Die Ministerin zeigt mit dem Finger auf andere. Doch die Schuldzuweisung klappt nicht nach Plan. Foto: dpa

Verteidigungsministerin von der Leyen gibt die brutalstmögliche Aufklärerin. Aber hat die CDU-Politikerin mit ihrem Kommentar zur „Führungsschwäche“ in der Bundeswehr ein Eigentor geschossen? Schließlich trägt sie in letzter Konsequenz die Verantwortung für die teilweise gravierenden Verfehlungen.

Berlin - Verteidigungsminister und Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt zu sein kann ein ziemlich unbequemer Job sein. Die dreieinhalb Jahre, die Ursula von der Leyen (CDU) nun auf dem Stuhl sitzt, der für viele ihrer Vorgänger zum Schleudersitz geworden ist, waren ziemlich frei von Katastrophen, die einem Ressortchef im Bendler-Block gefährlich werden können. Das hat sich in den vergangenen Tagen geändert, und Ursula von der Leyen steht im Kreuzfeuer der Kritik wie niemals zuvor.

Der Hintergrund für ihre aktuelle Bredouille ist der Fall des wegen Terrorverdachts inhaftierten Soldaten Franco A., der sich nicht nur eine Zweitidentität als syrischer Flüchtling zugelegt hat, sondern auch im ersten Versuch seiner Abschlussarbeit im Studium rechtsextreme Positionen bis hin zur dumpfen völkischen Gesinnung offenbart hat. Der Grund für die Aufregung ist nicht die Sache selbst, sondern von der Leyens Umgang damit. Erst hatte die Ministerin eisern geschwiegen. Dann trat sie am Sonntagabend zur besten Sendezeit vor die Kameras und attestierte der gesamten Bundeswehr ein Haltungsproblem, Führungsschwäche und falsch verstandenen Korpsgeist.

Die Empörungswelle, die sie mit ihren Äußerungen auslöst, droht über von der Leyen zusammenzuschlagen. Abgeordnete aus dem Verteidigungsausschuss berichten von einem Trommelfeuer aus Telefonaten und E-Mails aus den Kasernen. „So viele Anrufe wie in den letzten zwei Tagen habe ich noch nie erhalten“, sagt ein langjähriger Parlamentarier aus der Unionsfraktion. „Es ist unfassbar, dass sie die gesamte Bundeswehr an die Wand gestellt hat.“ Zwischen den Zeilen schimmert die Ergänzung durch: und zum Abschuss freigegeben hat. Ein anderer Unionsmann, der die Bundeswehr seit Langem kennt, erklärt, dass er „noch nie zuvor eine so unterirdisch schlechte Stimmung in der Bundeswehr“ wahrgenommen hat.

Das allein ist schon bemerkenswert. Denn immerhin ist die Zeit der Schrumpfkuren für die Truppe nach rund zwei Jahrzehnten zu Ende gegangen. In von der Leyens Amtszeit fällt die Abkehr vom Spardiktat. Dass die Stimmung dennoch schlecht ist, wirft auch jenseits der aktuellen Turbulenzen im Fall A. und des Umgangs der Ministerin damit ein schlechtes Licht auf die Führung des Ressorts.

Schuldzuweisung an die Vorgänger funktioniert jetzt nicht mehr

„Nach drei Jahren an der Spitze kann man nicht mehr die Verantwortung auf die Vorgänger schieben“, sagt ein Unionsmann und erinnert sich daran, welch weidlichen Gebrauch Ursula von der Leyen in ihrem ersten Amtsjahr als Verteidigungsministerin von dieser Methode gemacht hat. Egal welche Probleme sich bei der Bundeswehr zeigten: Von der Leyens Amtsvorgänger Thomas de Maizière (CDU), der jetzige Innenminister, war der Schuldige. Diesmal aber hat sie überzogen. Es rächt sich nun, dass sie wegen des terrorverdächtigen A. und des Fehlverhaltens einzelner Soldaten in Pfullendorf, Bad Reichenhall und Sondershausen die Truppe insgesamt an den Pranger stellt – nur um sich selbst in Deckung zu bringen. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands André Wüstner formuliert es eindeutig: „Das kann keiner nachvollziehen, wie sich eine Ministerin jetzt sozusagen auf die Tribüne verabschiedet und über ihre Mannschaft urteilt.“ In Internetforen und auf Twitter fallen die Kommentare von Soldaten weit härter aus: Illoyal sei das von der Ministerin, sie zerlege die Truppenmoral.

„Sie lässt die Soldaten im Stich“

Die Rolle der brutalstmöglichen Aufklärerin, die sie sich für diese Krise ausgesucht hat, nimmt ihr niemand ab. Das Konzept der Inneren Führung, das von der Leyen jetzt ins Schaufenster stellt, hat sie jahrelang ignoriert und geschliffen. Interne Institutionen wie das Zentrum für Innere Führung oder den gleichnamigen Beirat hat sie bei der Aufklärung der bekannt gewordenen Problemfälle links liegen gelassen. „Die Bundeswehr hat jede Menge Probleme“, sagte der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels, der ein SPD-Parteibuch hat. „Aber wenn Frau von der Leyen nun sagt, es gäbe ein Führungsproblem, dann muss man natürlich sagen: Führung fängt oben an.“ SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz findet, dass sie „die ihr anvertrauten Soldatinnen und Soldaten im Stich lässt“. Dabei hätte sie den Skandal aufklären und sich zugleich vor die Truppe stellen müssen, forderte Schulz.

Von der Leyen sagte ihre für diese Tage geplante USA-Reise ab. „Für die Ministerin steht die Aufklärung der aktuellen Vorgänge um Oberleutnant A. aus dem französischen Illkirch im Vordergrund“, so das Ministerium offiziell. Inoffiziell dürfte aber die Notwendigkeit der Selbstverteidigung den Ausschlag gegeben haben. Die trügerische Ruhe in den Reihen der Union wird von der Leyen und ihren Beratern dabei mehr zu denken geben als die laute Kritik vom SPD-Koalitionspartner und von der Opposition. Parteikollegen verteidigen sie nicht, sondern hüllen sich in Schweigen. „Wir sind alle konsterniert“, sagte ein Unionsmann unserer Zeitung. „Sie muss ihre Aussagen korrigieren, und zwar selbst und vor laufender Kamera“, forderte er. „95 Prozent der Soldaten erledigen ihre Pflicht zu hundert Prozent“, betonte er. Allein: Diese Information habe die Ministerin unterschlagen.

Auch analytisch folgt dieser Unionspolitiker seiner Ministerin nicht. Die wachsende Dunkelziffer von Problemfällen in der Bundeswehr, von denen die Ministerin spricht, kann er, ähnlich wie der SPD-Politiker Rainer Arnold oder die Grünen-Abgeordnete Agnieszka Brugger nicht nachvollziehen: „In Sachen Moral läuft bei der Bundeswehr nichts aus dem Ruder. Auch bei Vorfällen in Zusammenhang mit Rechtsextremismus gab es keinen Anstieg in den vergangenen Jahren“, so der CDU-Mann. Arnold forderte eine Entschuldigung von der Leyens bei der Bundeswehr.

Kurz vor der Bundestagswahl fällt von der Leyens Bilanz als Verteidigungsministerin mau aus: Mindestens hinter zwei selbst gesteckten Zielen hinkt die ehrgeizige CDU-Vize weit hinterher. Sie hat zwar viel unternommen, um den Dienst in den Streitkräften attraktiver zu machen, aber die Personalnot ist kaum kleiner geworden. Tatsächlich sorgt die Arbeitszeitverordnung, die von der Leyen durchgesetzt hat, für Mehrbelastungen und durchgängigen Unmut. Von der Leyens zweites großes Ziel war, im Rüstungsbereich aufzuräumen und den notorischen Verzögerungen und Teuerungen ein Ende zu machen. Ihrem Deal über die Nachrüstung von hundert Kampfpanzern hat der Rechnungshof jüngst bescheinigt, erhebliche Risiken für den Steuerzahler zu enthalten, und lang dauert die Umsetzung auch. „Bei der Einsatzfähigkeit des vorhandenen Materials ist die Lage noch schlechter geworden“, sagt ein Insider. „Viele Soldaten sehen von der Leyen auf dem Absprung“, ergänzt er. „Das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit dieser Führung ist nicht mehr vorhanden.“