Im Fokus: Der ehemalige Papst Benedikt XVI. Foto: dpa/Andrew Medichini

Das Münchner Missbrauchsgutachten hat die katholische Kirche erschüttert. Im Zentrum der Kritik steht der emeritierte Papst. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz spricht von „desaströsem Verhalten“ bis in die Spitzen der Kirche.

Aachen/Trier - Der Aachener Bischof Helmut Dieser fordert angesichts des Münchner Missbrauchsgutachtens ein öffentliches Schuldeingeständnis des emeritierten Papstes Benedikt XVI.. „Es kann nicht dabei bleiben, dass Verantwortliche sich flüchten in Hinweise auf ihr Nichtwissen oder auf damalige andere Verhältnisse oder andere Vorgehensweisen. Denn deswegen wurden doch damals Täter nicht gestoppt und Kinder weiter von ihnen missbraucht!“, sagte Dieser am Sonntag. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, beklagte „desaströses Verhalten“ auch von den Spitzen der Kirche und mahnte: „Verdeckt und vertuscht wurde lange genug, jetzt ist die Zeit der Wahrheit.“

 

Benedikt, der frühere Kardinal Joseph Ratzinger, hatte das Erzbistum München und Freising von 1977 bis 1982 geführt. Ein vom Erzbistum selbst in Auftrag gegebenes Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden. Benedikts Rolle ist besonders brisant. Ihm werden vier Fälle von Fehlverhalten angelastet. Er hat die Vorwürfe in einer Verteidigungsschrift zurückgewiesen. Die Gutachter gehen davon aus, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Wahrheit gesagt hat.

„Desaströses Verhalten“

„Auch Bischöfe, auch ein ehemaliger Papst, können schuldig werden, und in bestimmten Situationen müssen sie das auch öffentlich bekennen, nicht nur im Gebet vor Gott oder im Sakrament in der Beichte“, mahnte Dieser, der in der Bischofskonferenz dem Lager der Reformer zugerechnet wird, in einer Predigt im Aachener Dom. Die Unfähigkeit, eigene Verantwortung zu spüren, Schuld einzugestehen, um Vergebung zu bitten oder wenigstens Bedauern und Schmerz über den eigenen Anteil an der Tragödie auszudrücken, mache ihn traurig und wütend. „Dass auch der frühere Papst Benedikt das noch nicht getan hat, darf nicht sein letztes Wort dazu sein!“

Der Limburger Bischof Bätzing rief dazu auf, sich der Wahrheit zu stellen, so schmerzlich das auch sei. Man müsse klar sehen, was an „desaströsem Verhalten“ auch von der Führung und den Spitzen der Kirche „bis hin zu einem emeritierten Papst angerichtet“ worden sei, sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz am Freitagabend in einem Gottesdienst im Bezirk Trier. Er wisse, dass auf vielen Gläubigen diese Situation ungeheuerlich laste. Sie müssten sich bei Freunden und Familie dafür rechtfertigen, dass sie noch „zu diesem Verein gehören“. Er appellierte an die Gläubigen: „Verlieren Sie nicht den Mut. Wir tun, was wir in dieser Zeit tun müssen.“

Friedrich Merz rechnet mit Gerichtsverfahren

Der neugewählte CDU-Chef Friedrich Merz rechnet als Konsequenz aus dem Missbrauchsgutachten auch mit Gerichtsverfahren. Auf die Frage, ob Kardinäle zurücktreten müssten, sagte Merz am Samstagabend im ZDF: „Das muss zunächst in den Kirchen entschieden werden. Aber ich gehe davon aus, dass das auch in Zukunft Gegenstand von Verfahren der ordentlichen Gerichte sein wird.“ Die Justiz prüft derzeit, ob die Ergebnisse des Gutachtens strafrechtlich relevant sind. Die Münchner Staatsanwaltschaft untersucht nach eigenen Angaben derzeit 42 Fälle von mutmaßlichem Fehlverhalten kirchlicher Verantwortungsträger.

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, sieht systemische Gründe für die vielen Fälle sexuellen Missbrauchs in der Kirche. „Es gibt kirchliche Muster und Strukturen, die sexualisierte Gewalt begünstigen“, sagte Kurschus der „Rheinischen Post“ (Samstag). „Das sind in der evangelischen Kirche andere als in der katholischen Kirche.“ Auch in evangelischen Gemeinden und Einrichtungen gebe es sexualisierte Gewalt: „Dadurch wurde und wird Vertrauen zerstört.“ Dieses zurückzugewinnen, sei ein langer Prozess.