig auf die Füße, die Journalisten scharen sich um ein paar Augenzeugen. „Ich will nicht mehr darüber reden, ich habe heute schon zu viel geredet“, sagt einer zu mir, den ich anspreche, „ich sehe die Bilder die ganze Zeit vor mir“. Und eine junge Frau sagt nur: „Ich dachte, wir haben bald Waffenruhe, ich dachte heute wird ein ruhiger Tag“. - „Ja“, murmle ich, „ich auch“.

Auf einer Treppe gleich neben dem Absperrband sitzt Hadas Wiener, die im nahe gelegenen Gerichtsgebäude arbeitet. Sie wollte gerade Mittagspause machen, als sie ein lauter Knall aus der Routine riss. „Dann hörten wir die Sirenen und rochen etwas Verbranntes. Da wussten wir, dass etwas Größeres passiert war“, erzählt mir Hadas. Neben ihr sitzen ihre Kolleginnen Hani Bardugo und Meital Zohar. Gemeinsam versuchen sie, sich zu beruhigen. „Ich habe am ganzen Körper gezittert, viele Leute um mich herum haben angefangen zu weinen. Der Anschlag versetzt uns zurück in die Zeit von vor zehn Jahren“, sagt Hadas, „jetzt werden wir wieder anfangen, uns einander im Bus misstrauisch anzusehen.“ Und ihre Kollegin Meital Zohar, die neben ihr sitzt, fügt hinzu: „Ich nehme heute Abend auf jeden Fall das Taxi.“ Und dann sagt die junge Frau noch: „Die greifen hier wehrlose Menschen an.“

Wie Meital denken mittlerweile immer mehr junge, eigentlich politisch eher gemäßigte Israelis. Sie machen die Palästinenser für die Eskalation der Gewalt verantwortlich, empfinden die Militäroperation ihres Landes als Akt der Selbstverteidigung gegen die Angriffe der Hamas. Dass aus Gaza die Nachricht dringt, Hamas-Anhänger hätten die Nachricht vom Anschlag jubelnd aufgenommen, bestärkt sie nur darin. Wenn die Operation „Säule der Verteidigung“ wirklich Wahlkampfstrategie war, wie es die Linken Netanjahu vorwerfen, dann könnte dieser Plan aufgehen. Hamas und israelische Streitkräfte scheinen sich in diesen Tagen gegenseitig in eine sich immer schneller drehende Spirale der Gewalt zu bomben, und damit zurück in fast schon überwunden geglaubte Zeiten.

„Kommen Sie uns doch mal besuchen, wenn wieder andere Zeiten sind.“

„Wir waren doch schon weiter, das wirft uns wieder Jahre zurück“, hört man an diesem Tag von vielen Israelis. Bis 2006 gab es in Cafés und Bussen immer wieder Anschläge von Selbstmordattentätern. Laut der Zeitung „Haaretz“ starben im vergangenen Jahrzehnt 1000 Israelis durch palästinensische Anschläge und Angriffe. Auf palästinensischer Seite seien es allerdings in der gleichen Zeit 5000 Tote gewesen.

Um mein Smartphone aufzuladen – und meine eigenen Akkus auch – gehe ich ins nahe gelegene Asien-Haus, nur etwa 200 Meter vom Ort des Anschlags entfernt. Dort hat auch das Goethe-Institut seinen Sitz. Mika Adler ist ganz ruhig, er kennt die Situation. Er arbeitet seit 22 Jahren in Israel, hat schon früher Bombenanschläge miterlebt. Mehrmals sei er nur knapp daran vorbeigeschrammt. Einmal wollte er in ein Café, fand aber keinen Parkplatz. Kurz darauf explodierte dort eine Bombe. „Ein anderes Mal saß ich im Bus Nummer 5 und der darauffolgende Bus dieser Linie flog in die Luft.“ Im Goethe-Institut herrsche weiterhin Normalbetrieb. „Unsere Kurse finden statt, es muss ja weiter gehen“, sagt Mika Adler. In den letzten Tagen hätten allerdings schon ein paar deutsche Gruppen ihren Besuch in Israel abgesagt. „Auch Praktikanten überlegen sich, ob sie abreisen sollen“, erzählt Mika Adler – und zum Abschied sagt er: „Kommen Sie uns doch mal besuchen, wenn wieder andere Zeiten sind.“

Während ich im Goethe-Institut bin, wird draußen vor den großen Glasscheiben der Bus 142 vorbei geschleppt. Fast alle Fenster sind kaputt, die Türen hängen lose aus den Angeln, Ruß überall. Etwa zwei Stunden nach dem Anschlag ziehen dutzende Polizeiwagen ab, das Absperrband wird entfernt, die Fernsehkameras eingepackt. Ich gehe nach Hause – zu Fuß.

Abends dann verkündet Ägypten, dass sich Israel und Hamas doch noch auf eine Waffenruhe geeinigt haben. An seinem Ende wird der Tag doch noch mal gut. Darauf ein Falafel-Sandwich.