Der Rulantica-Missbrauchsfall zieht auch in den Sozialen Medien Kreise. Viele Menschen verstehen nicht, warum der Name und ein Bild des Täters im Rahmen der Fahndung nicht veröffentlicht wurden. Wir haben mit der Polizei und einem Anwalt darüber gesprochen.
Es ist der 9. August, ein Samstag. In Baden-Württemberg haben die Sommerferien gerade erst begonnen, vielerorts herrscht Hochbetrieb – so auch im Erlebnisbad Rulantica in Rust. Inmitten des Trubels verliert ein sechsjähriges Mädchen ihre Eltern aus den Augen. Ein Mann spricht das Kind an, will mit ihr die Eltern suchen. Doch das tut er nicht. Stattdessen führt er das Mädchen aus dem Erlebnisbad hinaus und geht mit ihr in ein nahegelegenes Waldstück. Dort missbraucht er das Kind sexuell.
Nach der Tat lässt der Mann die Sechsjährige zurück. Stunden später wird sie von Zeugen im fünf Kilometer entfernten Grafenhausen aufgegriffen – nur mit einem Bikini und Badeschuhen bekleidet. Sofort ermittelt die Polizei. Durch Videoaufnahmen des Freizeitbads konnte der Tatverdächtige schnell ausgemacht werden: ein 31 Jahre alter Mann, der in Lahr-Sulz lebt und rumänischer Staatsbürger ist. Die Staatsanwaltschaft Freiburg erlässt Haftbefehl und einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des mutmaßlichen Täters. Dort finden die Beamten Kleidungsstücke, die er zur Tatzeit getragen haben soll. Von ihm selbst und seinem Reisepass fehlt jedoch jede Spur. Schnell wird vermutet, dass er sich nach Rumänien abgesetzt hat. Eine internationale Fahndung wird eingeleitet. Am 15. August, fast eine Woche nach der Tat, wird er dort festgenommen.
Der Name des Täters sowie ein Bild von ihm wurden im Rahmen der Fahndung nicht veröffentlicht. Das kritisieren viele Menschen und machen ihrem Ärger in den sozialen Medien Luft. Eine Instagram-Story, in der genau das gefordert wird, wird besonders oft geteilt: „Warum zur Hölle wird sein Gesicht und sein Name nicht veröffentlicht, um ihn schnellstens zu finden!?“ steht unter anderem in dem Text. Außerdem werden darin Gesetze gefordert, die eine öffentliche Fahndung ermöglichen. Der Schutz der Täter dürfe niemals wichtiger sein als der Schutz der Kinder, heißt es außerdem in der Story.
Doch ist es wirklich so, dass solche Informationen über Straftäter nie veröffentlicht werden? Und steckt tatsächlich die Absicht dahinter, die Täter damit zu schützen? Nein, sagt Rechtsanwalt Sven Haas aus Offenburg, der auch Sexualstraftäter verteidigt: „Ob eine öffentliche Fahndung durchgeführt wird, ist eine taktische Entscheidung von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft.“ Wenn ein Verdächtiger identifiziert werden kann, soll dieser durch eine öffentliche Fahndung nicht gewarnt werden, erklärt er zudem. „Die Polizei versucht diesen dann festzunehmen, zum Beispiel zu Hause oder auf seiner Arbeitsstelle. Würde man in einem solchen Fall eine öffentliche Fahndung machen, wäre der Verdächtige gewarnt und flieht möglicherweise.“
Deshalb wird oft nicht öffentlich gefahndet
Auch falls ein Opfer noch in der Gewalt eines Tatverdächtigen ist, bestehe bei einer öffentlichen Fahndung die Gefahr, dass der Verdächtige aus Panik dem Opfer etwas antun könnte, erklärt Haas. „Solange die Ermittlungsbehörden die Hoffnung haben, den Verdächtigen ohne öffentliche Fahndung ergreifen zu können, wird daher keine öffentliche Fahndung gemacht.“ Anders sei es, wenn man den Verdächtigen nicht identifizieren oder finden könne. „Dann wird eine öffentliche Fahndung durchgeführt“, weiß der Rechtsanwalt.
Wenn ein Verdächtiger dann in Gewahrsam ist, dürfe ein Bild von ihm aus mehreren Gründen nicht veröffentlicht werden: „Zum einen gilt bis zur Verurteilung die Vermutung, dass er unschuldig ist. Selbst falls der Verdächtige nicht angeklagt oder freigesprochen wird, wird ein unschuldiger Verdächtiger den Makel einer möglichen Straftat nicht mehr los“, erläutert Haas. Es gebe Fälle, in denen rechtskräftig die Unschuld eines Verdächtigen festgestellt, dieser in der Öffentlichkeit aber nach wie vor als Täter wahrgenommen wurde, weiß der Anwalt.
Es geht immer um den Schutz des Opfers
Und auch wenn ein Verdächtiger schuldig gesprochen wird, solle diesem die Möglichkeit gegeben werden, nach Verbüßung der Strafe wieder in die Gesellschaft integriert zu werden, erklärt Haas. „Wenn das Gesicht des Täters aber bekannt ist, ist das nur schwer beziehungsweise unmöglich.“
Aus diesen Gründen seien öffentliche Fahndungen selten. Dabei gehe es aber in der Regel immer um den Schutz des Opfers oder darum, eine Festnahme zu ermöglichen, erklärt der Rechtsanwalt.
Das sagt die Polizei zur Fahndungsmethode im Missbrauchsfall
Auch das Polizeipräsidium Offenburg erklärt in Absprache mit der Staatsanwaltschaft Freiburg auf Anfrage unserer Redaktion, dass in Paragraf 131, Absatz 3 der Strafprozessordnung gesetzlich festgelegt ist, wie in so einem Fall vorzugehen ist: Die Polizei muss demnach erst alle anderen Formen der Aufenthaltsermittlung eines Tatverdächtigen ausschöpfen, bevor eine öffentliche Fahndung infrage kommt. Und auch dann müsse ein Richter diese zunächst anordnen.
Im Falle der Fahndung nach dem 31-Jährigen, der das sechsjährige Mädchen in Rust sexuell missbraucht haben soll, seien die von der Polizei ergriffenen Maßnahmen geeignet gewesen, um dem Täter auf die Spur zu kommen. Demnach sei eine Öffentlichkeitsfahndung in diesem Fall gar nicht erlaubt, aber auch nicht nötig gewesen.